Der Symphoniker des Films

John Williams dirigiert John Williams

John Williams
(Foto: Jamie Trueblood)

Die Geschichte der Filmmusik wäre eine andere ohne ihn: John Williams. Kinoklassiker wie Star Wars, Indiana Jones und Harry Potter sind untrennbar mit seinen legendären Soundtracks verbunden. Da gibt es unvergessliche, strahlende Themen, eine beeindruckende Vielfalt an Stimmungen und Effekten und zugleich die immer unverkennbare Handschrift des Komponisten. Mit seinem vollen symphonischen Klang schlägt John Williams nicht zuletzt eine Brücke zwischen Spätromantischer Musik und Gegenwart. Jetzt debütiert er als Dirigent bei den Berliner Philharmonikern. Auf dem Programm stehen einige der berühmtesten Partituren seines Schaffens – und damit der Filmmusik überhaupt.

Man stelle sich vor, es wäre zeitgemäße Musik, die das Surren der Laserschwerter untermalt. E-Gitarre, vielleicht Synthesizer-Klänge, um futuristische und außerirdisch anmutende Klänge zu erzeugen. Vielleicht wäre Star Wars (auf Deutsch: Krieg der Sterne) dann eine gewöhnliche Science-Fiction-Reihe geworden, die heute als Produkt ihrer Zeit belächelt würde. Aber Star Wars ist ein Kult-Epos, dessen Verehrung beinahe religiöse Züge annimmt. Und dass es dazu werden konnte, ist maßgeblich John Williams zu verdanken. Ihm und der Tatsache, dass er und Regisseur George Lucas sich für eine nicht-zeitgemäße Musik entschieden haben.

Als der erste Star Wars-Film entstand, war Hollywood-Symphonik im Stil Max Steiners oder Erich Wolfgang Korngolds im Kino längst aus der Mode. Doch John Williams wagte die Rebellion. Er griff für Star Wars auf die Instrumentierung, den Stil und die Leitmotivtechnik Richard Wagners zurück, jenes Spätromantikers, der seinerseits Maßstäbe in Sachen mehrteilige Heldenepen gesetzt hatte. Und so wurde die intergalaktische Coming-of-Age-Geschichte zur Weltraum-Oper, zum universell-zeitlosen Heldenmythos.

Parallelen zu Stil und Leitmotivtechnik Richard Wagners

Die Parallelen zwischen Williams und Wagner sind kaum zu überhören. So verbindet das berühmte Star Wars-Hauptthema stilistisch Siegfrieds Hornruf aus dem Ring des Nibelungen mit einem Marschrhythmus aus der Militärmusik. Diese war Williams gut vertraut: Seinen Militärdienst hatte er als Dirigent und Arrangeur im Musikkorps der US Air Force verbracht. Das Hauptthema ist gleichzeitig das Motiv Luke Skywalkers, das charakteristische Intervall, eine heldisch steigende Quinte, ist dasselbe wie bei Siegfrieds Hornruf. Dieses und viele andere Leitmotive variiert und überlagert Williams immer wieder – etwa das wütend stampfende Thema des Antagonisten Darth Vader oder das Liebesthema von Han und Leia. Und so untermalt die Musik nicht nur die Handlung des Films, sondern erzählt – ganz in der Tradition Wagners – aktiv deren Subtext. Gleiches wendet Williams etwa in Indiana Jones, Harry Potter und Superman an.

Er schätze sich sehr glücklich, für den Film komponieren zu können, erklärte Williams einmal. Denn ohne den Film gäbe es keinen Anlass mehr, diese Art von Musik zu schreiben. Dennoch würde man John Williams nicht gerecht, wenn man ihn als reinen Neoromantiker bezeichnete. Vielmehr ist er ein Mittler zwischen Tradition und Moderne, versiert im Einsatz von Techniken des 20. Jahrhunderts und auch in der Lage, die Grenzen der Tonalität zu sprengen. Seine Musik zum Psychothriller Images (1972) etwa erinnert an Igor Strawinsky oder György Ligeti. Hinzu kommt, dass Williams umfassende Erfahrung als Dirigent von Symphonieorchestern gesammelt hat, etwa von 1980 bis 1993 als Chefdirigent des Boston Pops Orchestra.

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Nicht nur ein Neoromantiker, sondern ein Mittler zwischen Tradition und Moderne

Das virtuose Experimentieren einerseits und das Zelebrieren symphonischer Tradition andererseits unterscheidet John Williams von vielen seiner Kollegen. Und zweifelsohne liegt es an der Komplexität seiner Kompositionen, die weit über reines Untermalen hinausgehen, dass sie so attraktiv für die Aufführung im Konzertsaal sind, mit und ohne Leinwand.

Der Weg zu diesem einzigartigen Williams-Klang war der eines fleißigen Arbeiters am Klavier und am Schreibtisch: Klavierunterricht seit seiner Kindheit, erste Kompositionserfahrung mit der Schulband, Dirigat beim Musikkorps der Air Force, Jobs als Jazz-Pianist und Studium bei Mario Castelnuovo-Tedesco. Im Alter von 24 Jahren kam John Williams, der sich damals noch Johnny nannte, zum Film. Als Studiopianist bei Columbia, später bei 20th Century Fox, war er bei Einspielungen der großen Komponisten des goldenen Zeitalters in Hollywood dabei. Er spielte Klavier in Elmer Bernsteins Die glorreichen Sieben, Adolph Deutschs Manche mögenʼs heiß, Henry Mancinis Frühstück bei Tiffany oder Franz Waxmans Hemingways Abenteuer eines jungen Mannes. Daraus folgten Orchestrierungsaufträge für Deutsch und Dimitri Tiomkin, aber auch zahllose Kompositionsaufträge, vor allem für das Fernsehen, wo er pro Jahr gut 40 Scores für Filme und Produktionen aller möglichen Genres ablieferte. Diese Soundtracks übrigens waren ganz der populären Musik verpflichtet und ebenso erfolgreich wie seine späteren symphonischen Werke.

52 Mal für den Oscar nominiert

1962 wurde John Williams zum ersten Mal für den Grammy nominiert für seinen sehr jazzigen Soundtrack zu Checkmate (aus dem man schon seinen typischen heroischen Bläsereinsatz heraushört). 1968 folgte für seine Musik zu Valley of the Dolls dann die erste von bis heute 52 Oscar-Nominierungen, mit denen er den Rekord als am häufigsten nominierter lebender Mensch hält. Für seine Orchestrierung des Musicals Anatevka gewann er 1972 den ersten von bis heute fünf Oscars. 1975 folgte sein erster Academy Award für eine Originalkomposition, nämlich zu Steven Spielbergs Der weiße Hai. Es sind nur zwei Töne, mit denen Williams das Leitmotiv des Hais erschuf – doch sie bedeuteten seinen absoluten Durchbruch und markierten den Siegeszug eines Erfolgsduos.

Seit Sugarland Express (1974) schrieb John Williams fast alle Filmmusiken für Steven Spielberg, insgesamt für 29 Filme. »Der einzige Mensch, mit dem ich je eine perfekte, innige Beziehung hatte, ist John Williams«, sagte Steven Spielberg einmal. Es ist eine Verbindung, die sowohl von intensiven künstlerischen Debatten als auch von großem Vertrauen geprägt ist. Für Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977), E.T. (1982) und Indiana Jones (1984) saßen Williams und Spielberg mindestens zweimal wöchentlich zusammen, Williams spielte seine Ideen am Klavier vor, sie diskutierten Tempi und Anmutung. Zu seinem berühmten »Raiders March« erklärte John Williams: »Es wirkt so trügerisch einfach, so ein Stück zu finden – mit ein paar wenigen, treffsicheren Tönen, die eine leitmotivische Identifikation mit dem Charakter von Indiana Jones herstellen sollen. Aber ich weiß, dass ich an dem Ding Tage um Tage gearbeitet habe, um etwas zu finden, das richtig klingt. Für mich sind Dinge, die am Ende sehr einfach erscheinen, überhaupt nicht einfach. Einfach klingen sie erst nach einem langen, schwierigen und arbeitsintensiven Prozess.«
 

Als Dienerin des Films versteht Williams seine Musik, etwa wenn diese sich in E.T. zusammen mit dem Fahrrad des Protagonisten in luftige Höhen schraubt. Doch auch umgekehrt ließ Spielberg sich in der Zusammenarbeit von Williams’ Musik leiten – und schnitt z. B. die Verfolgungssequenz aus E.T. so nach Williams’ Komposition, dass die Leitmotive genau mit den Bildinhalten zusammenfallen, deren Text und Subtext sie erzählen.

Er empfinde die Musik als Protagonistin mit dem gleichen Stellenwert wie die Figuren selbst, sagte Steven Spielberg über Indiana Jones. Diese Aussage kann allgemein für unzählige Scores von John Williams gelten – wie auch die folgende Anekdote: Williams soll während der Arbeit an Schindlers Liste zu Spielberg gesagt haben: »Für diesen Film brauchst du einen besseren Komponisten als mich.« – »Ich weiß«, erwiderte Spielberg. »Aber die sind alle tot.«

Antonia Goldhammer


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