Berliner Philharmoniker
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Autor*in: Frederik Hanssen
ca. 3 Minuten

Blattgerippe
Bild: Dominik Scythe

Seit das Adagietto aus Mahlers Fünfter Symphonie im Film Tod in Venedig Verwendung fand, gilt es als Sinnbild morbider Schönheit. Tatsächlich jedoch ist der Satz Ausdruck einer der berühmtesten Liebesgeschichten der klassischen Musik: der Geschichte von Gustav und Alma Mahler.

Sollte sie den Heiratsantrag wirklich annehmen? Alma war blühende 22 Jahre jung, eine auratisch schöne Erscheinung, umschwärmt von den Wiener Avantgarde-Künstlern, die im Hause ihres Stiefvaters, des Malers Carl Moll, verkehrten. Ihren ersten Kuss hatte sie mit Gustav Klimt getauscht, ihr Kompositionslehrer Alexander von Zemlinsky war ihr willenlos ergeben. 

Sie konnte jeden haben. Warum sollte sie Gustav Mahler wählen, den Aufsteiger aus der Provinz, 1860 im Kaff Kalischt in Böhmen geboren, aufgewachsen in mährischen Iglau, Sohn eines Gastwirts? »Philiströs« erscheint er Alma beim ersten Treffen im Salon von Berta Zuckerkandl im Herbst 1901. Er hat »einen miserablen Geschmack«, wenig Interesse an Malerei, kein Gespür für Stil, richtet sich konventionell ein, mit wuchtigen historistischen Möbeln. Gustav Mahler gehört also zu eben jenem Teil der Bourgeoisie, den die Künstler der Wiener Secession verachten, mit denen das It-Girl Alma verkehrt.

»Er hält von meiner Kunst gar nichts, von seiner viel.«

Und dann ist da noch der Altersunterschied: 19 Jahre trennen die beiden, fast eine Generation. Aber Mahler ist Musiker, Dirigent von internationalem Rang, seit 1897 Direktor der Wiener Hofoper. Und der Musik gehört nun einmal Almas ganze Hingabe. Sie spielt ausgezeichnet Klavier und komponiert, seit sie 16 ist, sie hat Lieder und Instrumentalstücke geschrieben, auch eine Oper begonnen.

Gustav Mahler komponiert ebenfalls, allerdings erschließt sich seine Musik nur wenigen Zeitgenossen. Alma gehört nicht dazu. »Er hält von meiner Kunst gar nichts, von seiner viel. Und ich halte von seiner Kunst gar nichts und von meiner viel. So ist es!«, notiert sie in ihr Tagebuch. Und doch, glaubt Alma, könnten sie sich als kreatives Paar gegenseitig inspirieren.

Kaum ist ihre Bekanntschaft drei Wochen alt, macht Mahler Alma einen Antrag. Und stellt unmissverständlich klar, dass künstlerische Gleichberechtigung für ihn keine Option ist: »Wie stellst Du Dir so ein komponierendes Ehepaar vor? Hast Du eine Ahnung, wie lächerlich und herabziehend so ein eigentümliches Rivalitätsverhältnis werden muss?«

Für ihn steht fest, »dass Du so werden musst, wie ich es brauche, wenn wir glücklich werden sollen: mein Eheweib und nicht mein College.« 20 Seiten lang ist der Brief, in dem er seine Sicht auf das Zusammenleben skizziert. Ihre Rolle darin ist nicht die der schöpferisch Tätigen, sondern die einer Dienenden.

Mahlers Symphonie Nr. 5 (Adagietto) mit Gustavo Dudamel

Ausschnitt aus der Digital Concert Hall: Mahlers Symphonie Nr. 5 (Adagietto)

Herabgesunken zur Haushälterin

Alma willigt dennoch ein, vier Monate nach ihrem ersten Zusammentreffen findet die Hochzeit in Wien statt. Von nun an muss die junge Frau im Rhythmus ihres Gatten leben. Gustav Mahler seinerseits ist ein Workaholic, der bis zur Eheschließung quasi kein Privatleben kannte. Im Juli 1902 schreibt sie in ihr Tagebuch: »Eine jämmerliche Sehnsucht nach einem Menschen, der an mich denkt, der mir hilft, mich zu finden. So herabgesunken zur Haushälterin bin ich.«

Die Gefühlsschwankungen sind enorm: »Jetzt vergehe ich vor Liebe zu ihm, und im nächsten Moment empfinde ich nichts, nichts.« Dann wieder heißt es: »Noch nie habe ich so viel geweint als jetzt, wo ich doch alles habe, wonach ein Weib nur streben kann.« Alma ist schwanger, bringt eine Tochter zur Welt. Aber sie wird mit der Mutterrolle nicht glücklich. Und auch nicht mit der einer bürgerlichen Ehefrau.

»Es ist mir auf einmal zum Bewusstsein gekommen, dass ich nur ein Scheinleben führe«, notiert sie, »Mein Schiff ist im Hafen. Aber leck.« Dann wieder glorifiziert sie, was sie quält: »Ich habe nun ein Ziel: mein Glück für das eines anderen zu opfern und vielleicht dadurch selber glücklich zu werden.« Trügerische Hoffnung.

Gustav Mahler findet zumeist nur einen Weg, seine ehrliche, tiefe Liebe auszudrücken: in Noten. Er komponiert, »als Privatissimum an Dich«, ein Lied auf Rückerts Gedicht »Liebst Du um Schönheit«. Sie schreibt ins Tagebuch: »Oft fühle ich, wie wenig ich bin und habe, im Vergleich zu seinem unermesslichen Reichtum.«

Auch das Adagietto, der langsame Satz aus seiner Fünften Symphonie, ist eine Gabe an die Gattin. Zumindest berichtet das der Dirigent Willem Mengelberg: »Statt eines Briefes sandte er ihr dieses Manuskript, weiter kein Wort dazu. Sie hat es verstanden. Beide haben mir dies erzählt.«

Die These, dass es sich hier um eine klingende Liebeserklärung handelt, wird innermusikalisch dadurch gestützt, dass Mahler auf dem emotionalen Höhepunkt das »Blick-Motiv« aus Richard Wagners Tristan und Isolde zitiert. Also den Moment, in dem die Protagonisten der Oper erkennen, dass sie unrettbar einander verfallen sind.

Von filigraner Zartheit ist dieses Adagietto, nur die Streicher und die Harfe sind beteiligt, was der Musik eine schwebende, aber auch unterleibslose Aura verleiht. Gleichzeitig wählt der Komponist nicht die Vortragsanweisung Adagio, also »ruhevoll«, sondern einen Diminutiv, eine Verkleinerungsform – ganz so, wie er in der Korrespondenz mit seiner Frau ihren Namen fast durchweg zu »Almschili« verniedlicht. 

Plötzliches Interesse für Almas Kompositionen

»Ich weiß, dass der Mann in der Welt draußen das Pfauenrad zu schlagen hat, während er sich zuhause ›ausruhen‹ will«, schreibt Alma Mahler 1903 in ihr Tagebuch. »Ich habe niemanden, dem ich meinen Reichtum mitteilen kann. Ich vegetiere so für mich hin.« Immer häufiger hat die leidende Ehefrau Kuraufenthalte nötig. 1910 lernt sie in Tobelbad in der Steiermark Walter Gropius kennen, den späteren Bauhaus-Gründer. Der Architekt ist attraktiv, zukunftszugewandt, fast gleichalt. Eine Affäre beginnt, die schließlich auffliegt – woraufhin Gustav Mahler seine Ehe zu retten versucht, indem er plötzlich Interesse für Almas Kompositionen zeigt, sogar einige der Lieder veröffentlichen lässt.  

Und er sucht Sigmund Freud auf. In einem Punkt kann ihn der Psychoanalytiker beruhigen: Der Altersunterschied, den der Komponist stets als Hindernis ansah, habe auf Alma im Gegenteil stets anziehend gewirkt – aufgrund ihrer innigen Beziehung zum eigenen Vater. Der war kurz vor ihrem 13. Geburtstag gestorben, in Mahler habe sie einen Ersatz gesucht. Zu einer Versöhnung, einem Neuanfang der Eheleute kommt es allerdings nicht mehr. Bis zu Gustav Mahlers Tod am 18. Mai 1911 führt Alma heimlich die Beziehung zu Walter Gropius fort. 1915 wird sie ihn heiraten.