Eva-Maria Tomasi über Fernambuk
Wissen Sie, was Fernambuk ist? Wenn ja, dann sind Sie entweder gut mit der Botanik des brasilianischen Regenwaldes vertraut – oder Sie spielen ein Streichinstrument. Denn fast jeder Bogen etwa einer Geige oder eines Cellos ist aus Fernambuk gefertigt. Der Fortbestand dieses besonderen Holzes ist bedroht, weshalb es derzeit im Fokus internationaler Artenschutzpolitik steht – mit weitreichenden Konsequenzen auch für die Musikwelt. Im Interview spricht Eva-Maria Tomasi, Geigerin und Mitglied des Orchestervorstands der Berliner Philharmoniker, über die musikalische, historische und politische Bedeutung eines Materials, ohne das ein Orchester kaum denkbar wäre.
Frau Tomasi, was ist Fernambuk und welche Bedeutung hat es für Orchestermusiker*innen?
Fernambuk ist eine Holzart – ein Baum, der auch unter den Namen »Pernambuco« oder »Paubrasilia« bekannt ist. Er wächst in der Mata Atlântica, dem atlantischen Küstenregenwald Brasiliens, und war sogar Namensgeber für das Land: »Brasil« bedeutet so viel wie »glühend« – denn wenn man das Holz aufschneidet, leuchtet es in einem intensiven Rot. Über Jahrhunderte wurde es deshalb auch als Färbemittel genutzt. Für uns Musiker*innen hat Fernambuk eine ganz besondere Bedeutung. Ohne dieses Holz könnten wir eigentlich gar nicht spielen – denn daraus werden die Bögen für unsere Streichinstrumente gebaut: für Geige, Bratsche, Cello und Kontrabass.
Wie ist es dazu gekommen?
Die Bögen des Barock sahen noch ganz anders aus – sie waren nach außen gebogen, also konvex. Die Spannung des Bogens musste man damals mit dem Daumen regulieren, also direkt mit der Hand. Erst im Laufe der Zeit hat sich der Bogen weiterentwickelt. Eine Schlüsselfigur dabei war François Xavier Tourte. Um 1775 hat er den Bogen in die Form gebracht, wie wir sie immer noch kennen: konkav gebogen, mit einer bestimmten Länge, die bis heute so geblieben ist, und mit einem Frosch samt Schraube, über den sich der Bogen spannen lässt.
Vor Tourte wurden Bögen oft aus Schlangenholz, Amourette oder Eibe gefertigt. Doch Tourte entdeckte: Fernambuk hat genau die Eigenschaften, die ein idealer Bogen braucht – Dichte, Robustheit, Spannkraft und zugleich Elastizität und Flexibilität. Diese Kombination bietet nur dieses eine Holz. Deshalb werden bis heute – seit rund 250 Jahren – nahezu alle hochwertigen Bögen aus Fernambuk gefertigt. Es gibt derzeit Versuche, Bögen aus Carbon herzustellen, die jedoch qualitativ nicht vergleichbar sind.
Wann hat man zum ersten Mal gemerkt, dass es ein Problem mit Fernambuk gibt?
Die Bestände des Fernambuk schrumpfen schon seit Jahrhunderten. Oft wurde es abgeholzt, um Platz für Wohngebiete zu schaffen. Der Bogenbau fällt im Vergleich sicher kaum ins Gewicht. Anfang der 1970er-Jahre gab es erste Aufforstungsprojekte. Damals wurden etwa drei Millionen Fernambukbäume gepflanzt. 2007 wurde Fernambukholz durch das Washingtoner Artenschutzabkommen – auch bekannt als CITES (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora) – unter Schutz gestellt. Das war in wichtiger Schritt. Es gibt bei CITES drei sogenannte Anhänge bzw. Appendizes – also Listen, auf denen Tier- und Pflanzenarten geführt werden. Fernambuk kam damals auf Appendix II. Das heißt: Es durfte zwar weiterhin mit dem Holz gehandelt werden, aber unter strengen Auflagen. Als Musiker*innen konnten wir mit Fernambukbögen noch reisen, aber das Abholzen der Bäume und der Export des Holzes wurden deutlich stärker kontrolliert.
Wie hat die Musikwelt auf die Bedrohung des Fernambuk reagiert?
Im Jahr 1999 wurde die International Pernambuco Conservation Initiative (IPCI) gegründet, die auch wir als Berliner Philharmoniker unterstützen. Dahinter steht eine Nichtregierungsorganisation, die von Akteur*innen aus Brasilien, Nordamerika und Europa ins Leben gerufen wurde. Ziel war und ist es, den Bestand des Fernambukholzes zu schützen, für Nachhaltigkeit zu sorgen, Aufforstungen zu fördern und illegalen Handel zu verhindern. Im Rahmen der IPCI-Initiative werden seit Jahren neue Bäume gepflanzt und Forschungsprojekte durchgeführt. Gleichzeitig setzt sich die IPCI dafür ein, dass bestehende Bögen weiter verwendet werden dürfen und neue Bögen aus geschütztem Fernambuk-Anbau angefertigt werden können. Ob dies künftig möglich sein soll, wird derzeit diskutiert. Für Musiker*innen und Orchester ist dies natürlich eine eminent wichtige Frage.
Worum geht es genau?
Es geht um eine mögliche Hochstufung von Fernambuk in den Appendix I des Washingtoner Artenschutzabkommens, die höchste Schutzstufe. Wenn eine Art auf Appendix I steht, heißt das: Sie darf grundsätzlich nicht mehr international gehandelt werden – auch nicht in verarbeiteter Form. Es gibt dann nur noch ganz wenige Ausnahmen, die sehr streng geregelt und genehmigungspflichtig sind.
Was würde so eine Hochstufung für ein Orchester konkret bedeuten?
Abgesehen davon, dass Bögen dann gar nicht mehr verkauft oder gehandelt werden dürften, wären wir Musiker*innen, die bereits Bögen besitzen, stark betroffen – vor allem, wenn wir reisen. Dann bräuchte jede*r Musiker*in ein eigenes CITES-Dokument für den Bogen, das bei jeder Einreise in ein anderes Land vorgelegt und abgestempelt werden müsste. Wenn also ein Orchester mit 80 Streicher*innen unterwegs ist, kann man sich denken, was das für ein bürokratischer Aufwand wäre. Und ob es dafür überhaupt genug Personal oder eine praktikable Umsetzung gäbe, ist mehr als fraglich. Ich selbst kann mir kaum vorstellen, wie wir dann noch mit unserem Orchester Konzertreisen unternehmen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Artenschutz ist eine der großen Aufgaben unserer Zeit, wir teilen dieses Ziel voll und ganz, auch und gerade im Falle des Fernambuk. Deshalb unterstützen wir das Anliegen der IPCI, die beides erreichen will: den Schutz dieses besonderen Holzes und seine kontrollierte, nachhaltige Nutzung in der Musik. Wir sind mit der IPCI der Überzeugung, dass sich diese Ziele miteinander verbinden lassen. Es geht uns auch um die Zukunft: Wenn Fernambuk unter diesen erhöhten Schutz fällt, dürfen keine neuen Bögen mehr gebaut werden – für kein einziges Streichinstrument. Das wäre für kommende Generationen an Musiker*innen und für die Streicherkunst insgesamt ein gewaltiges Problem. Brasilien hat der Hochstufung auf Appendix I bereits zugestimmt. Wir hoffen sehr, dass es nicht zu dieser Einstufung kommt.
Was ist nun zu tun?
Ich glaube, was wir im Moment vor allem brauchen, ist Sichtbarkeit. Wir müssen gegenüber der Politik deutlich machen, worum es geht. Viele sehen hier allein ein Anliegen des Artenschutzes, das man natürlich unterstützen möchte. Das geht uns selbst nicht anders. Es geht nur darum, wie man schützt. Und wir bitten einfach darum, über die verschiedenen Optionen und ihre Folgen zu sprechen.
Haben Sie eine direkte Botschaft an die Verantwortlichen?
Liebe Verantwortliche, eine Herzensangelegenheit für uns Musikerinnen und Musiker: Bitte bedenken Sie die Konsequenzen, wenn Fernambukholz auf Appendix I des Washingtoner Artenschutzabkommens hochgestuft wird. Diese Entscheidung würde die gesamte klassische Musikwelt ins Wanken bringen.
Wir setzen uns mit aller Kraft für Nachhaltigkeit ein. Wir unterstützen Aufforstung, wir pflanzen Bäume, wir wollen den Erhalt dieser Baumart sichern. Aber bitte: Versuchen Sie, diese Höherstufung zu verhindern. Vielen Dank.
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