Der Gambist und Dirigent Jordi Savall ist in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Quasi im Alleingang verhalf er seinem Instrument, der Gambe, zu internationaler Popularität. Er entdeckte unzählige musikalische Schätze aus Renaissance und Barock, gründete drei berühmte Alte-Musik-Ensembles und ist ein gefragter Pädagoge und Komponist. In dieser Saison können Sie Jordi Savall in all seinen Facetten erleben, unter anderem bei seinem Debüt als Dirigent der Berliner Philharmoniker.
Jordi Savall hält nicht viel von den Etiketten, die man ihm und seiner Musik anzuheften versucht. »Ich bin Musiker«, erklärt er trocken, »mein Spezialgebiet ist die Viola da Gamba.« Als junger Mann, der gerade das Cello für sich entdeckt hatte, stöberte Savall in den 1960er-Jahren auf der Suche nach unbekanntem Repertoire durch Bibliotheken und Antiquariate in Paris und stieß dabei auf bisher vernachlässigte Musik für die Gambe – eben jenes faszinierende historische Instrument, das äußerlich einem Cello ähnelt, mit seinen sechs bis sieben Saiten jedoch eine ganz eigene Spieltechnik erfordert. Quasi als Autodidakt erforschte er diese neue musikalische Welt anhand historischer Traktate, bis er als Student an der renommierten Schola Cantorum in Basel angenommen wurde – eine Einrichtung, der Savall seit 1974 selbst als Lehrer verbunden ist.
Die Neugier auf Unbekanntes und ein gewisser Forscherdrang durchziehen Savalls gesamtes künstlerisches Schaffen: »Ein vergessenes Werk zu entdecken ist wie ein Fenster in eine verlorene Seele zu öffnen.« Die traditionelle Musik seiner katalanischen Heimat liegt ihm dabei ganz besonders am Herzen, doch stellt er sie meist in einen globalen Zusammenhang. Die Geschichte Spaniens als Handels- und Kolonialmacht, die Begegnungen mit der muslimischen und jüdischen Welt des Vorderen Orients spiegeln sich in vielen seiner Programme. Das Konzert Der Garten der Hesperiden am 29. November im Rahmen des Barock-Wochenendes der Philharmonie ist ein schönes Beispiel dafür: Savall ist als Gambist zusammen mit seinem legendären Ensemble Hespèrion XXI zu erleben.
»Die Feinde der Menschheit sind Ignoranz, Hass und Egoismus«, sagt Savall – und mit großem sozialem wie künstlerischem Engagement bekämpft er diese gesellschaftlichen Tendenzen. Seine Programmgestaltung ist dabei ebenso entscheidend wie seine Ensembles, in denen nicht nur Musiker unterschiedlicher Kulturen und musikalischer Traditionen zusammenkommen – für ihn »ist die Differenzierung zwischen klassischer Musik und Folkmusik oder traditioneller Musik unnatürlich und im Grunde inkorrekt« –, sondern in denen auch die Generationen voneinander lernen.
Das 1989 von Savall gegründete Concert des Nations ist weltweit das einzige Orchester, das bewusst halb mit jungen und halb mit älteren, erfahrenen Mitgliedern besetzt ist, meist aus dem romanischen Sprachraum und Lateinamerika. Eine ähnliche pädagogische Strategie verfolgt Savall auch mit seinem Chor Capella Reial de Catalunya und dem 2021 entstandenen Spezialensemble Capella Nacional de Catalunya, das sich ganz der historischen Aufführungspraxis verschreibt. Zusammen mit Le Concert des Nations gastiert dieser Chor der Superlative am 16. März 2026 in der Philharmonie mit einem reinen Mozart-Programm: dem Klarinettenkonzert und dem Requiem. Letzteres, so gesteht Savall, sei für ihn von besonderer Bedeutung, denn eine Schulaufführung des Werkes brachte ihn als Teenager nicht nur in Kontakt mit der klassischen Musik, sondern weckte auch seine Liebe zum Cello.
Savalls langjährige Muse und engste künstlerische Partnerin war seine Frau, die Sopranistin Montserrat Figueras, die seit 1974 als Mitgründerin von Savalls drei großen Ensembles maßgeblichen Anteil an deren künstlerischer Ausrichtung und Entwicklung hatte. Nach ihrem Tod 2011 war Savall nahe daran, die Musik ganz aufzugeben, doch schließlich entschied er sich, ihre künstlerische Vision von Musik als Brücke zwischen den Kulturen weiterzuführen: »Musizieren ist im Kern eine wortlose Geste der Liebe, absolut existenziell und unerlässlich zum Glücklichsein.«
Savalls musikalischer Kosmos erstreckt sich weit über die Alte Musik hinaus. Seine Aufführungen und die von der Kritik und dem Publikum gefeierten Aufnahmen umfassen Orchesterwerke von Mozart, Mendelssohn und Schubert sowie sämtliche Symphonien Beethovens, und auch diese Musik interpretiert er immer im Geiste der historischen Aufführungspraxis – allerdings weit entfernt von dogmatischem Historizismus: »Authentizität ist relativ, und Kunst ist keine Wissenschaft.«
Denn auch Aufführungen mit historischen Instrumenten und Spieltechniken können immer nur Annäherungen an die Musik vergangener Jahrhunderte sein. »Es gibt keine Maschine, die uns sagt, ob das, was wir machen, fünfzig, sechzig oder hundert Prozent authentisch ist.« Erst die Kombination von musikhistorischem Wissen, Experimentierfreude und technischer Souveränität ermöglicht es, theoretisch und musikalisch fundierte Entscheidungen zu treffen und einen frischen Zugang zu jahrhundertealten Werken zu öffnen. Im Zentrum von Savalls Musizieren steht denn auch, Gefühle und Emotionen für moderne Menschen aus alter Musik zu locken.
Mit dieser Art der Ensembleleitung wird Savall auch den Berliner Philharmonikern begegnen. Anfang Dezember dirigiert er sie zum ersten Mal. Das Programm dieses langerwarteten Debüts ist wie ein Querschnitt durch Savalls künstlerischen Kosmos: Eine von ihm selbst zusammengestellte Orchestersuite Aus Jean-Philippe Rameaus selten zu hörender pastoraler Oper Naïs von 1749, Christoph Willibald Glucks expressiver und bahnbrechender Ballettmusik Don Juan aus dem Jahr 1761 und Mozarts Jupiter-Symphonie von 1788.
Weniger dramatisch, aber sicherlich genauso funkelnd ist das reine Barockprogramm, mit dem Savall dann am 11. Januar die Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker leiten wird. Savall ist immer sehr selektiv in der Auswahl seines Repertoires. Musik auf eine tiefe, persönliche Art zu entdecken und aufzuführen sei wie menschliche Bindungen aufzubauen: »Man beginnt mit einem Interesse, einer Sympathie, aus der im Laufe der Zeit eine tiefe Beziehung wachsen kann – oder auch nicht.« Die französische Barockmusik spielt dabei immer eine besondere Rolle – nicht zuletzt wegen deren umfangreichem Repertoire für die Viola da Gamba – und auch dem französischen Musiktheater hat sich Savall zunehmend gewidmet.
Das Konzert mit der Karajan-Akademie beginnt mit einer Orchestersuite aus der Oper Alceste von Jean-Baptiste Lully, dem Vater der französischen Oper, und Händels Londoner Feuerwerksmusik beschließt das Konzert. Dazwischen gibt es eine Wassermusik – allerdings nicht Händels, sondern die ebenso mitreißende Orchestersuite seines Freundes und Kollegen Georg Philipp Telemann, die den bezeichnenden Untertitel Hamburger Ebb’ und Fluth trägt.
Großer Saal
Berliner Philharmoniker
Jordi Savall Dirigent
Werke von
Jean-Philippe Rameau, Christoph Willibald Gluck und Wolfgang Amadeus Mozart
Jean-Philippe Rameau
Naïs, Suite zusammengestellt von Jordi Savall
Christoph Willibald Gluck
Don Juan, Ballett
Pause
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie Nr. 41 C-Dur KV 551 »Jupiter«
Großer Saal
Berliner Philharmoniker
Jordi Savall Dirigent
Werke von
Jean-Philippe Rameau, Christoph Willibald Gluck und Wolfgang Amadeus Mozart
Jean-Philippe Rameau
Naïs, Suite zusammengestellt von Jordi Savall
Christoph Willibald Gluck
Don Juan, Ballett
Pause
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonie Nr. 41 C-Dur KV 551 »Jupiter«
Kammermusiksaal
Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker
Jordi Savall Dirigent
Werke von
Jean-Baptiste Lully, Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel
Jean-Baptiste Lully
Alceste ou Le triomphe d’Alcide, Orchestersuite
Georg Philipp Telemann
Ouvertürensuite C-Dur TWV 55:C3 »Wassermusik: Hamburger Ebb’ und Fluth«
Georg Friedrich Händel
Feuerwerksmusik HWV 351
Großer Saal
Le Concert des Nations
Jordi Savall Leitung
Francesco Spendolini Klarinette
Capella Nacional de Catalunya
Werke von
Wolfgang Amadeus Mozart
Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Klarinette und Orchester A-Dur KV 622
Francesco Spendolini Klarinette
Pause
Wolfgang Amadeus Mozart
Requiem d-Moll KV 626 (Fassung von Franz Xaver Süßmayr)
Capella Nacional de Catalunya