Karl Amadeus Hartmann

Concerto funebre

Karl Amadeus Hartmann, um 1935
(Foto: Foto privat, © Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft e. V.)

Viele Komponisten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schrieben Solokonzerte für die Violine, also jenes Instrument, dessen Klang dem der menschlichen Stimme besonders nahe kommt. In diesen Werken scheinen ihre innersten Gedanken angesichts einer Welt in Aufruhr ein passendes Gefäß gefunden zu haben. Das gilt besonders für das einzige Solokonzert von Karl Amadeus Hartmann, das Concerto funebre von 1939.

Mit dem Leben und Schaffen Hartmanns sind Schlagworte verbunden wie innere Emigration und Bekenntnismusik. 1905 in München geboren, wurde er Zeuge der Revolution in Bayern, der gescheiterten Räterepublik und des erstarkenden Nationalsozialismus; aus diesen Erfahrungen rührten seine sozialistischen Überzeugungen her. Als Musiker griff er jede aktuelle Richtung auf: »Futurismus, Dada, Jazz und anderes verschmolz ich unbekümmert in einer Reihe von Kompositionen […] und stürzte mich in die Abenteuer des geistigen Umbruchs […].« Seine Musik ist beeinflusst von Strawinsky und Bartók, Bruckner und Mahler, und er bildete sich bis in seine Dreißiger durch Studien bei Anton Webern weiter – trotz eklatanter politischer Differenzen und stilistischer Ferne.

Im »Dritten Reich« konnte er aufgrund seiner politischen Einstellung auf keine Aufführungen mehr hoffen, biederte sich aber niemals an und ging auch nicht ins Exil, sondern zog sich zurück. Von der Familie unterstützt, komponierte er weiter. Sein Hauptwerk, die Oper Simplicius Simplicissimus nach Grimmelshausens Roman über den Dreißigjährigen Krieg, ist, wie viele andere Kompositionen, als Paraphrase auf die Gegenwart zu verstehen. Hartmann verstand seine Musik als »Bekenntnis« und »Gegenaktion« und schrieb schon 1934 das Werk Miserae für die frühesten Opfer des Konzentrationslagers Dachau.

Auch das Violinkonzert ist eine Klage. Hartmann begann das Concerto funebre im Juli 1939 und notierte später: »Diese Zeit deutet den Grundcharakter und Anlass meines Stückes an.« Letzterer war offenbar die Annexion des Sudetenlandes durch die Deutschen: Wie heimlich gewispert erscheint in der Introduktion der Hussitenchoral »Die ihr Gottes Streiter seid« – Symbol des jahrhundertealten Freiheitskampfs der Tschechen.

Der Ausbruch des Krieges bestätigte Hartmanns Vorahnungen und bestärkte ihn in seiner Absicht: »Ich wollte alles niederschreiben, was ich dachte und fühlte, und das ergab Form und Melos.« 1940 konnte das Concerto funebre im schweizerischen St. Gallen uraufgeführt werden. Den Aufbau beschrieb der Komponist selbst so: »Die vier Sätze, Choral – Adagio – Allegro – Choral, gehen pausenlos ineinander über. Der damaligen Aussichtslosigkeit für das Geistige sollte in den beiden Chorälen am Anfang und am Ende ein Ausdruck der Zuversicht entgegengestellt werden.« Der zweite Choral geht zurück auf die Melodie des proletarisch-revolutionären Trauermarsches »Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin«, der während der russischen Revolution von 1905 und bei Trauerfeiern der Oktoberrevolution verbreitet war.

Nach dem Krieg hat Hartmann viele seiner Werke überarbeitet und dabei ihre Zeitbezüge vermindert oder eliminiert: als wollte er nicht damit prunken, schon immer gewarnt und gemahnt zu haben. Er wirkte nunmehr als Dramaturg an der Bayerischen Staatsoper und gründete die (bis heute bestehende) Konzertreihe Musica viva, in der ehemals verbotene und verfolgte Komponisten rehabilitiert und zeitgenössische Werke gefördert wurden. Allerdings schwand sein Optimismus in den ihm verbleibenden 18 Jahren: »Die Bedrohung der Kunst wird niemals der Vergangenheit angehören, solange irgendwo die Freiheit bedroht ist. Darum wollen wir wachsam sein, wollen mahnen, vergangener Erniedrigung gedenken, wollen reden, wenn wir irgendwo totalitäre Regungen erkennen.«

Malte Krasting


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