Einmalig – Leonard Bernstein bei den Berliner Philharmonikern

Zum 100. Geburtstag des Ausnahmekünstlers

Leonard Bernstein 1979
(Foto: Gustav Zimmermann/Archiv Berliner Philharmoniker)

Nur ein einziges Mal arbeitete Leonard Bernstein, der am 25. August 2018 100 Jahre alt geworden wäre, mit den Berliner Philharmonikern zusammen: 1979 gab er im Rahmen der Berliner Festspiele zwei Konzerte, in denen er Mahlers Neunte Symphonie dirigierte. Der damalige Intendant der Festspiele Ulrich Eckhardt, der maßgeblich am Zustandekommen dieses Auftritts beteiligt war, erinnert sich an den spektakulären Coup.

»Der lange Kampf für die Durchsetzung der Menschenrechte dauert noch an. Es ist heute wichtiger denn je, dass wir an diesem Kampf dort mitwirken, wo immer in der Welt diese Rechte verweigert werden. Ich wünsche mir sehr, dass dieses Konzert zu vielen anderen ähnlichen Aktionen für die Freiheit inspiriert.« – So schrieb mir Leonard Bernstein, nachdem wir das Engagement für die zwei Konzerte der 29. Berliner Festwochen mit Mahlers Neunter Symphonie und dem Berliner Philharmonischen Orchester am 4. und 5. Oktober 1979 besiegelt und vereinbart hatten, dass sie exklusiv Amnesty International gewidmet sind.

Ein besonders Ereignis

Seine Ankunft zu den Vorbereitungen eine Woche zuvor: Ein Sturmwind fuhr durch die Philharmonie und fegte Gewohnheiten und eingeübte Rituale hinweg. Orchestermitglieder wie Organisatoren erlebten ein völlig verändertes, erfrischendes Klima in der Arbeit und im Umgang. Nur wer dabei war, kann ermessen, wie radikal anders sich die Proben mit Bernstein gestalteten – anschaulich beschrieben und nachzulesen in den Erinnerungen von Hellmut Stern und Peter Brem. Aus Erstaunen und Verblüffung wurde sehr rasch Zuneigung; die Ausdehnung der Arbeitszeiten wurde aus Überzeugung akzeptiert. Es ist überliefert, dass Herbert von Karajan den Weg seines Gegenspielers im symphonischen Hochgebirge – besonders im Mahler-Massiv – aufmerksam verfolgte. Beide waren sich einander nicht wie Freunde zugetan; aber sie respektierten sich gegenseitig ohne jegliche Animosität.

Dass Bernstein zuvor nie als Gastdirigent »seiner« – Karajans – Berliner Philharmoniker aufgetreten war, obwohl er seit Langem als Weltstar galt, war keinesfalls die Folge eines Verdikts vonseiten Karajans. Dass es eines Tages dann doch geschah, grenzt an ein Wunder, das indessen auf einer ganz diesseitigen glücklichen Konstellation basierte: Der strenge Intendant Wolfgang Stresemann – in den Jahren seines Exils in den USA als Bruno Walters Assistent und Chefdirigent in Toledo (Ohio) gewiss mit Bernstein bekannt – lud ihn mehrfach nach Berlin ein. Aber er hielt eisern an seinem Prinzip fest, Gastdirigenten hätten in Abonnementskonzerten aufzutreten. Bernstein hatte eine Abneigung gegen die traditionellen Strukturen des Konzertwesens mit Abo-Pflichtbesuchen, befürchtete mangelnde Begeisterungsfähigkeit und bestand ebenso unnachgiebig auf Sonderkonzerten im freien Verkauf – was dem Prinzip von Festspielen entspricht.

Glückliche Konstellation

So war der erste Grundstein gelegt. Aber es musste noch eine persönliche Beziehung hinzukommen: Dorothee Koehler – mir schon in Bonn und dann den Berliner Festwochen, deren Mitarbeiterin sie später wurde, eng verbunden – hatte soeben Bernsteins Repräsentanz für Europa übernommen; sie kannten sich aus der künstlerischen Allianz mit der Deutschen Grammophon, seinerzeit eine musikalische Weltmacht. Und als dann als Drittes die Hommage an Amnesty International hinzukam, war der Pakt schnell besiegelt. Alle Einnahmen flossen in die Arbeit von Amnesty, und Bernstein verzichtete auf sein (nicht unbeträchtliches) Honorar. In diesem außergewöhnlichen Fall erwies es sich einmal mehr als Segen, dass die Berliner Festwochen (den damals bestehenden vertraglichen Regelungen gemäß) während der Septemberwochen die Programmhoheit in der Philharmonie innehatten; das Orchester (einschließlich seines Chefdirigenten) spielte im Dienst der Festwochen, und deren Intendant entschied über Werke, Solisten und Dirigenten.

Ungeklärt bis heute blieb, warum eine erneute Zusammenarbeit des Orchesters mit Bernstein niemals möglich wurde. Am Orchester kann es nicht gelegen haben, denn in den ausladenden und intensiven Proben wurde ein wahres Feuer der Verständigung entfacht, was zu Höchstleistungen animierte. Es ist weder verbürgt noch nachweisbar, dass der »Chef« – wie Karajan von den Philharmonikern genannt wurde – eine Wiederkehr Bernsteins direkt verhindert hätte.

Nachspiel

Ein unglückliches Nachspiel: Weihnachten 1989 – die Berliner Mauer war gefallen, Karajan im Juli gestorben. Als Homo Politicus trieb es Bernstein an den Ort, wo Weltgeschichte, die Aufhebung der Ost-West-Konfrontation sich ereignete. Er wollte Beethovens Neunte zu diesem Anlass aufführen und dem Chor empfehlen, »Freiheit« statt »Freude« zu singen. Als nunmehr amtierendem Intendanten der Philharmoniker erreichte mich seine Anfrage, ob das Berliner Philharmonische Orchester (so hieß es damals noch) bereitstünde. Es wäre die zweite Begegnung geworden – sie kam nicht zustande.

Bernstein ließ von seinem Plan nicht ab und schaffte es, mit einem auf der Basis des ihm verbundenen Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und Gästen zusammengestellten Klangkörper die unvermeidliche (Freiheits-)Neunte sowohl im Ost-Berliner Schauspielhaus als auch in der Philharmonie erklingen zu lassen. Bernstein starb im Oktober 1990. Für ihn waren diese Berliner Zwillingskonzerte von hoher Symbolik für sein lebenslanges politisches Engagement. Wer ihn damals erlebte, war tief beeindruckt von der Würde und dem Pathos, das seinen Glauben an eine bessere Welt und seine Hoffnung auf den Weltfrieden bezeugte.

Der Text ist die gekürzte Fassung des Beitrags von Ulrich Eckhardt für das Magazin 128 (Band 04/2017), dessen Ausgaben in unserem Online-Shop und im Shop der Philharmonie erhältlich sind.

Leonard Bernstein bei der Probe
(Foto: Reinhard Friedrich)
Während des Konzerts
(Foto: Archiv Berliner Philharmoniker)
Beim Schlussapplaus
(Foto: Archiv Berliner Philharmoniker)
Backstage mit dem Cellisten Rudolf Weinsheimer
(Foto: Archiv Berliner Philharmoniker)

Video


Bernsteins Werke bei den Philharmonikern

Die Werke Leonard Bernsteins fanden erst spät Eingang in das Repertoire der Berliner Philharmoniker. 1992 erklang erstmals ein Stück des amerikanischen Komponisten in einem philharmonischen Konzert: The Age of Anxiety mit Jeffrey Siegel als Solist und Leonard Slatkin am Dirigentenpult. In den folgenden Jahren wurden vor allem die Candide-Ouvertüre und die Symphonischen Tänze aus der West Side Story immer wieder gerne in die Programme der Waldbühnen- und Silvesterkonzerte aufgenommen. Im Juni 2018 führte das Orchester unter der Leitung ihres scheidenden Chefs Sir Simon Rattle Symphonie Nr. 2 The Age of Anxiety auf (Solist: Krystian Zimerman). Wenn die Philharmoniker im November 2018 durch Asien touren, sind Bernsteins Symphonie Nr. 1 Jeremiah und sein Divertimento für Orchester Teil des Reiseprogramms.