Von: Nicole Restle
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Peter Tschaikowsky, vermutlich 1888 | Bild: Atelier E. Bieber, Hamburg, vermutlich von Leonard Berlin, Public domain, via Wikimedia Commons

Zweimal hat Peter Tschaikowsky im Rahmen seiner Europatourneen die Berliner Philharmoniker dirigiert – im Februar 1888 und 1889. Dazwischen entstand im Sommer 1888 seine Fünfte Symphonie. Die Zusammenarbeit zwischen Komponist und Orchester hatte eine längere und etwas delikate Vorgeschichte ...

Manchmal ist die Kunst der Politik um einiges voraus. Am 8. Februar 1888 stand Peter Tschaikowsky als Dirigent eigener Werke am Pult der Berliner Philharmoniker. Dieser sein erster öffentlicher Auftritt im Konzertleben der deutschen Metropole war ein Ereignis höchsten Ranges. 

Der Kritiker der Neuen Musikzeitung jubelte: »Jetzt endlich hat er es für angezeigt gehalten, die stark in die Brüche gegangene deutsch-russische Freundschaft durch sein persönliches Erscheinen, wenigstens auf dem neutralen Boden der Kunst, wiederzubeleben. Dass ihm dies bis zu einem gewissen Grade geglückt ist, steht außer Frage...« Das politische Verhältnis zwischen Deutschland und dem Zarenreich gestaltete sich in jenen Jahren schwierig, Tschaikowsky und seine Musik hingegen eroberten Europa.

Ein hartnäckiger Orchestervorstand

Diesen Auftritt Tschaikowskys verdankte das Berliner Publikum der Initiative Otto Schneiders, Hornist und Vorstand der Philharmoniker. Er hatte in einer Musikzeitung gelesen, dass der Komponist eine Europatournee plante und ihn nach Berlin zu einem Konzert mit seinem Orchester eingeladen. Tschaikowsky sagte umgehend zu, allerdings kam es im Vorfeld des Konzerts zu Irritationen. 

Der Komponist hatte für die Organisation seiner Tournee den Konzertagenten Dmitri Friedrich engagiert, der ihn lieber an das Concerthaus an der Leipziger Straße vermittelt hätte. Der dortige Klangkörper war der Nachfolger der Bilseschen Kapelle, von der sich sechs Jahre zuvor 50 Musiker, unter ihnen auch Otto Schneider, in Unfrieden getrennt und die Berliner Philharmoniker gegründet hatten. Während Bilse seine dezimierten Reihen mit neuen Musikern aufgefüllt hatte  und weiterhin im Concerthaus in der Leipziger Straße auftrat, ehe er seine Kapelle 1885 einem Nachfolger übergab, avancierten seine Ehemaligen in der Philharmonie in der Bernburger Straße zum führenden Orchester der Stadt.

Friedrichs Plan war gar nicht so abwegig, denn der Komponist schätzte Bilses Orchester, das er bereits mehrfach bei früheren Aufenthalten in Berlin erlebt hatte. Noch dazu hatte sich Bilse sehr für Tschaikowskys Musik engagiert, er hatte unter anderem dessen Orchesterfantasie Francesca da Rimini 1878 erstmals in Berlin aufgeführt. Otto Schneider erhielt von Friedrichs Werben für das Concerthaus-Orchester Kenntnis. 

Auf gar keinen Fall durfte es den Zuschlag erhalten! Schneider reagierte umgehend. Er schrieb Tschaikowsky und beschwor ihn, nur bei den Berliner Philharmonikern als dem »besten Orchester« der Stadt aufzutreten: »Das sind Sie sich und ihrem guten Künstlernamen schuldig.« Tschaikowsky beruhigte ihn, er habe Friedrich »entschieden« abgesagt und »ausschließlich der Philharmonie den Vorzug gegeben«. Er bestätigte den 8. Februar 1888 als Konzerttag und schickte auch gleich einen Programmvorschlag mit: Zur Eröffnung sollte entweder die Fantasie-Ouvertüre Romeo und Julia oder Francesca da Rimini erklingen.

Freundliche Aufnahme

Anfang Januar 1888 traf er sich in Berlin mit Otto Schneider, einem – nach seiner Beschreibung – »sehr gefälligen, freundlichen Herrn«, um die genaueren Modalitäten des geplanten Konzerts zu besprechen. Die Zusammenstellung des Programms war – wie Tschaikowsky berichtete – »mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft«. Tschaikowsky wollte unbedingt seine Tondichtung Francesca da Rimini geben, doch Schneider riet ab – das Stück sei zu kompliziert, es würde dem Berliner Publikum nicht gefallen. Seine Meinung teilten auch Hans von Bülow, der damalige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, und Hermann Wolff, der Konzertagent des Orchesters. Tschaikowsky beugte sich dem Urteil der drei, verzichtete auf Francesca und dirigierte stattdessen Romeo und Julia

Tschaikowsky war von den Philharmonikern restlos begeistert. »Die Berliner Philharmoniker besitzen neben allen anderen Vorzügen eine besondere Eigenschaft, für die ich keinen passenderen Ausdruck finden kann als Elastizität. Ich meine damit die Fähigkeit, sich den Dimensionen eines Berlioz und Liszt anzupassen, die komplizierten, vielschichtigen Berlioz’schen Orchesterzeichnungen ebenso vollendet zu meistern wie den Batteriedonner Liszts und sich andererseits ganz auf den Musizierstil eines Haydn einzustellen«, schrieb Tschaikowsky in seiner Autobiographischen Beschreibung einer Auslandsreise im Jahre 1888. »Die Mitglieder der Berliner Philharmoniker sind nicht in den Theatern beschäftigt, infolgedessen nicht abgehetzt und ermüdet, und da sie eine eigene Körperschaft bilden, spielen sie zu ihrem eigenen Nutzen und nicht im Sold eines Unternehmers, der den Löwenanteil in die Tasche steckt. Das Zusammentreffen dieser günstigen Bedingungen kommt natürlich der Qualität der künstlerischen Darbietungen sehr zugute. Ich wurde gleich bei der ersten Probe durch die freundliche Aufmerksamkeit und den Eifer der Orchestermitglieder ermutigt, so dass von Anfang an alles zur vollsten Zufriedenheit verlief.«

Die Gelegenheit, Francesca da Rimini unter der Stabführung von Tschaikowsky zu hören, erhielt das Berliner Publikum dann im folgenden Jahr während der zweiten großen Europatournee des Komponisten. »Der Saal war überfüllt«, schrieb der Komponist seinem Bruder Modest. »Der Erfolg – ein großer, obwohl Francesca eigentlich nicht die Wirkung ausübte, die ich erwartet hätte: das Orchester spielte nämlich so herrlich, dass mir schien, das Publikum müsse schon allein deswegen in Begeisterung geraten. Sehr deutlich hörte ich zwei oder drei Pfiffe.« Tschaikowskys Bericht deckt sich auch mit den Pressereaktionen.

So schreibt der Kritiker der Vossischen Zeitung: »Die symphonische Dichtung kannten wir bereits aus den Bilse‘schen Konzerten. Auch dieses Mal ist ihr Eindruck auf uns kein günstiger gewesen. Teils wehrt sie ab mit ihren Gewaltsamkeiten im Ausdruck und in der klanglichen Darstellung, teils ermüdet sie durch die endlose Wiederholung unbedeutender Motive.« Tschaikowsky nahm das Urteil der Presse gelassen. Zwei Tage nach dem Konzert in Berlin reiste er weiter nach Leipzig und setzte seine Erfolgstour durch Europa fort.