Familienangelegenheit

Modest Tschaikowsky:
Bruder und Librettist

Modest Tschaikowsky, 1890
(Foto: AKG)

Dass Geschwister gemeinsam eine Oper schreiben, ist eine Seltenheit. Bei Peter Tschaikowsky und seinem Bruder und Librettisten Modest glückte die Zusammenarbeit im Falle von Jolanthe und Pique Dame. Die Gründe für dieses Gelingen waren künstlerische Übereinstimmung und menschliche Nähe.

Mit keinem anderen Menschen war Peter Tschaikowsky sein Leben lang so eng verbunden wie mit seinem um ein Jahrzehnt jüngeren Bruder Modest. Als ihre Mutter starb, waren Modest und sein Zwillingsbruder Anatolij gerade vier Jahre alt, und Peter übernahm gemeinsam mit der Schwester Alexandra die Mutterrolle für die jüngsten Familienmitglieder.

Für Modest wurde Peter in vielerlei Hinsicht zum Vorbild: Wie der Ältere ging auch er auf die Petersburger Rechtsschule, trieb sich aber lieber in Bohème-Kreisen herum und ahmte seinen Bruder in Geschmack und Verhalten nach. Und noch etwas verband die beiden: Mit 14 erfuhr Modest durch Anatolij von der Homosexualität Peters, und während diese Erkenntnis den Zwilling schockierte, war Modest erleichtert – da er dieselbe Neigung verspürte und nun wusste, dass er sie mit anderen teilte, auch mit seinem verehrten Bruder.

Peter hat ihn immer wieder ermahnt, seine Gefühle in »anständige« Bahnen zu lenken; damals bemühte er sich selbst, eine den Konventionen entsprechende Fassade aufzubauen. Später wurde er in dieser Hinsicht nachgiebiger mit sich und seinem Bruder.

Modest erwarb sich große Verdienste als Pädagoge: Er unterrichtete einen gehörlosen Jungen mit solchem Erfolg, dass man ihn weithin als Experten auf diesem Gebiet schätzte und ihm die Direktion einer Taubstummenschule antrug. Für seine literarischen Ambitionen hatte Peter ihm lange das nötige Talent abgesprochen, dann aber zunehmend Achtung vor den Fähigkeiten des Jüngeren gewonnen.

Vor allem Modests Dramen im Geiste und Milieu der Zeit waren erfolgreich und wurden, im Windschatten Alexander Ostrowskis und Anton Tschechows, viel gespielt. Nach manchen Anläufen kam es schließlich mit Pique Dame zur ersten Zusammenarbeit.

Peter wählte auch für seine nächste Oper Jolanthe seinen Bruder als Textdichter; schon geplante Fortsetzungen machte der frühe Tod des Komponisten zunichte. Modest schrieb noch einige Libretti, zum Beispiel für Rachmaninows Francesca da Rimini. Nach Peters Tod gründete er ein Museum mit Archiv und schrieb eine monumentale Dokumentarbiografie: ein Denkmal für beide Brüder.

Malte Krasting

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