In dieser Rubrik stellen wir Berliner Philharmoniker und ihre außermusikalischen Leidenschaften vor. Diesmal Bratscher Walter Küssner, der gerne Ordnung in alte Papierstapel bringt.
Kinder werden schon immer gern gefragt, was sie denn einmal werden wollen. Der junge Jean-Paul Sartre soll mit »Mörder« darauf geantwortet haben. »Ich hatte die Wahl: Schriftsteller oder Verbrecher«, schreibt er in seinem Buch Les Mots, »ich entschied mich für das Schreiben.« Ganz anders Walter Küssner, seinen Berufswunsch artikulierte er klar und deutlich: Berliner Philharmoniker! Der Junge hat zwar keinen blassen Schimmer davon, was ein Philharmoniker genau macht, doch irgendwie hat er mitbekommen, dass die Berliner Musikerinnen und Musiker die Besten der Welt seien – und da will er dazugehören.
Doch bis Walter Küssner Anfang 1989 Mitglied in der Bratschengruppe der Philharmoniker wird, ist es noch ein weiter Weg. Eigentlich will Walter Küssner lieber Cello lernen, aber das spielt schon der Bruder. Außerdem gibt es an der Schule die Möglichkeit, eine Bratsche auszuleihen und so wählt er dieses Instrument. Zugleich hegt er noch eine Leidenschaft für die Disziplin, um die die meisten Kinder einen weiten Bogen machen – die Mathematik.
Walter Küssner gewinnt Preise beim Bundeswettbewerb Mathematik, erhält den Mathematikpreis des Landes Rheinland-Pfalz und darf die Schule zwei Jahre früher beenden. Sein großes Interesse gilt damals der Zahlentheorie. An der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beginnt er ein Mathematikstudium, das er allerdings nach kurzer Zeit abbricht. Denn die Liebe zur Musik ist größer und bestimmt von nun an sein Leben. Walter Küssner studiert zunächst bei Jürgen Kussmaul in Düsseldorf, bevor er bei Kim Kashkashian in New York Privatunterricht nimmt.
Die Stunden verdient er sich, indem er auf dem Broadway Blitzschach um Geld spielt. Walter Küssner ist ein guter Spieler, sodass er die nötige Summe schnell beisammenhat. Nach einem halben Jahr in der Stadt am Hudson River zieht es ihn weiter nach St. Louis, wo er sich bei Michael Tree, einem Gründungsmitglied des berühmten Guarneri Quartets, den letzten Schliff holt. Zurück in Deutschland wird Walter Küssner 1987 Mitglied des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks in München, bevor er zwei Jahre später an die Spree wechselt.
Bei den Philharmonikern entwickelt er eine weitere Leidenschaft, nämlich die für Autografen. Inspiriert von zwei älteren Kollegen, die Handschriften sammeln, erwirbt Walter Küssner das erste Schriftstück. Er sammelt fortan Briefe, Fotos und Partituren – und gräbt sich damit tief in die Geschichte seines Orchesters. Als der philharmonische Geiger Bernd Gellermann Berlin verlässt, um Intendant der Münchner Philharmoniker zu werden, übernimmt Walter Küssner von ihm die Verantwortung für das Archiv.
»Zu Beginn bestand das Archiv aus ein paar Regalmetern, die uns das Staatliche Institut für Musikforschung zur Verfügung gestellt hatte«, weiß er zu berichten. Der neue Archivbeauftragte sucht den Kontakt zu den älteren Kollegen, die sich bereits im Ruhestand befinden, führt Zeitzeugeninterviews und kann zahllose Dokumente sichern. »Ich habe ganze Nachlässe mit dem Auto abgeholt«, erinnert sich Walter Küssner lächelnd. Das Archiv wächst und gedeiht derweil.
Die Aufarbeitung der Geschichte der Berliner Philharmoniker im Nationalsozialismus liegt Walter Küssner besonders am Herzen. Gut elf Jahre arbeiten er und der Historiker Misha Aster an dieser Thematik, bis Aster zur 125-Jahr-Feier des Orchesters im Frühjahr 2007 die vielbeachtete Studie Das Reichsorchester vorlegen kann. »Dass diese Auseinandersetzung als echtes Bedürfnis des Orchesters von innen heraus entstand, und zwar ohne Druck von außen, darauf bin ich wirklich stolz«, bekennt Walter Küssner.
Und welche Rolle spielt Mathematik noch in seinem Leben? Die Mathematik habe in den zurückliegenden Jahrzehnten eine enorme Entwicklung genommen, so Walter Küssner, und er habe da den Anschluss verloren. »Aber zwei meiner Kinder haben Mathematik studiert«, sagt er lächelnd, »das reicht«.
Walter Küssner
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