Die Wiener Klassik vereint die berühmtesten Komponisten und prägt bis heute, was »Klassik« überhaupt ist. In der Saison 2025/26 widmen sich die Berliner Philharmoniker und ihre Gäste mit dem kuratierten Flex-Paket dieser prägenden Epoche, insbesondere mit Werken von Beethoven, Mozart und Schubert.
»Metastasio, der König der Oper, lässt sich gegenüber der kaiserlichen Hofburg nieder, Haydn lebt im gleichen Hause, Gluck unterrichtet die Kinder Maria Theresias, und zu Haydn kommt Mozart, zu Mozart Beethoven, und neben ihnen sind Salieri und Schubert, und nach ihnen Brahms und Bruckner und Gustav Mahler. Keine einzige Pause durch hundertfünfzig Jahre, kein Jahrzehnt, kein Jahr, wo nicht irgendein unvergängliches Musikwerk in Wien entstanden wäre. Nie ist eine Stadt gesegneter gewesen vom Genius als Wien im 18., im 19. Jahrhundert.«
Man spürt förmlich die atemlose Euphorie des Schriftstellers Stefan Zweig, wenn er von der Musikgeschichte seiner Heimatstadt schwärmt. Und er hat ja recht: Eine solche Konzentration der aller berühmtesten Komponistinnen und Komponisten hat es nur in Wien gegeben. Die Wiener Klassik, meist verstanden als Zeitraum von Haydns Durchbruch um 1760 bis zu Ludwig van Beethovens Tod 1827, führte zu einer solchen Vollendung der Tonkunst, dass sie bis heute als Namenspatin für das gesamte Genre der klassischen Musik steht. »Die Klassik« eben. Doch wie kam es dazu? Warum ausgerechnet Wien? Und wie klingt sie denn nun, diese Musik? Die letzte Frage beantworten man sich am besten mit wahlweise drei, fünf oder neun Konzerte aus dem Flex-Paket »Wiener Klassik« und begibt sich auf musikalische Entdeckungstour in die Philharmonie Berlin.
Jedenfalls: Den ästhetischen Nährboden für die Wiener Klassik bereiteten die Söhne von Johann Sebastian Bach (auf dem Gebiet der Instrumentalmusik) und Christoph Willibald Gluck (in der Oper). Ein allgemeines neu erwachtes Interesse an der Ästhetik des antiken Griechenlands und Roms führte zu der kollektiven Übereinkunft: Die schwülstige, gestelzte Musik des Barock-Zeitalters hatte ausgedient. So wie die brustlange Allonge-Lockenperücke zunächst dem pfiffigeren Rokoko-Modell à la Mozart wich und in der Französischen Revolution komplett abgeschafft wurde, so wurde die Musik leichter, luftiger, weniger staatstragend und mehr von unmittelbaren Emotionen geleitet.
Joseph Haydn war es, der aus den disparaten Ausläufern des Barocks einen bündigen neuen Stil formte und damit die Wiener Klassik begründete. Ihm blieb auch praktisch gar nichts anderes übrig, da er als Hofkomponist des Fürsten von Esterházy 30 Jahre lang überwiegend abgeschnitten in der ungarischen Provinz lebte: »Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen, und so musste ich original werden.«
Ein Resultat seiner Experimente war die Symphonie, damals eine neuartige, durchaus gewagte Kombination aus Opernouvertüre, höfischer Tanzmusik und virtuosem Finale; heute die prestigeträchtigste Standard-Gattung des Konzertsaals. Das Äquivalent im kleineren Format war das Streichquartett: angesichts der kompakten Vierer-Besetzung und des intimeren Aufführungsortes weniger auf Effekt und Massenwirkung angelegt, eher für Hörer, die Tiefgang zu schätzen wissen.
Überhaupt, das Publikum. Das Musikleben spielte sich an der Wende zum 19. Jahrhundert nicht länger nur an abgeriegelten Adelshöfen ab, sondern in der Mitte des aufblühenden Bürgertums. Es entstanden öffentliche Konzert- und Opernhäuser, Abo-Reihen, Kulturvereine, Festivals, feste Ensembles und internationale Tourneen. Analog schossen Musikverlage wie Pilze aus dem Boden, Zeitungen, Konservatorien, ein ganzes neues Geschäftsfeld. Auch Instrumentenbauer hatten Hochkonjunktur: Das Klavier, auf dem man laut und leise spielen konnte (»Fortepiano«), löste das einförmig zirpende Cembalo ab, Blasinstrumente wie die Klarinette wurden erfunden oder stark verbessert. Das moderne Orchester entstand.
In Wien hob die allgemeine Musikbegeisterung sogar die Trennung zwischen den Gesellschaftsschichten auf, wie der Hofbeamte und nebenberufliche Kulturmanager Ignaz von Mosel verblüfft konstatierte: »Die Tonkunst wirkt hier täglich das Wunder, das man sonst nur der Liebe zuschrieb: Sie macht alle Stände gleich. Adelige und Bürgerliche, Fürsten und ihre Vasallen, Vorgesetzte und ihre Untergebenen sitzen an einem Pult beisammen und vergessen über der Harmonie der Töne die Disharmonie ihres Standes.«
Kein Wunder also, dass die Komponisten förmlich nach Wien fluteten. Wolfgang Amadeus Mozart aus Salzburg etwa, für Haydn »der größte Komponist, den ich von Person und dem Namen nach kenne«. Erfolge feierte das ehemalige Wunderkind vor allem in der Oper und mit Solokonzerten, für die er eine neue, prototypische Form fand. Sein Schaffen krönte er mit der Symphonie Nr. 41, der später der ehrenvolle Göttervater-Beiname »Jupiter« verliehen wurde. (Zu hören im Flex-Konzert am 6.12.2025 unter Jordi Savall.) Übrigens: Dass Mozart von seinem Rivalen Antonio Salieri in den Tod getrieben wurde, wie der Film Amadeus so grandios ausmalt, ist ein unhaltbarer Mythos. Die beiden waren gute Freunde. (Musikalisch nachzuvollziehen am 4.3.2026.)
Der dritte Wiener Klassiker, Ludwig van Beethoven, hätte eigentlich Schüler von Mozart werden wollen, ging nach dessen tragisch frühem Tod dann aber bei Haydn und Salieri in die Lehre. Über seine Vorbilder wuchs er auf jedem Gebiet und in jeder Hinsicht hinaus: packender, intensiver, kompromissloser. Stellvertretend für seine neue Maßstäbe setzendes Œuvre erklingen seine 8. Symphonie (27.10.2025), sechs seiner insgesamt 15 Streichquartette mit dem fabelhaften Quatuor Ébène (9.3. & 11.5.2026) und sein fünftes und letzten Klavierkonzert mit Víkingur Ólafsson an den Tasten (28.5.2026). Kein Wunder, dass der »Titan« einen Schatten auf die folgenden 150 Jahre warf, aus dem Komponisten wie Franz Schubert oder Johannes Brahms erst einmal hervortreten mussten. Mit Franz Schubert und seiner Symphonie Nr. 3 ist schließlich ein Komponist vertreten, der von der Klassik kommend die Tür zur nachfolgenden Romantik aufstieß (zu hören unter der Leitung von Franz Welser-Möst am 11.06.2026).
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