Von: Clemens Matuschek

Entstehungszeit: 1883
Uraufführung: 2. Dezember 1883 im Saal des Wiener Musikvereins mit den Wiener Philharmonikern, Dirigent: Hans Richter
Dauer: 42 Minuten

  1. Allegro con brio – Un poco sostenuto – Tempo primo
  2. Andante
  3. Poco Allegretto
  4. Allegro – Un poco sostenuto

Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 4. Januar 1884, Dirigent: Joseph Joachim

Als Johannes Brahms 1883 kurz vor seinem 50. Geburtstag seine Dritte Symphonie in Angriff nahm, hatte er schon alle Höhen und Tiefen eines Künstlerlebens durchschritten. 30 Jahre zuvor hatte ihn Robert Schumann in einem vielbeachteten Artikel zum Erben Beethovens ausgerufen. Dessen wohlmeinende Eloge (»ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten«) löste allerdings eine schwere Schaffenskrise aus – mehr als zwei Jahrzehnte laborierte Brahms in der Folge an seiner Ersten Symphonie herum, bis er das nötige Selbstbewusstsein aufbrachte, an die Öffentlichkeit und aus Beethovens Schatten zu treten. Parallel feierte er als Pianist Triumphe und machte sich mit Klavier-, Vokal- und Kammermusik einen Namen. Dennoch überging ihn seine Heimatstadt Hamburg gleich zweimal bei der Wahl eines neuen Chefdirigenten für das Philharmonische Orchester und den Chor; Brahms rauschte tief gekränkt nach Wien ab. Und wie um das erreichte Reifestadium zu dokumentieren, ließ sich der vormals schüchterne Nachwuchskünstler mit den sanften Gesichtszügen innerhalb eines Jahres einen stattlichen Vollbart wachsen.

Gut lässt sich aus der Dritten Symphonie heraushören, wie befreit Brahms nun draufloskomponieren konnte. Schon der Kopfsatz im Walzertakt hat von Anfang an etwas Tänzerisches, die Stimmen der Streicher greifen synkopisch ineinander und hebeln dadurch den Takt aus. Im zweiten Themenblock passt Brahms die grazilen Melodien der Holzbläser so ungenau ins Metrum ein, dass sich die Musik ständig verschieben muss. Den heiteren Grundton erfasste auch sein Protegé Antonín Dvořák, der schwärmte: »Dieses Werk überragt seine beiden ersten Symphonien – vielleicht nicht an Größe und mächtiger Konzeption, aber gewiss an Schönheit! Welche herrlichen Melodien sind da zu finden! Es ist lauter Liebe, und das Herz geht einem dabei auf.«

Damit traf er unwissentlich den Nagel auf den Kopf: Brahms war verliebt. Im Frühjahr 1883 lernte er bei einem Konzert in Krefeld die 26-jährige Altistin Hermine Spies kennen und lud sie in sein Sommerdomizil in Wiesbaden ein. Sie nannte ihn ihre »Johannes-Passion«, er schrieb ihr schwärmerische Briefe und zwei Liederzyklen. Zwar wird am Ende nichts aus der Romanze, seiner guten Laune tut das aber offenbar keinen Abbruch. »Habe ich Ihnen nie von meinen schönen Prinzipien erzählt?«, schrieb er einem Freund: »Keine Oper und keine Heirat mehr«.

Folgerichtig hörte Clara Schumann im zweiten Satz »ein Schwärmen und Flüstern, dass man sich ganz wie eingesponnen fühlt in all die Wonnen der Natur«. Für den Ton dieses Idylls sind vor allem die Holzbläser zuständig, während Solohorn und Streicher den dritten Satz im Stile einer elegischen »Valse triste« prägen. Gleichzeitig ist die Symphonie ein Musterbeispiel für Brahmsʼ Art, die einzelnen Sätze durch eine Vielzahl motivischer Querbezüge zu verbinden. So geht fast jede Melodie auf eine einzige Grundfigur zurück: eine aufsteigende Tonfolge, die schon in den mächtigen Akkorden verborgen ist, die das Werk eröffnen. Die innere Verknüpfung zeigt sich besonders deutlich im letzten Satz, der viele Figuren wieder aufgreift. Ganz offensichtlich ist das wörtliche Zitat des Hauptthemas aus dem Kopfsatz in den letzten Takten der Symphonie. Diese subtilen Verwandtschaften sorgen dafür, dass man das Stück unterschwellig als geschlossenes Ganzes wahrnimmt.

Am Ende stellte weniger die Komposition als vielmehr die Uraufführung ein Problem für Brahms dar. Nicht, weil niemand das Werk hören wollte, sondern weil sämtliche befreundeten Dirigenten Schlange standen, um die Premiere leiten zu dürfen. Brahms war endgültig im symphonischen Olymp angekommen.