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Marlene Dietrich als Lola Lola in »Der blaue Engel« | Bild: Wikimedia commons

Die 1920er-Jahre sind ein Jahrzehnt des Films. Die Lichtspielhäuser, die sich rasant vermehrten, boten den Menschen Information, Unterhaltung und eine Auszeit vom Alltag. Im Rahmen unseres Online-Festivals führen die Dirigentin Marie Jacquot und die Stipendiatinnen und Stipendiaten der Karajan-Akademie die Suite Nr. 3 aus dem Film »Kuhle Wampe« auf, einen der frühen Tonfilme, zu dem Hanns Eisler die Musik schrieb. Grund genug, einen Blick auf die Filmszene jener Zeit sowie die Entwicklung vom Stumm- zum Tonfilm und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Musik zu werfen.

Mit der Verbindung von Film und Ton war bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts experimentiert worden. Den Durchbruch brachte aber erst ein in den 1920er-Jahren entwickeltes Verfahren, das es erlaubte, Bild und Ton vom selben Apparat und damit synchron abzuspielen. Zum ersten aber nicht zum letzten Mal wurde in der Filmgeschichte die Durchsetzung einer technischen Innovation von vielen Zeitgenossen als künstlerisches Krisenphänomen gelesen: Schien der Film nicht seine in Werken von D. W. Griffith, Charlie Chaplin, Jean Renoir, Fritz Lang und Sergej Eisenstein erreichte Autonomie gegenüber den traditionellen epischen und dramatischen, auf der Verbalsprache basierenden Kunstformen einzubüßen? Drohte nicht die spezifische Form des Schauspiels im Stummfilm, bei dem Funktionen des Dialogs in Gestik und Mimik übersetzt wurden, verlorenzugehen? Und hatte nicht gerade die Sprachlosigkeit die Internationalität des Films garantiert?

Ende einer Ära

Auch für die Filmmusik markierte das Ende der Ära einen dramatischen Einschnitt. Die Musiker der Filmorchester verloren ebenso ihren Job wie die an kleineren Kinos engagierten Pianisten und Organisten. Es half alles nichts, die Entwicklung vollzog sich in rasantem Tempo. 1927 war der erste erfolgreiche amerikanische Tonfilm The Jazz Singer herausgekommen und bereits fünf Jahre später wurde in Deutschland, nach der Umrüstung der Studios und Lichtspielhäuser, kein einziger Stummfilm mehr produziert. Das änderte nichts an der gesellschaftlichen Funktion des Kinos als Entertainment-Industrie für die Massen. Der Blick auf die Meisterwerke der Filmgeschichte verdeckt gelegentlich, dass hauptsächlich Unterhaltung für den Mainstream hergestellt wurde. Das gilt besonders auch für Berlin: Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Misere bewirkten, dass in der Stadt der Krisenmodus auf Dauer gestellt war. Umso stärker wuchs das Bedürfnis nach Ablenkung. Abenteuerfilme, die den Reiz des Exotischen beschwören, sowie die vor allem aus Österreich importierten Operetten, Komödien und Kriminalgeschichten feierten Triumphe. Bei all dem spielte natürlich die Musik eine zentrale Rolle.

Aufbruch in neue Filmwelten

Trotz Experimenten mit der Oper wie in Max Ophüls Verfilmung von Smetanas Verkaufter Braut kamen die entscheidenden Impulse nicht aus der sogenannten Hochkultur, sondern aus der Welt des Cabarets und der Kaffeehäuser.  Der Schlager Ich küsse Ihre Hand, Madame bezauberte damals die Menschen und so wurde um diesen Schlager herum eine Handlung konzipiert, in der die junge Marlene Dietrich von dem gefeierten Stummfilm-Star Harry Liedtke umworben wird. Bei der Darbietung des Liedes, das als Toneinlage im dem noch stummen Film erklingt, leiht der Startenor Richard Tauber dem Schauspieler seine Stimme. Während Harry Liedtkes Stern danach sank – seine Stimme eignete sich nicht für den Tonfilm – , erlebte Marlene Dietrich kurz darauf mit der Rolle der Lola Lola in Der blaue Engel ihren internationalen Durchbruch.  Die Musik für diesen Film schrieb Friedrich Holländer; er und Komponistenkollegen wie Werner Richard Heymann und Mischa Spoliansky schrieben in jenen Jahren einen Filmschlager nach dem anderen. Sie sind noch heute Evergreens.

Film als Ware

Im Verhältnis dazu hatten es politische Filme bei den Produzenten wie bei der Zensur schwer. Berthold Brecht etwa hatte zwar grundsätzlich nichts gegen Unterhaltung, wie der Triumph der Dreigroschenoper zeigte. Die »Warenlogik« der Filmindustrie allerdings betrachtete er bekanntlich mit Skepsis. So verklagten der Schriftsteller und Kurt Weill die Produzenten des Dreigroschenoper-Films wegen Nicht-Berücksichtigung ihrer künstlerischen Intentionen. An die Zuschauer gerichtet klärte Brecht in einem Artikel darüber auf, »dass die Kunst, die Ihnen im Tonfilm verkauft wird, zuerst käuflich sein musste, um verkauft werden zu können«. Mit anderen Worten: Als »Ware« war ein Film nur zu gebrauchen, nachdem er von seinen kritischen Absichten gereinigt worden war.

Blick ins Arbeitermilieu

Eingriffe von Produzentenseite musste Brecht im Falle des Films Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?, an dessen Drehbuch er mitwirkte, nicht fürchten: Die Prometheus-Film GmbH stand der Internationalen Arbeiterhilfe nahe und hatte 1926 Sergej Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin zu einem Skandalerfolg in Deutschland verholfen. Kuhle Wampe entstand 1931 in der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Slatan Dudow und dem Komponisten Hanns Eisler und gilt, so Eislers Biografin Friederike Wißmann, als »erster proletarischer Sprechfilm«. Erzählt wird von den Sorgen und Nöten einer Arbeiterfamilie im Berlin der Wirtschaftskrise. Nachdem der arbeitslose Sohn sich das Leben genommen und die Familie ihre Wohnung verloren hat, zieht die Tochter mit ihren Eltern in das Zeltlager »Kuhle Wampe« am Müggelsee um. Im weiteren Verlauf der Handlung werden Liebe, Schwangerschaft und Abtreibung thematisiert, bevor am Ende die junge Generation der Arbeiterklasse zu den Klängen des berühmten Solidaritätslieds in die Zukunft marschiert. Das Werk ist nicht zuletzt auch deshalb interessant, weil es in der Übergangsphase zwischen Stumm- und Tonfilm-Ära entstand. Elemente des Stummfilms sind in Kuhle Wampe unübersehbar: Wenn die junge Protagonistin auf Wohnungssuche geht, reagieren die potentiellen Vermieter nur mit vielsagenden Minen, statt die Absage auszusprechen.

Filmmusik als Kontrapunkt

Mit seinem Freund Brecht war sich Hanns Eisler bei der Konzeption der Filmmusik in der Ablehnung einer auf »Einfühlung« zielenden Tonsprache einig. Folgerichtig wird die Eingangsszene, in der Männer auf ihrer vergeblichen Arbeitssuche mit dem Fahrrad von Fabriktor zu Fabriktor radeln, nicht mit verzweifelten Klängen, sondern einer energetischen, aufgekratzten Musik unterlegt; als wollte Eisler dem Publikum bedeuten: »Lasst Euch nicht einschläfern und entmutigen«. Das Vorhaben von Brechts epischem Theater, das durch Verfremdungen und Widersprüche die Zuschauer zum Denken motivieren soll, gilt auch für das Verhältnis von filmischer Erzählung und – kontrapunktisch eingesetzter – Musik. Der Film Kuhle Wampe zeigt uns Eisler als unorthodoxen Filmkomponisten, dessen Musiksprache durch ihren herben, unsentimentalen und durch raffiniert eingefügte Widerhaken geprägten unverwechselbaren Charakter besticht.