Berliner Philharmoniker
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Autor*in: Christoph Vratz
ca. 4 Minuten

Auf der Brooklyn Bridge. Es sind drei Personen zu erkennen.
New York, Brooklyn Bridge | Bild: Leibniz-Institut für Länderkunde

Die Symphonie »Aus der Neuen Welt«, die »Amerikanische« Suite, das »Amerikanische« Quartett und viele weitere Werke schrieb Antonín Dvořák während seines zweieinhalbjährigen Aufenthalts in den USA. Es war eine ambivalente Zeit für den Komponisten: geprägt von Triumphen, von Begeisterung über neue Eindrücke, aber auch von Sehnsucht nach der böhmischen Heimat.

Es ist bereits später Nachmittag, als gegen 16:30 Uhr die Schiffssirenen jaulen. Der Dampfer Saale, der neun Tage zuvor in Bremerhaven die Anker aufgehievt hatte, erreicht New York. An Bord beginnt ein buntes Treiben, Koffer und Kisten werden entladen, Menschen wuseln durcheinander. Am Ufer wartet bereits Mister Santon, Sekretär beim damaligen National Conservatory of Music. Er ist gekommen, um einen Gast in der »Neuen Welt« zu begrüßen: Antonín Dvořák. Santon manövriert ihn durch die Zollkontrolle und bringt ihn ins Hotel Clarendon, wo ein Zimmer – mit Flügel – für Dvořák reserviert ist. Es ist der 26. September 1892, ein Montag.

»Ich weiß noch genau, wie hartnäckig sich Vater wehrte, diese Stellung anzunehmen […], selbst dann, wenn man ihm noch einmal so viel Dollar gäbe«, erinnert sich später Dvořáks Sohn Otakar. Tatsächlich wurde das Honorar nochmal erhöht, und schließlich sagte Dvořák zu, die Stelle als Direktor des Konservatoriums in New York anzunehmen. Ausgerechnet ein Europäer sollte die Amerikaner von den europäischen Einflüssen in der Kunstmusik befreien und ihnen helfen, einen eigenen, Identität stiftenden Stil zu etablieren – so lautete, verkürzt, der Auftrag.

»Gleich am nächsten Tag, als ich eingetroffen war, haben alle hiesigen Zeitungen […] sehr viel und begeistert über mich geschrieben, mich als größten Komponisten der ganzen Welt begrüßt«, so Dvořák. Der Erwartungsdruck ist hoch, der Vertrag beginnt am 1. Oktober und läuft (zunächst) über zwei Jahre. Dvořák selbst ist inzwischen 51 Jahre alt. »Die Amerikaner erwarten große Dinge von mir, vor allem soll ich ihnen den Weg ins gelobte Land und in das Reich der neuen, selbstständigen Kunst weisen, kurz, eine nationale Musik schaffen!«

Fremd und laut

Nach rund vier Wochen beziehen Dvořák, seine Frau und zwei seiner Kinder eine neue Bleibe an der East 17th Street. Es ist ein relativ ruhiges Haus, denn der Lärm der Großstadt ist und bleibt Dvořák suspekt. Bei Steinway hat er sich einen Flügel ausgesucht. Eine halbe Stunde später wird er bereits geliefert. Zeitnah soll Dvořák auch ein Konzert des New York Philharmonic Orchestra dirigieren, mit eigenen Werken. Wieder sagt er zu.

Rund drei Jahre wird dieses amerikanische Intermezzo dauern, geprägt von intensivem Lernen und einer hohen Produktivität. Seine Neugierde macht Dvořák offen für das Studium von Spirituals und indianischen Melodien, er horcht tief hinein in ein Land, dessen Mentalität ihm anfangs fremd ist, und in Seelen, deren Musikalität ihn anzieht.

Als Erstes schreibt er – zu den 400-Jahr-Feiern der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus – als Auftragswerk ein Te Deum, das noch im Jahr seiner Ankunft uraufgeführt wird. Auch die Kantate The American Flag entsteht zu diesem Anlass. Im Januar 1893 berichtet Dvořák einem Freund: »Und jetzt arbeite ich an einer neuen Symphonie (e-Moll). Es scheint, dass der amerikanische Boden wohltuend auf meinen Sinn einwirken wird.« Seine Ankündigung, dass man von der neuen Symphonie »noch etwas hören« werde, soll sich bewahrheiten.

Doch zunächst fährt Dvořák im Sommer 1893 nach Spillville, ein ländliches Idyll in Iowa, begründet von einem Bayern namens Spielmann, 350 Kilometer westlich von Chicago, umgeben von Feldern und bewohnt von fast ausschließlich tschechischen Auswanderern. Dvořák, der glühende Eisenbahnfan, fährt mit der Bahn: »Mit dem Schnellzug sind wir in 36 Stunden dort.« Dort angekommen, fühlt er sich gleich wie zu Hause: »In der kleinen Kirche habe ich oft und gern auf der Orgel gespielt – die Großmütterchen haben sich sehr gefreut, als sie nach langen Jahren erstmals wieder unsere schönen böhmischen Kirchenlieder hörten.«

Der Sohn berichtet: »Es gab hier gute tschechische Menschen, in der Kirche eine Orgel, den Turkey River, den Puter-Fluss, an dem er [der Vater] besonders gern spazieren ging, hier sangen Vögel, die er so lange nicht gehört hatte, und auch Tauben, seine alte Liebe, fehlten nicht.« Dvořák freut sich, weil inzwischen auch seine anderen vier Kinder aus Europa nachgekommen sind. Endlich ist die Familie wieder komplett.

Die Ideen sprudeln

Im Gegensatz zur Hektik von New York genießt Antonín Dvořák hier vor allem die Ruhe – und die Tatsache, dass er nicht ständig auf sein Leben als Musiker angesprochen wird. Einzig ein Klavier fehlt ihm. In ganz Spillville gibt es nur eines, und das ist in einem schlechten Zustand. Doch für Dvořák wird es aufgearbeitet, neu gestimmt und in seine Wohnung gebracht. Bis dahin behilft er sich mit einem Harmonium, denn inzwischen arbeitet er wieder an einem neuen Werk, einem Streichquartett. Sohn Otakar: »Ich erinnere mich, wie gern Vater […] in der völligen Stille den zarten Tönen der Natur lauschte […]. Wir wollten ihn seinen Gedanken überlassen und selbst angeln gehen. Vater kamen jedoch die Einfälle schneller, als wir mit unseren Vorbereitungen fertig waren […]. Die Motive zu seinem neuen Quartett sind ihm […] an den Ufern des Turkey River eingefallen. […] Vater brachte vom Fluss den ganzen Aufbau eines Satzes mit, während ich mit leeren Händen heimkehrte.«

Die Ideen sprudeln aus Dvořák nur so heraus. Nur drei Tage braucht er für die Skizze des ganzen Quartetts! »Fertig 10. Juni 1893 – Spillville. Ich bin zufrieden. Es ging schnell.« Er hätte »nicht so geschrieben, wenn ich Amerika nicht hätte sehen können«, meint Dvořák später. Dabei legt er Wert auf die Tatsache, dass er alle Melodien selbst erfunden hat, er habe »nur im Geiste dieser amerikanischen Volkslieder« komponiert.

Zu diesem Zeitpunkt ist auch die Neunte Symphonie längst vollendet. Die erste öffentliche Aufführung erfolgt im Dezember 1893. In der Carnegie Hall leitet Anton Seidl das New York Philharmonic Orchestra.

Der New York Herald berichtet am Tag darauf: »Der berühmte tschechische Komponist war gewiss schwer zufriedenzustellen, aber […] nach dem zweiten Satz wurden ihm laute Huldigungen dargebracht.

Von allen Seiten erscholl stürmischer Beifall. […] Durch den ganzen Saal klang der Ruf: Dvořák! Dvořák! […] Dr. Dvořák gab mit seinen Händen, die vor Rührung bebten, Herrn Seidl, dem Orchester und den Zuhörern seine Anerkennung zu verstehen, worauf er im Hintergrund verschwand und die Symphonie ihren Fortgang nahm. Nach Beendigung des Werkes wurde er wieder stürmisch gerufen. Immer und immer wieder verbeugte er sich.«

Der Triumph »Aus der Neuen Welt«

Dieser Triumph wird Dvořáks weitere Zeit in Amerika prägen. Weitere neue Werke entstehen, darunter die »Amerikanische« Suite A-Dur, zunächst für Klavier, dann für Orchester, und später das Cellokonzert. Doch so sehr Dvořák die Anerkennung genießt und ihn die Vertragsverlängerung am Konservatorium freut, seine Heimat hat er nicht vergessen. Er nimmt Urlaub, fährt im Mai 1894 nach Europa, um erst am Abend des 25. Oktober wieder in New York anzulegen. Nochmals bietet man ihm an, sein Engagement zu verlängern, doch jetzt lehnt er ab. Seine Gedanken sind bei den daheimgebliebenen Kindern.

Am 18. April 1895 verlässt Antonín Dvořák, glücklich und berühmt, den amerikanischen Kontinent. Elf Tage später ist er in Böhmen, seiner Heimat. In Prag kauft er sich von seinen üppigen Honoraren ein schönes Haus und nennt es »Villa Amerika«. Darin gelebt hat er allerdings nie. Heute beherbergt es ein Dvořák-Museum.