In der Saison 2025/26 ist die Geigerin Janine Jansen Artist in Residence der Berliner Philharmoniker. In unserem Interview erzählt sie vom Gefühl der Freiheit auf dem Podium, von Auftritten bei Familienfesten und wechselnden Prioritäten in ihrem Leben. Zuerst allerdings geht es um legendäre Geigen, die sie durch ihre ganze Karriere begleiten.
Janine Jansen, kann es sein, dass Sie auf mehr Stradivaris gespielt haben als jeder andere lebende Mensch?
Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die bei Geigenhändlern solche Instrumente ausprobieren, insofern bezweifle ich das. Was aber stimmt: Ich habe an einem Aufnahmeprojekt mitgewirkt, bei dem es darum ging, zwölf Stradivaris miteinander zu vergleichen. Und was für welche! Darunter waren die beiden Kreisler-Stradivaris, die Milstein-Stradivari und einige Instrumente, die im Tresor aufbewahrt werden und nie das Tageslicht sehen. Es war sehr besonders zu erleben, wie diese Geigen klingen, wenn sie ausnahmsweise gespielt werden.
Auch sonst haben Sie während ihrer Karriere durchgehend auf Stradivaris gespielt. Wie war das am Anfang?
Ich glaube, ich habe meine erste Stradivari im Jahr 2000 bekommen: ein wunderbares Instrument von 1727. Das war eine überwältigende Erfahrung, denn ich hatte nie zuvor auf einer Stradivari gespielt.
Wie kommt man zu einer Stradivari?
Es gab damals eine Stiftung in den Niederlanden, die mir angeboten hatte, mir bei der Suche nach einem Instrument zu helfen. Also haben wir verschiedene Geigen ausprobiert. Das war wahnsinnig beeindruckend, auch weil alle eine unterschiedliche Persönlichkeit haben. Nicht jede Stradivari passte also zwangsläufig zu mir. Auch bei meinem Projekt mit den zwölf Stradivaris hatte ich zu einigen sofort eine Verbindung und zu anderen nicht.
Ist das wie mit Menschen?
Es klingt wie ein Klischee, aber die Art der Beziehung ähnelt sich. Mit manchen Menschen versteht man sich sofort, bei anderen bleibt die Verbindung etwas oberflächlich und damit einfach. Und dann gibt es die komplexen Fälle, wo man nicht genau weiß, wie man damit umgehen soll.
Und wie bei Menschen ändert sich wahrscheinlich die Art der Beziehung mit der Zeit?
Genau. Ich habe meine erste Stradivari ungefähr 15 Jahre lang gespielt. Sie war meine Stimme und ich konnte mir kaum vorstellen, mich von dieser Stimme zu trennen. Aber mit der Zeit habe ich weitere Instrumente ausprobiert und erkannt, dass es noch andere klangliche Dimensionen gibt. Da habe ich mich auf die Suche gemacht. Ich hatte für kürzere Zeit einige andere Stradivaris und spiele nun die Shumsky-Rode-Stradivari – ein unglaubliches Instrument, bei dem ich wieder das Gefühl habe, dass ich mich nie von ihm trennen könnte.
Wenn diese Geige ein Mensch wäre, wie wäre er?
Extrem sensibel, warm, mit einer unendlichen Tiefe … Es gibt so viele Schichten in diesem Instrument. Manche sind verborgen, aber ich habe einen Weg zu ihnen gefunden. Und ich liebe an dieser Geige, dass man einen Ton innerhalb einer Millisekunde formen und verändern kann. Es gibt einfach Leben und Licht in diesem Instrument. Vielleicht ist es nicht das kraftvollste, das ich je gespielt habe – aber es ermöglicht mir ein flexibles, sprechendes Musizieren. Das ist mir letztlich wichtiger als Kraft.
Stradivari ist ein Mythos. Wie sehr beeinflusst Sie das bei der Beurteilung einer solchen Geige?
Ich blende es aus – zumindest hoffe ich das. Klang ist für mich etwas extrem Wichtiges, also konzentriere ich mich ganz darauf. Den Mythos spüre ich am ehesten, wenn ich diese Instrumente in den Händen halte und mir vorstelle, welche Legenden sie vor mir gespielt haben. Es ist ein schöner Gedanke, ihren Klang weiterzuführen.
Jede Stradivari ist unersetzlich. Wie gehen Sie damit um?
Man kann nicht ständig daran denken, sondern gibt auf natürliche Weise auf sein Instrument Acht, wie auf ein Kind. Ich erinnere mich, wie ich meine erste Stradivari bekommen sollte und der Händler sagte, ich könne sie zum Ausprobieren mit nach Hause nehmen. Ich stieg mit der Geige in die Straßenbahn und dachte: »Das ist doch Wahnsinn!«
Wenn man sich Ihren familiären Hintergrund ansieht, erscheint es fast unausweichlich, dass Sie zur Musik eine so intensive Beziehung entwickelt haben.
Ich war zu Hause immer von Musik umgeben und ich habe es geliebt. Mein Vater ist Kirchenmusiker, mein Onkel Sänger, mein Großvater war Chorleiter und auch meine Brüder sind Musiker. Meine Mutter hat sich um die Familie gekümmert, aber auch regelmäßig in Kirchenkonzerten meines Vaters gesungen.
Kann so eine Umgebung auch anstrengend sein?
Bei Familienfesten hieß es oft: »Janine, spiel doch etwas!« Oder zu Weihnachten: »Lasst uns eine Kantate singen!« Gerade als Teenager ist man dann nicht immer begeistert. Aber an sich sind meine Eltern nicht besonders fordernd, sondern haben mich sehr unterstützt. Mein Vater hat mich oft begleitet, wenn ich Stücke gelernt habe. Er wird nächstes Jahr 80 und wir arbeiten immer noch zusammen. In diesem Jahr gehen wir mit der Camerata Salzburg und Vivaldis Vier Jahreszeiten auf Tournee, wobei er das Cembalo spielt. Diese Verbundenheit ist für mich ein großes Glück.
Gab es für Sie überhaupt die Option, keine Musikerin zu werden?
Diese Frage habe ich mir nie gestellt. Ich wollte immer nur Musik machen.
Wäre auch ein anderes Instrument denkbar gewesen?
Ich fühlte mich zuerst zum Cello hingezogen. Du siehst als kleines Kind dieses Instrument und findest es einfach nur schön. Außerdem hat mein Bruder Cello gespielt. Er ist fünf Jahre älter als ich, und natürlich habe ich zu ihm aufgesehen. Aber meine Eltern fanden es besser, dass wir verschiedene Instrumente spielen. Ich war dann sofort von der Geige fasziniert.
Gegenüber dem Cello, das ja Bodenkontakt hat, bietet die Geige eine größere Bewegungsfreiheit. Wenn man Sie auf dem Podium sieht, scheint Ihnen das entgegenzukommen.
Ja, ich habe mich schon immer beim Spielen viel bewegt, wobei das bei diesem Instrument nicht zwangsläufig ist. Es gibt auch Geigerinnen und Geiger, die sich sehr aufrecht halten. Was für den einen eine unnötige Bewegung ist, kann für den anderen unverzichtbar sein, um die Musik und ihre Geschichte zu vermitteln. Das Wichtigste ist für mich: Man muss absolut authentisch sein. Es darf nie so wirken, als sei etwas kalkuliert oder überlegt.
Wobei das Einstudieren eines Stückes ja doch auch Kalkulieren und Überlegen bedeutet.
Das stimmt, aber all dieses Nachdenken muss in den Moment münden, in dem man direkt aus dem Herzen spricht. Da darf nichts dazwischenstehen.
Wie frei fühlen Sie sich, wenn Sie auf die Bühne gehen?
Ich kann nicht sagen, dass ich dann nur noch loslasse. Manchmal bin ich nervös, manchmal mache ich mir Sorgen wegen schwieriger Stellen, manchmal gibt es äußere Faktoren. Am schönsten ist es für mich, all das hinter mir zu lassen, auch wenn das Ergebnis mal nicht perfekt ist.
Wie stehen Sie generell zur Perfektion?
Perfektion kann eine Falle sein. Ich erinnere mich, wie ich Bachs Chaconne aufgenommen habe. Ich hatte eine verrückte Vorstellung von Perfektion und dachte: Alles muss makellos werden, jeder Ton muss genau stimmen, ohne jedes Kratzen. Schließlich ging es um Bach – seine Musik ist so vollkommen, dass sie auch perfekt gespielt werden muss. Aber das Ergebnis sagte nichts aus, es war furchtbar. Also habe ich die Aufnahme wiederholt und diese Idee von Vollkommenheit hinter mir gelassen. Ich habe viel dadurch gelernt, meine Vorstellung von Perfektion hat sich inzwischen grundlegend geändert.
Auch sonst hat Ihre Laufbahn eine neue Richtung genommen. Sie treten zum Beispiel seltener auf.
Ich habe jahrelang unzählige Konzerte gegeben, das hat mir irgendwann nicht mehr gutgetan, bis hin zu einem Burn-out 2010. Also habe ich meine Auftritte deutlich reduziert. Ich habe geheiratet und das Leben zu Hause mit der Familie wurde wichtiger. Dann kam das Unterrichten dazu, das ich sehr mag. Das Leben ist in ständiger Bewegung und entsprechend ändern sich unsere Prioritäten.
Hatten diese neuen Prioritäten auch Einfluss auf Ihre Art des Musizierens?
Wenn du pausenlos Konzerte gibst, an einem Tag eine Uraufführung spielst und am nächsten Tag Tschaikowsky, dann hast du nie wirklich Zeit, Erlebnisse zu verarbeiten. Heute brauche ich Unterbrechungen, um die Wirkung des Gespielten zu spüren. Damit kann ich tiefer in die Musik eintauchen als früher. Diese intensive Auseinandersetzung hinterlässt Spuren – mental, emotional und auch körperlich. Aber ich will diese Intensität. Ich will als Musikerin immer alles geben und mich nicht zurückhalten. Das geht aber nur im Wechsel mit Erholungsphasen.
Viele werden sich an Ihre frühe Aufnahme von Vivaldis Vier Jahreszeiten erinnern. Nicht nur die Interpretation war großartig, sondern auch die Aufmachung. Mit einer Fotostrecke, auf der Sie wie ein Model mit Violine wirken. Gleichzeitig waren Sie ja eine ernsthafte Künstlerin. Haben Sie das als Widerspruch empfunden?
Meine heutige und meine damalige Perspektive sind sicher unterschiedlich. Damals ging es für mich darum, eine gute Interpretation aufzunehmen. Aber auch das Fotoshooting machte Spaß. Ich war 25 und habe mir keine großen Gedanken gemacht. Ich erinnere mich allerdings, dass danach ein Konzert nicht zustande kam, weil der Veranstalter fürchtete, ich sei nicht seriös genug. Das hat mich doch getroffen. Bei einer späteren Aufnahme habe ich mich für ein sehr schlichtes Coverfoto eingesetzt, das nur meine Geige und ein Auge von mir zeigt, nichts vom Körper. Ich sah es und dachte: »Das ist es, was ich will.« Es war ein Prozess des Erwachsenwerdens.
Heute ist es für junge Musikerinnen und Musiker selbstverständlich, sich nicht nur akustisch, sondern auch visuell zu präsentieren. Wie sehen Sie das?
Ich betrachte das mit gemischten Gefühlen. Ich denke, der Druck auf diese Generation ist enorm. Man muss ständig Inhalte für Social Media liefern: Fotos, Videos, Posts und all das. Wenn ich an meine eigenen Erfahrungen und meine Erschöpfung zurückdenke, dann scheint mir vor allem wichtig, dass junge Musikerinnen und Musiker von den richtigen Menschen umgeben sind. Damit man langfristig eine Karriere aufbauen kann, anstatt nur von Konzert zu Konzert zu hetzen.
Lassen Sie uns über Ihre Residency bei den Berliner Philharmonikern sprechen.
Ich freue mich riesig auf die Zusammenarbeit, es gibt so viele wunderbare Projekte. Zum Beispiel stand Brahms’ Violinkonzert mit Kirill Petrenko ganz oben auf meiner Wunschliste. Und jetzt haben wir es tatsächlich im Programm!
Das Brahms-Konzert ist eines der berühmtesten im Repertoire. Was bedeutet das für Sie?
Es ist immer etwas einschüchternd, dieses Werk zu spielen. Aber diesen Gedanken muss ich beiseiteschieben. Ich denke einfach daran, was ich mit diesem Konzert schon alles erlebt habe. Das erste Mal habe ich es mit 16 Jahren im Dom von Utrecht gespielt, mit einem Studentenorchester und meinem Vater als Dirigent. Ich bin von da an immer wieder damit aufgetreten, und nun, 31 Jahre später, nehme ich all diese Erfahrungen mit zu den Berliner Philharmonikern und zu Kirill Petrenko.
Sie treten nicht nur mit dem aktuellen Chefdirigenten auf, sondern auch mit seinem Vorgänger Simon Rattle. Auf dem Programm steht das Erste Violinkonzert von Sergej Prokofjew, das man nach der Uraufführung kritisierte, weil es zu wenig modern sei. Was sind für Sie die Qualitäten dieses Konzerts?
Es ist kein langes Stück, aber perfekt gebaut und sehr subtil. In dieser Partitur gibt es viele wunderbare Details – da tut sich eine magische Welt auf. Und ich liebe die Leichtigkeit, mit der Prokofjew von einer Sekunde auf die andere den Charakter ändert. Es ist ein romantisches, verträumtes Stück, aber gleichzeitig virtuos und kantig. Ein Meisterwerk.
Sie spielen mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker auch Kammermusik. Dieses Genre steht Ihnen besonders nahe, Sie haben in Utrecht sogar ein eigenes Kammermusik-Festival gegründet. Gibt es Dinge, die Sie in dieser Musik tun können, die auf der großen Bühne nicht möglich sind?
Mein erster Impuls wäre, »ja« zu sagen, aber ich frage mich gerade, ob es wirklich so ist. Natürlich gibt es Unterschiede, zum Beispiel in der Dynamik. Ich denke nur, dass man als Musiker immer derselbe bleibt, egal ob man mit einem kleinen oder einem großen Ensemble spielt. Man ist Teil eines Organismus. Aber es stimmt, dass ich die Kammermusik besonders liebe. Gerade bei meinem Festival in Utrecht kann ich die Musikerinnen und Musiker, mit denen ich spiele, selbst auswählen – Menschen, mit denen ich besonders gut zusammenarbeite. Das ist eine wunderbare Erfahrung, sowohl auf als auch neben der Bühne.
Gibt es für Sie bei einer solchen Residency Ziele, die über den Erfolg der einzelnen Konzerte hinausgehen?
Normalerweise tritt man mit einem Orchester alle zwei oder drei Jahre auf, aber wenn man sich häufiger sieht, entsteht etwas Besonderes. Man baut eine Beziehung auf – mit den Musikern, mit dem Publikum. Auch wenn ich das Orchester und viele Mitglieder schon kenne, entsteht so ein tieferes Vertrauen. Das mag ich auch an der Kammermusik: Man wächst miteinander, entwickelt eine gemeinsame Haltung. Vertrauen schafft nicht nur ein Gefühl von Sicherheit, sondern auch die Möglichkeit, Risiken einzugehen. Dadurch kommt es zu einer musikalischen Spannung, auf die ich mich sehr freue. Das ist mein Ziel.
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Die russischen Komponisten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts suchten den Austausch mit der westlichen Musikwelt. Auf der Flucht vor der heraufdämmernden Revolution, vor allem aber getrieben von Neugier am interkulturellen Dialog.
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