Das kleine Klavierlexikon

Etuden, Nocturne, Impromptu, Sonaten und Co.

Prélude, Nocturne, Sonate, Etüde – wer einen Klavierabend besucht, wird oft mit einer Fülle von Werkbezeichnungen konfrontiert. Was bedeuten diese Namen und was macht diese Stücke aus? In unserem kleinen Klavierlexikon stellen wir Ihnen sukzessive die wichtigen Genres der Klaviermusik vor.

Was ist eine Mazurka?

Was der Wiener Walzer für Österreich ist die Mazurka für Polen: Ein Tanz, der untrennbar mit der Identität der Nation verbunden ist. Wie der Walzer schwingt auch die Mazurka im Dreiertakt. Allerdings: Anders als der Walzer, dessen Rhythmus immer den Anfang des Taktes akzentuiert, sitzen die rhythmischen Schwerpunkte bei der Mazurka auf der eigentlich unbetonten zweiten oder dritten Note des Takts. Das verleiht dem Tanz einen lebhaften, archaischen Charakter. Dieser wird durch die Melodik unterstrichen, die meist auf alten Tonskalen der Volksmusik basiert.

Vom Volks- zum Gesellschaftstanz

Der Ursprung der Mazurka (polnisch: Mazurek) liegt in Masowien, einem Gebiet rund um Warschau. Zunächst ein beliebter Sprung- und Drehtanz der ländlichen Bevölkerung fanden ab 1600 auch die höheren Kreise der polnischen Gesellschaft Gefallen daran. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts verwendete man die Mazurka gerne als Tanzeinlage bei Opern- und Ballettaufführungen. Und mehr noch: Von Polen aus eroberte sie damals auch als Gesellschaftstanz die Salons in ganz Europa.

Politisches Statement

Dass die Mazurka Eingang in die Klaviermusik fand, verdankt sie vor allem Frédéric Chopin. Der polnische Komponist und Klaviervirtuose lebte aufgrund der politischen Unruhen, die sein Heimatland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen die russische Fremdherrschaft erlebte, seit 1831 in Paris. Im französischen Exil avancierte er zu einem gefeierten Künstler. Die Sehnsucht nach Polen inspirierte ihn zu seinen Mazurken – wunderbar poetische Klavierstücke, die die Atmosphäre des polnischen Volkstanzes aufgreifen, sie stilisieren und doch etwas ganz Eigenes sind. Chopin drückte zudem in den Mazurken seinen Nationalstolz aus, machte sie zu einem Statement für die Freiheit Polens. Viele polnische Komponisten nach Chopin haben Mazurken für das Klavier geschrieben, zu den bedeutendsten gehören die Kompositionen von Karol Szymanowski, der Chopins Modell stilistisch weiterentwickelt und in eine moderne Klangsprache überführt hat.


Was ist ein präpariertes Klavier?

Ein Klavier kann so viel mehr sein als ein Klavier: Schlagzeug, Geräuschmaschine, Gamelanorchester (Bezeichnung für ein Instrumentalensemble aus Indonesien)  …  Für die Komponisten des 20. Jahrhunderts war das Klavier nicht mehr nur ein Melodie- und Harmonieinstrument, sondern sie machten es zum Experimentallabor für neue Klänge. Béla Bartók, Igor Strawinsky oder Sergej Prokofjew entdeckten seine perkussiven Qualitäten, setzten seine rhythmische Schlagkraft ein. Der Pianist und sein Instrument wurden zum rhythmischen Motor einer Komposition.

Klavier als Experimentallabor

Der amerikanische Komponist Henry Cowell kam noch auf andere Ideen: Er griff mit seinen Händen direkt in die Klaviersaiten, die er zupfte, wischte oder kratzte. Somit entlockte er dem Klavier ganz ungewohnte Töne. Diese Technik nannte er String Piano. Sie wurde von seinem Schüler John Cage weiterentwickelt, indem dieser Papier- oder Filzstreifen durch die Saiten zog, Schrauben, Bolzen, Hölzer oder verschieden harte Radiergummis zwischen die Saiten klemmte. Diese Gegenstände veränderten ihr Schwingungsverhalten. Wenn der Pianist nun in die Tasten griff, verfremdete sich der Klang des Klaviers so extrem, dass eine ganz neue klangliche Welt entstand. Das »prepared piano« war geboren.

Großer Zeitaufwand für neue Klangwelten

John Cage gilt als Vater des präparierten Klaviers. Es wurde für ihn zu einer unerschöpflichen Quelle der Forschung. Er hatte ganz genaue Klangvorstellungen, die er in detaillierten Beschreibungen festhielt, wie das Instrument einzurichten sei. In seinem Stück Daughters of the Lonesome Isle beispielsweise hört sich das Klavier wie ein Gamelanorchester an, ein indonesisches Instrumentalensemble, dessen charakteristischer Sound vorwiegend durch Bronzegongs und Metallophone erzeugt wird. Cages‘ Idee machte Schule und wurde von vielen zeitgenössischen Komponisten aufgegriffen. Einfach hinsetzen und in die Tasten hauen, geht bei Werken für präpariertes Klavier allerdings nicht. Die vorherige Präparierung des Instruments ist ziemlich zeitaufwändig und kann Stunden dauern.


Was ist eine Klaviersonate?

Wer Klavier spielt – egal, ob Profi oder Laie – kommt an ihr nicht vorbei: die Klaviersonate. Doch was genau macht sie aus? Der Begriff »Sonata« kommt aus dem Italienischen und bezeichnet seit der Barockzeit ein rein instrumental gespieltes Musikstück – als Gegensatz zur gesungenen »Canzone«. Die Klaviersonate, wie wir sie heute kennen, ist ein Kind der Wiener Klassik (ca. 1760 – ca. 1825). Die Erfindung und Weiterentwicklung des Hammerklaviers eröffnete den Komponisten in Hinblick auf die solistische Musik für Tasteninstrumente ganz neue Möglichkeiten: Dynamik und Klangfarben konnten sehr viel differenzierter gestaltet werden als auf dem bislang gebräuchlichen Cembalo.

Erfolgsmodell in drei Sätzen

Hinzu kam während der Wiener Klassik ein Wandel der musikalischen Ästhetik: Es wurde nicht mehr – wie zu Barockzeiten – ein musikalischer Gedanke etabliert und fortgesponnen. Vielmehr prallten in einem Musikstück zwei kontrastierende Themen aufeinander, die zerlegt, verarbeitet und wieder zusammengefügt wurden. Dieses kontrastierende Prinzip bestimmt die große orchestrale Form der Symphonie ebenso wie die der solistischen Klaviersonate. Letztere war ein Erfolgsmodell in drei Sätzen. Dem ersten, schnellen Satz mit seinen beiden kontrastierenden Themen folgt ein langsamer zweiter Satz von gesanglichem, liedhaftem Charakter. Zum Schluss erklingt nochmal ein schneller, oftmals tänzerisch gestalteter Finalsatz.

Sonate: Von leicht bis schwer

Nahezu jeder Komponist produzierte während der Wiener Klassik Klaviersonaten – und zwar in jedem Schwierigkeitsgrad. Die Sonate gehörte zu den wichtigsten Formen der musikalischen Unterhaltung. Tonangebend waren Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven, die in diesem Genre Maßstäbe setzten. Umfasste eine Klaviersonate von Haydn noch durchschnittlich 255 Takte, so brauchte Beethoven bereits 560 Takte für seine Sonaten, der diese immer komplexer und virtuoser konzipierte. In der Romantik steigerte sich die Klaviersonate noch hinsichtlich des poetischen Ausdrucks, des harmonischen Klangfarbenreichtums und der technischen Virtuosität – allerdings galt ihre Form bereits als veraltet. So schrieb Robert Schumann, die Sonate habe »mit drei starken Feinden zu kämpfen […]. Das Publikum kauft schwer, der Verleger druckt schwer, und die Komponisten halten allerhand, vielleicht auch innere Gründe ab, dergleichen Altmodisches zu schreiben«. Ganz aus der Mode kam die Klaviersonate aber nie. Davon zeugen auch die Sonaten, die Komponisten wie Béla Bartók, Leoš Janáček oder Igor Strawinsky im 20. Jahrhundert geschrieben haben. Und so gilt nach wie vor: Wer Klavier spielt – egal, ob Profi oder Laie – kommt an der Klaviersonate nicht vorbei.


Was ist ein Impromptu?

Fast jeder von uns fühlte sich als Kind von einem Klavier magisch angezogen: Deckel auf und mit allen zehn Fingern rein in die weißen und schwarzen Tasten! Das klangliche Ergebnis hörte sich, sofern wir nicht bereits pianistisch geschult waren, meist schrecklich an – aber genau darauf basiert das Prinzip des »Impromptu«. Der Begriff kommt aus dem Französischen und bedeutet »unvorbereitet«, »improvisiert«. Jemand trägt etwas ganz spontan aus dem Stegreif vor. Im 18. Jahrhundert verstand man darunter vor allem ein Gedicht, das ein*e Schauspieler*in während einer Theateraufführung improvisierte. So weist beispielsweise ein Darsteller in Goethes Singspiel Lila mit folgenden Worten auf den bevorstehenden Vortrag hin: »Da wird ein schönes Impromptu zusammengehext werden«.

Freies Fantasieren am Klavier

Im 19. Jahrhundert übertrug sich der Begriff auf die Klaviermusik. Die Kunst, sich ans Klavier zu setzen und ohne Vorbereitung und längeres Überlegen ein kleines Musikstück zu erschaffen, beherrschten damals Komponisten wie Pianisten. Was als besonders gelungen schien, wurde anschließend notiert und veröffentlicht. Für das Genre Impromptu gelten die Stücke von Franz Schubert, Robert Schumann, Frédéric Chopin, Franz Liszt und Alexander Skrjabin als richtungsweisend. Wie schmal manchmal die Gradwanderung zwischen Improvisation und Komposition war, beschreibt Chopins Lebensgefährtin George Sand: »Chopins Schaffen war spontan, bewundernswert. Seine Ideen kamen, ohne dass er danach suchte, unvorhergesehen. Dann aber begann die entsetzlichste Arbeit, die ich je erlebt habe.« Chopin stellte jede Note infrage, suchte zu verbessern – nur um am Schluss zum ersten Entwurf zurückzukehren.

Leichter, lyrischer Charakter

Im Laufe der Zeit ging der Bezeichnung Impromptu der improvisatorische Gestus immer mehr verloren. Die Abgrenzung zu anderen Klaviergenres verschwimmt. Charakteristisch ist der heitere, liedhafte, verspielter Charakter. Zusammen mit ähnlichen musikalischen Miniaturen wie Moments musicaux, Nocturnes oder Balladen gehören Impromptus zu den vielen lyrischen Klavierstücken, die im 19. Jahrhundert die Gattung der Klaviermusik so bereichern.
 


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