Von: Bjørn Woll
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Wie ein »Mysterium« empfindet der Dirigent Kazuki Yamada die erste Begegnung mit einem Orchester. Im Juni gibt Kazuki Yamada sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern. Ein Porträt.

Das neue Jahr hat Kazuki Yamada in seiner Heimat Japan begonnen, mit einer Reihe von Konzerten in Osaka und Tokio. Seit einigen Jahren lebt der 1979 in Hadano geborene Dirigent allerdings in Berlin, wo er ab der Saison 2026/27 Chefdirigent des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin wird. Es ist nicht der erste Chefposten für Kazuki Yamada: 2023 wurde er Musikdirektor beim City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO), bereits seit 2016 leitet er das Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo. Längst aber steht er auch auf der Dirigenten-Wunschliste anderer großer Orchester. In der aktuellen Saison gibt er unter anderem seine Debüts beim Cleveland Orchestra und beim New York Philharmonic, die beide zu den »Big Five« der Orchester in den USA gehören. Und zum Ende der Spielzeit steht noch ein besonderes Debüt für ihn an, nämlich bei den Berliner Philharmonikern in seiner Wahlheimat. 

Dirigieren mit Vertrauen

Wenn seine Zeit es zulässt, besucht er gerne deren Konzerte in der Philharmonie, und schon manches Mal habe er sich dabei vorgestellt, einmal selbst auf dem Podium zu stehen, »aber noch nicht jetzt, sondern eher, wenn ich älter bin, mit 60 vielleicht«, erzählt er. Nun wird dieser Traum für den 46-Jährigen aber viel früher Wirklichkeit. Sprachlos war er anfangs, als er die Nachricht bekam, doch dann sei ein kleiner Jubelschrei aus ihm herausgebrochen, gesteht der sonst eher zurückhaltende Yamada. Sein Amtsantritt beim CBSO – er tritt dort in die Fußstapfen berühmter Vorgänger wie Andris Nelsons oder Sir Simon Rattle – sei der Gamechanger gewesen: »Seit ich dort Musikdirektor bin, kommen mehr und mehr Anfragen großer Orchester.« 

Kazuki Yamada und das CBSO, das scheint ohnehin eine Idealbesetzung zu sein. In einem Interview schwärmte einer der Stimmführer des Orchesters: »Er vertraut uns – und das lässt alle Musiker aufblühen, weil sie sich nicht unter Druck gesetzt fühlen«. Es sei aber nicht nur das Vertrauen, sondern auch eine »kristallklare Vision von der Musik. Nie gibt es irgendeinen Zweifel daran, wie die Dinge sein sollen. Er weiß. genau, was in jedem Bereich des Orchesters los ist, es ist fast schon beängstigend, was für einen unglaublichen Überblick er hat«. Eine solche Charakterisierung korrespondiert mit Yamadas Arbeitsethos: »Wenn ich zum ersten Mal vor einem Orchester stehe, versuche ich dessen Tradition und die Atmosphäre zu erspüren. Manchmal kann ich Dinge justieren, manchmal ist es aber besser, den Ideen des Orchesters zu folgen. Es ist wie eine Kommunikation ohne Worte«. Das erste Aufeinandertreffen mit einem Orchester, wie im Juni mit den Berliner Philharmonikern, empfindet er dabei immer auch als »eine Art Mysterium«.

Ein Repertoire zwischen Ost und West

Mit der »Orgelsymphonie« von Camille Saint-Saëns steht ein Werk auf seinem Debüt-Programm, das er schon oft dirigiert hat. »Ich liebe die Französische Musik, sie ist eine tragende Säule in meinem Repertoire«, sagt er, »während die erste Konzerthälfte nicht so typisch für mich ist«. Nach Respighis symphonischer Dichtung Fontane di Roma, in der die Fontänen römischer Brunnen in reichen Orchesterfarben gewaltig glitzern, steht mit dem geheimnisvollen I Hear the Water Dreaming des japanischen Komponisten Tōru Takemitsu ein Werk auf dem Programm, das Yamada zum ersten Mal dirigiert; den Solopart übernimmt mit Emmanuel Pahud der Soloflötist der Berliner Philharmoniker. Takemitsu schlägt dann wiederum die Brücke von den musikalischen Wasserspielen der ersten Konzerthälfte zur prachtvollen »Orgelsymphonie« der zweiten, denn »er ist in seiner Musik stark beeinflusst von den französischen Komponisten der Moderne«. 

Bei allen Erfolgen in Europa und den USA pflegt Kazuki Yamada, der eine Zeit lang eng mit dem Anfang 2024 verstorbenen Seiji Ozawa gearbeitet hat, auch weiterhin die Verbindung zu seinem Heimatland: Schon kurz nach seinem Amtsantritt in Birmingham war er 2023 mit dem CBSO auf Tournee in Japan und im vergangenen Jahr bereiste er das Land auch mit dem Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo. Außerdem war er sechs Jahre lang Erster Gastdirigent des Yomiuri Nippon Symphony Orchestra und gastiert weiterhin regelmäßig bei großen japanischen Orchestern. Und dann sieht er auch noch einen Zusammenhang zwischen der japanischen Sprache und der Musik. »Im Japanischen kann selbst ein kurzes Wort mit nur wenigen Buchstaben viele unterschiedliche Bedeutungen haben, die man erst entschlüsseln muss. Diese Vorstellungskraft hilft mir beim Lesen einer Partitur, deren Noten auch verschiedene Deutungsmöglichkeiten haben«.