Berliner Philharmoniker
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Autor*in: Harald Hodeige
ca. 5 Minuten

Porträt-Foto von Nadeshda von Meck in schwarz-weiß
Nadeshda von Meck | Bild: akg-images/WHA/World History Archive

Sie empfanden sich als Seelenverwandte – und sind sich doch nie persönlich begegnet: Peter Tschaikowsky und die reiche Witwe Nadeshda von Meck. Ihre über 20 Jahre währende Brieffreundschaft ist wohl eine der ungewöhnlichsten Beziehungen in der Musikgeschichte und gleichzeitig eine spannende Quelle zu Tschaikowskys Biografie.

»Ehe ich Ihnen begegnete«, schrieb Peter Tschaikowsky im November 1877 aus dem schweizerischen Kurort Clarens am Genfer See an Nadeshda Filaretowna von Meck, »wusste ich nicht, dass es Menschen mit einem so liebevollen und tiefen Gemüt gibt. Nicht nur, was Sie für mich tun, grenzt ans Wunderbare. Ihr Brief drückt so viel Wärme und Freundschaft aus, dass ich das Leben wieder liebe und fest entschlossen bin, aller Unbill zu widerstehen. Ihnen verdanke ich es, dass die Liebe zur Arbeit mit verdoppelter Kraft wiederkehrt. Niemals, niemals, keinen Augenblick werde ich vergessen, dass Sie mir dazu verholfen haben, weiterhin meinem künstlerischen Beruf zu leben […]. Allmählich fange ich wieder an zu arbeiten, und ich werde unsere Symphonie [die Vierte] spätestens im Dezember beenden«.

Aus einer schweren Lebenskrise heraus

Diesem Brief war eine der schwersten Lebenskrisen des Komponisten vorausgegangen, an deren Anfang die übereilte Ehe mit der jungen Studentin Antonia Iwanowa Miljukowa stand. Tschaikowsky hatte sie im Juli 1877 geheiratet, um den gesellschaftlichen Konventionen zu genügen – ein »wahnwitziges Unternehmen«, so sein Bruder Modest Tschaikowsky, das fatale Folgen hatte: Nach einem missglückten Selbstmordversuch Anfang September erlitt der hypersensible Komponist einen physischen und psychischen Zusammenbruch, bei dem er fast 48 Stunden ohne Bewusstsein war.

Anschließend beauftragte er seinen Bruder, die Scheidung in die Wege zu leiten, und reiste in die Schweiz, nach Paris, Florenz, Rom, Venedig und Wien, um neue Kräfte zu sammeln. In dieser Zeit entstanden zwei von Tschaikowskys bedeutendsten Werken: Eugen Onegin und die Vierte Symphonie, deren Partitur Anfang Januar 1878 vollendet war. Die Oper nach dem gleichnamigen Puschkin-Roman sollte eine Art Spiegelbild der Enttäuschungen und Erschütterungen des Komponisten werden.

»Meinem besten Freunde«

Die Vierte Symphonie, deren mäßig erfolgreiche Moskauer Premiere am 22. Februar 1878 Nikolai Rubinstein leitete, stand für die Überwindung der Krise – nicht zufällig ist sie »meinem besten Freunde« gewidmet. Gemeint war damit Nadeshda von Meck, die unmittelbar nach der »peinlichen Katastrophe der kurzen Ehe« (Tschaikowsky) in das Leben des damals 37-jährigen Komponisten getreten war – vermittelt durch den Geiger Josef Kotek, der als Musiklehrer und Kammermusik-Partner in ihrem Haus angestellt war und ihre Begeisterung für Tschaikowskys Musik teilte und beflügelte. 

Um den ständig in finanziellen Nöten steckenden Komponisten taktvoll zu unterstützen, hatte Nadeshda Filaretowna gegen ein ungewöhnlich hohes Honorar einige Klavierstücke in Auftrag gegeben, für die sie sich im Dezember 1876 bedankte: »Es ist überflüssig, Ihnen zu sagen, wie begeistert ich von ihrer Komposition bin, da Sie wohl anderes Lob gewöhnt sind. […] Deshalb sage ich nur […], dass es sich mit Ihrer Musik leichter und angenehmer leben lässt.«

Dies war der erste von insgesamt 1204 Briefen, die sich beide einander schrieben, ohne sich jemals persönlich zu treffen – ein bemerkenswerter Vorgang, der in anderen Künstlerbiographien keine Parallele findet. Für beide Korrespondenten war der Briefwechsel offenbar von großer Bedeutung. Er bietet wertvolle Informationen zu Tschaikowskys Biografie, der in den Briefen detailliert seine Reisen schildert, sich aber auch zu seinem Schaffen sowie zu seinen ästhetischen und künstlerischen Überzeugungen und philosophisch-religiösen Ansichten äußert.

Eine kongeniale und versierte Musikliebhaberin

In Nadeshda von Meck fand er eine kongeniale und versierte Musikliebhaberin – und einen Menschen von außergewöhnlich großem Einfühlungsvermögen, was der menschenscheue Komponist offenbar nicht durch ein persönliches Treffen aufs Spiel setzen wollte:

»Die schönsten Augenblicke meines Lebens sind die, in denen ich sehe, dass meine Musik die Herzen derer ergreift, die ich liebe und deren Teilnahme mir wertvoller ist als Ruhm und Erfolg beim Publikum. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass Sie jener Mensch sind, den ich von ganzem Herzen liebe. Denn noch nie ist mir jemand begegnet wie Sie, dessen Seele mir so vertraut gewesen wäre, die so feinfühlig auf jeden meiner Gedanken, auf jeden Schlag meines Herzens reagiert hätte. Ihre Freundschaft ist mir jetzt ebenso notwendig wie die Luft zum Atmen, und es gibt in meinem Leben keinen Augenblick, wo ich nicht in Gedanken bei Ihnen wäre«.

Tschaikowskys Musik wiederum konnte Nadeshda von Meck in einen »Rauschzustand wie ein Glas Cherry« versetzen, wobei die »grenzenlose Schwermut« mancher Stücke ihr bisweilen auch den »Atem« nahm.

Im Alter von 17 Jahren war sie mit Karl von Meck verheiratet worden, der 1860 eine bescheidene Stelle als Beamter mit der eines selbständigen Unternehmers eintauschte und mit dem Bau von Eisenbahnlinien ein Vermögen verdiente – nicht zuletzt dank der Energie seiner geschäftstüchtigen Frau.

Als er am 7. Februar 1876 starb, war Nadeshda Filaretowna 45 Jahre alt und Mutter von elf Kindern. Sie besaß zwei Bahnlinien, ein prächtiges Haus in Moskau, ein idyllisches Landgut im ukrainischen Brailow und ein Vermögen von mehreren Millionen Rubel. Musik war und blieb ihre große Leidenschaft, und so unterstützte sie etwa 1880 den auf einer Tournee schwer erkrankten Geiger und Komponisten Henryk Wieniawski, den sie in ihr Haus aufnahm.

Im selben Jahr wurde auch der junge Claude Debussy als Lehrer und Klavierpartner von der finanzkräftigen Witwe angestellt, von seinen Diensten allerdings umgehend entbunden, als er um die Hand der fünfzehnjährigen Tochter Sonja anhielt. Dennoch – im Zentrum von Nadeshda von Mecks ausgeprägter Musikleidenschaft stand das Schaffen Tschaikowskys, den sie zunächst mit weiteren hoch dotierten Kompositionsaufträgen versorgte, bevor sie ihm eine jährliche Rente von 6000 Rubel zahlte.

Jähes Ende der Brieffreundschaft

Warum sie diese Brieffreundschaft ohne Erklärung im September 1890 beendete und auch ihre Zahlungen einstellte, ist nicht bekannt. Bereits in den 1880er-Jahren war der Tonfall beider zunehmend sachlicher geworden, und auch die Zeitabstände zwischen den Briefen hatten sich vergrößert, was nicht zuletzt an der angeschlagenen Gesundheit der Korrespondentin lag, die an Tuberkulose litt. Möglicherweise war Nadeshda von Mecks Entscheidung von der Tatsache beeinflusst worden, dass Tschaikowsky ab 1888 eine jährliche Rente von 3000 Rubel von Zar Alexander III. erhielt.

Auch könnte der geschwächte Gesundheitszustand der Mäzenin dazu geführt haben, dass sie die Kontrolle über ihre Geschäfte nicht mehr allein ausüben konnte und gezwungen war, den Forderungen ihrer Verwandten nach Beendigung der Unterstützung zu entsprechen. Tschaikowsky, dessen letzte Briefe unbeantwortet geblieben waren, starb im Dezember 1893. Die schwerkranke Nadeschda von Meck überlebt ihn nur um drei Monate – ihrer Schwiegertochter Anna von Meck zu Folge hatte sie Tschaikowskys Tod nicht überwinden können.