Das deutsche Kalifornien

Eine geistige Elite im amerikanischen Exil

Das Hollywood Sign in Los Angeles

In Los Angeles sammelten sich in den 1940er-Jahren Komponisten, Literaten, bildende Künstler und weitere Intellektuelle, die vor den Nationalsozialisten geflohen waren. Nicht nur Schönbergs Klavierkonzert entstand in Kalifornien, sondern auch Thomas Manns Roman Doktor Faustus. Auch Franz Werfel und seine Frau Alma Mahler-Werfel, Erich Korngold, Alexander Zemlinsky, Bruno Walter, Kurt Weill, Theodor W. Adorno und viele mehr fanden an in den USA Zuflucht – oft allerdings unter prekären ökonomischen Bedingungen.

Das Schicksal der erzwungenen persönlichen und künstlerischen Entwurzelung nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten traf in den 1930er- und 40er-Jahren die kulturelle Elite Deutschlands und Österreichs. Das Ausmaß der Verfolgung war so unvorstellbar, dass nur wenige Künstlerinnen und Künstler so früh wie Arnold Schönberg den Gang ins Exil antraten. Viele zögerten lange – zu lange, um sich vor Verhaftung und Ermordung retten zu können. Schönberg war schon im Oktober 1933 mit seiner Familie von Le Havre nach New York emigriert, nachdem ihm die Nationalsozialisten seine Professur an der Berliner Akademie der Künste entzogen hatten. Für Schönbergs Lebensgrundlage in den USA sorgte zunächst Joseph Malkin, ehemaliger Solocellist der Berliner Philharmoniker, der schon seit langem in Boston lebte und ihm eine Lehrtätigkeit an seinem Privatkonservatorium anbot. Bald ließ sich Schönberg in Los Angeles nieder, wo seine materielle Existenz durch eine Professur abgesichert wurde.

Schönberg in Hollywoods Nachbarschaft

Über die Sonnenseiten Kaliforniens, gelegentliche Cocktailpartys und die legendären Tennismatches mit dem Nachbarn George Gershwin sollte man aber nicht vergessen, dass Schönberg keinesfalls ein Luxusleben unter Hollywoodstars führte. Trotz andauernder Geldknappheit stellte er aus Selbstwertgefühl sehr hohe Honorarforderungen, so auch für sein 1942 entstandenes Klavierkonzert. Und er unterschied zwischen dem ökonomisch Notwendigen und dem für sich künstlerisch Vertretbaren. Eine Avance des Filmproduzenten Irving Thalberg für die Studios von Metro-Goldwyn-Mayer scheiterte 1935 an Schönbergs Kompromisslosigkeit. Trotz dieses Vorstoßes von Hollywood war Schönbergs Musik in den USA wenig bekannt, was ihm ebenso zu schaffen machte wie die fremde Sprache (auch wenn er den Umlaut in seinem Namen bald zu einem im Amerikanischen leichter verständlichen »oe« auflöste).

Mit dieser fehlenden Resonanz stand Schönberg nicht alleine da. Fast jeder der Emigrantinnen und Emigranten machte die Erfahrung, in der Neuen Welt nicht nahtlos an die einstige Bedeutung anknüpfen zu können, und Englisch war damals weder als Wissenschafts- noch als Alltagssprache ähnlich weit verbreitet wie heute. Mancher kompensierte den traumatischen Verlust der geistigen Heimat mit einer demonstrativen Zurschaustellung eines kulturellen Überlegenheitsgefühls. Zudem erwies sich die an der kalifornischen Westküste gestrandete Gemeinschaft der Flüchtlinge keineswegs als ein durchweg solidarischer Bund. Natürlich sandte man sich Zeichen der Hilfe und Unterstützung, aber unter der enormen psychischen Anspannung des täglichen Existenzkampfes gab es ebenso Rivalitäten, Neid und Intrigen wie einen gesellschaftlichen Verkehr aus purer Höflichkeit, den beispielsweise Schönberg und der 1941 in die Nachbarschaft gezogene Thomas Mann pflegten.

Freunde wurden sie nicht. An die steifen Besuche erinnert sich Schönbergs heute 90-jährige Tochter Nuria Nono-Schoenberg: »Einmal waren wir in Los Angeles bei den Manns eingeladen, so Anfang der Vierzigerjahre, da musste ich draußen im Garten bleiben, während sich die Erwachsenen drinnen unterhielten.« Dass Mann damals am Roman Doktor Faustus arbeitete und die Theorie der Zwölftontechnik ausschlachtete, ohne Schönberg davon in Kenntnis zu setzen, sollte noch viel Ärger verursachen.

Die deutsche Exilszene sammelte sich um Alma Mahler-Werfel

Nach altersbedingtem Ausscheiden aus der Lehrtätigkeit und dem Bezug einer nur kärglichen Pension sah sich Schönberg 1944 größten finanziellen Sorgen ausgesetzt. »Arnold Schönberg ist am Verhungern«, schrieb Alma Mahler-Werfel in ihr Tagebuch. Auch sie war gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Franz Werfel unter abenteuerlichsten Umständen aus Europa entkommen und hatte in Kalifornien Quartier genommen. Ihre wechselnden Domizile in Los Angeles machte Alma Mahler-Werfel zu Treffpunkten der deutschen Exilszene. Zum Abendessen wurden Thomas und Heinrich Mann mit ihren Ehefrauen Katia und Nelly ebenso geladen wie Erich Wolfgang Korngold und Gattin Luzi oder Bruno Walter und seine heimliche Geliebte Erika Mann. »Bedauerliches Sich Übernehmen Erikas in Alkohol (mit der Mahler)«, notierte Thomas Mann angewidert über seine Tochter. Später sollte Alma Mahler-Werfel im hässlichen Streit zwischen Schönberg und Mann eine wichtige Vermittlerrolle spielen.

Die vergleichsweise auskömmliche monetäre Situation der Werfels war vor allem seinen internationalen Bucherfolgen und einträglichen Filmrechten geschuldet. Auch Erich Wolfgang Korngold litt im Exil keine materielle Not. Er war bereits 1934 der Einladung des Regisseurs Max Reinhardt nach Hollywood gefolgt und hatte sich eine glänzende Karriere als Filmmusikkomponist aufgebaut. Betrogen wurde Korngold aber um die finanziellen und ideellen Erträge seiner Opern in Europa. Er, der die deutschen Spielpläne einst mit seiner Toten Stadt dominiert hatte, musste voller Verbitterung konstatieren, dass man ihn als Komponisten nicht mehr ernst nahm. Korngolds Versuch, nach dem Krieg in der Heimat Wien wieder Fuß zu fassen, misslang gründlich – ja, man warf ihm sogar vor, in Hollywood in »Saus und Braus« gelebt zu haben, während die Daheimgebliebenen in den Trümmern hausten.

Folgenschwere Entwurzelung

Auch Arnold Schönbergs Freund und einstiger Schwager Alexander von Zemlinsky war ein vielgespielter Opernkomponist gewesen, bevor der Anschluss Österreichs ihn und seine Frau Louise ins Exil trieb. Die Zemlinskys strandeten in New York, finanziell ausgeblutet, psychisch zerrüttet. Keine vier Jahre lang sollte Zemlinsky diese Entwurzelung überleben. Einige Jahre länger hielt Jaromír Weinberger aus, Komponist der gefeierten Oper Schwanda der Dudelsackpfeifer. Er war 1938 ebenfalls geflohen und hielt sich zunächst mit kleineren Aufträgen über Wasser, bevor Armut, Depressionen und das Schicksal seiner im Holocaust umgekommenen Familie sein Dasein überschatteten. 1967 nahm sich Weinberger das Leben.

Nur wenigen gelang es, sich neu zu erfinden. Dazu gehörte Franz Wachsmann, der sich bald Waxman nannte und mit ausgefeilten, oscargekrönten Filmmusiken in Hollywood für Aufsehen sorgte. Kurt Weill wiederum etablierte sich mit Musicals am Broadway. Weills Erfolge waren untrennbar mit seiner Frau Lotte Lenya, Schauspielerin und Chansonsängerin, verbunden, die mit ihm 1935 nach New York emigriert war. Lotte Lenya war eine gute Netzwerkerin und schrieb an ihren Mann: »Wenn Du dazu kommst, den Wiesengrund [den ebenfalls emigrierten Theodor W. Adorno] zu sehen, so tue es. Der hat doch immer so gute Beziehungen zum vornehmen zarten Aroma. Und der macht doch ein bißchen Wolke für Dich, falls er nicht selbst seine unsterblichen Werke anpreist.«

Kerstin Schüssler-Bach

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