Gustav Mahlers Musik ist heute eine feste Größe im Repertoire der Berliner Philharmoniker – doch das war nicht immer so. Zwar stand Mahler selbst mehrfach am Pult des Orchesters, doch das Berliner Publikum konnte mit seiner Klangwelt zunächst wenig anfangen. Dennoch gab es schon früh Dirigenten, die sich mit Leidenschaft und Ausdauer für seine Werke einsetzten. Sie und ihre Nachfolger legten den Grundstein für die Mahler-Tradition der Philharmoniker, die das Orchester bis heute prägt.
Die Altistin Amalie Joachim – Ex-Frau des berühmten Geigers Joseph Joachim und gefeierte Konzertsängerin – war die Erste, die Mahlers Musik mit den Berliner Philharmonikern aufführte. Sie sang am 12. Dezember 1892 zwei Lieder aus des Knaben Wunderhorn. Das Orchester war damals zehn und Mahler 32 Jahre alt. Die Philharmoniker hatten sich als wichtiger Klangkörper in Berlin etabliert, Mahler feierte Erfolge als Erster Kapellmeister am Stadt-Theater in Hamburg, als Komponist fand er jedoch noch wenig Beachtung. Gerade arbeitete er fleißig an seiner Zweiten Symphonie. Diese erlebte dann gleich zweimal ihre Uraufführung – beide Male mit den Berliner Philharmonikern: Richard Strauss, Kollege, Freund und Rivale Mahlers, hatte den Komponisten im März 1895 eingeladen, die ersten drei Sätze seiner neuen Symphonie zu dirigieren. Die Kritik war gnadenlos: Von einer »musikalischen Unmöglichkeit« war die Rede.
Doch Mahler ließ sich nicht beirren. Am 13. Dezember des gleichen Jahres leitete er die Uraufführung der kompletten Symphonie. Dazu hatte er das Orchester auf eigene Kosten gemietet – eine Investition, die sich lohnte: »Gewiß gab es auch Gegnerschaft, Verkennung, Verkleinerung, Verhöhnung. Aber doch war der Eindruck von der Größe und Originalität des Werks von der Gewalt des Mahlerschen Wesens so tief, dass man von diesem Tag an seinen Aufstieg als Komponist datieren kann«, erinnerte sich sein Assistent Bruno Walter, einer der großen zukünftigen Mahler-Dirigenten.
1895 war mit Arthur Nikisch ein weiterer Bewunderer Mahlers Chefdirigent der Berliner Philharmoniker geworden. Ein Jahr später stellten die Berliner Philharmoniker unter seiner Leitung den zweiten Satz von Mahlers Dritter Symphonie als Uraufführung in einem ihrer Abonnementkonzerte vor – mit überraschend großem Erfolg. Mahler selbst saß inkognito im Publikum und erhielt, nachdem Nikisch auf ihn gedeutet hatte, lebhaften Applaus. Die beiden kannten sich aus ihrer gemeinsamen Zeit am Leipziger Stadttheater, wo Mahler unter Nikisch das Amt des zweiten Kapellmeisters innehatte.
In der Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die beiden als Konkurrenten empfunden haben. Später scheint von dieser Rivalität jedoch nichts mehr übrig geblieben zu sein. Denn als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker hat Nikisch immer wieder Werke des Kollegen auf das Programm gesetzt und zum Tode Mahlers 1911 dirigierte er für ihn ein Gedenkkonzert. Zuvor stand der Komponist 1907 nochmal selbst am Pult der Berliner Philharmoniker, um die vollständige Dritte zu dirigieren, die mittlerweile fünf Jahre zuvor uraufgeführt worden war.
Nach dem Ersten Weltkrieg kamen Dirigenten wie Hermann Scherchen, Gustav Brecher, Heinz Unger, Felix Weingartner, Selmar Meyrowitz oder Jascha Horenstein, um sich für Mahlers Werk einzusetzen. Besonders zwei Namen ragen in jener Zeit heraus: Oskar Fried und Bruno Walter, zwei Dirigenten, die eine enge persönliche Beziehung zum Komponisten gehabt hatten. Sie sahen es als eine Lebensaufgabe, Mahlers Musik populär zu machen. Im April 1922 beispielsweise gab es eine umjubelte Aufführung der Dritten Symphonie unter Bruno Walter, der dem Orchester seit langem eng verbunden war. Und auch Nikischs Nachfolger als Chef der Berliner Philharmoniker, Wilhelm Furtwängler, überzeugte als Mahler-Interpret. Nach einer Aufführung der Dritten im März 1924 schrieb ein Kritiker, Furtwängler habe »die rechte Reizbarkeit der Nervenspitzen, die nötige musikalische Intelligenz, um die artistischen Kontraste einer Mahler-Partitur wirksam gegenüberzustellen«. In der Saison 1924/25 veranstaltete Klaus Pringsheim, der musikalische Leiter der Reinhardt-Bühnen in Berlin, mit den Philharmonikern den ersten Mahler-Zyklus in Deutschland.
Während der NS-Diktatur war Gustav Mahlers Musik verboten – erst ab 1948 fand sie allmählich zurück in die philharmonischen Konzertprogramme. Den Anfang machten das berühmte Adagietto aus der Fünften sowie die Erste, Zweite, Vierte und Neunte Symphonie. Dank der einsetzenden Mahler-Renaissance in den 1960er- und 70er-Jahren gab es herausragende Interpretationen seiner Werke, legendär in der Geschichte der Philharmoniker gelten – um nur zwei Beispiele aus jener Zeit zu nennen – die Aufführungen der Neunten unter Sir John Barbirolli 1963 und Leonard Bernstein 1979. Nach Bernsteins Neunter ging auch Herbert von Karajan daran, das Stück mit den Philharmonikern zu erarbeiten, nachdem er während seiner Berliner Amtszeit bereits das Lied von der Erde sowie die Vierte, Fünfte und Sechste dirigiert hatte.
Mit Claudio Abbado wählten sich die Berliner Philharmoniker dann einen der großen Mahler-Interpreten seiner Generation zum Chef. Er hatte Mahlers Werk als Student in Wien entdeckt: »In Italien gab es kein großes Interesse für Mahler, er war unbekannt. Als ich Student in Wien war, 1956 bis 1958, habe ich angefangen, Mahler kennenzulernen. Er war für mich eine große Liebe, einer der großen Musiker.« Mit seinen sensiblen und detailreichen Interpretationen prägte eine Ära. Auch Sir Simon Rattle, Abbados Nachfolger, setzte die intensive Auseinandersetzung mit Mahler fort. Schon 1987 bei seinem Debüt bei den Berliner Philharmonikern stellte er mit der Sechsten klar, wie tief ihn diese Musik bewegt. Einer der Höhepunkte seiner Amtszeit: der große Mahler-Zyklus mit allen vollendeten Symphonien in den Spielzeiten 2010/11 und 2011/12.
Auch im Repertoire von Kirill Petrenko, seit 2019 Chef der Berliner Philharmoniker nimmt Mahler eine zentrale Rolle ein. Mit dem Orchester hat er bislang die Vierte, Sechste und Siebte Symphonie aufgeführt. Nun folgt die Neunte, Mahlers letzte Symphonie, die vielen als Werk des Abschieds gilt. Kirill Petrenko hat hierzu jedoch eine andere Meinung: »Für mich ist das eher ein Werk des Aufbruchs – des Aufbruchs in die Moderne. Nicht umsonst haben Schönberg, Berg oder Adorno gerade diese Symphonie als Initialzündung gesehen, als Übergang vom klassischen in das freitonale Zeitalter.« Mahler Symphonien lassen eben bis heute die unterschiedlichsten Deutungen zu. Das macht nicht zuletzt ihren zeitlosen Wert aus.
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