Am 1. Juli 2025 brechen die Berliner Philharmoniker direkt nach ihren Saisonabschlusskonzerten in der Waldbühne Berlin zu ihrer 25. Japanreise auf. Gleichzeitig wird dies die fünfte Konzertreise des Orchesters gemeinsam mit Gustavo Dudamel sein. Eine Reise durch Japan folgt einem ganz besonderen Rhythmus – da ist der stille Himmel über blinkenden Neonlichtern der Metropolen, der ruhige Puls dampfender Ramen-Schalen im hektischen Restauranttreiben und das Wechselspiel zwischen der andächtigen Stille alter Schreine und der Kakophonie des großstädtischen Straßenverkehrs. Auf dieser Reise folgen wir diesem Rhythmus von den geschäftigen Straßen Osakas über Nagoyas diskrete Eleganz, bis zum überwältigten Atemholen am Fuße des Fudschijama in Kawaguchiko.
In Osaka trifft uns zuerst nicht die beeindruckende Skyline – sondern der Duft: warm, deftig, unverkennbar. In dem lebendigen Viertel Dotonbori liegt er in der Luft: Dort brutzeln Takoyaki (Oktopusbällchen) auf heißen Platten, Okonomiyaki (japanische Pfannkuchen) werden mit flinker Geste gewendet, Kushikatsu (frittierte Spieße) glänzen im Licht der Straßenlaternen. Osaka gilt als die Küche Japans, vielleicht klettern auch deshalb gerade hier so viele überlebensgroße Oktopusse, Eiscremetüten und andere Spezialitäten an den Häuserwänden entlang, um darunter verkaufte Ware anzupreisen. Was für eine große Rolle Essen in dieser Stadt spielt – es ist nicht zu übersehen.
Überhaupt gibt es in Dotonbori ein Überangebot an visuellen Eindrücken: Es flackert, es flirrt und blinkt. An einem schwülen Abend stehen wir vielleicht unter dem leuchtenden Glico-Mann, umgeben von der Polyphonie der Pachinko-Spielhallen und dem Klingen der Gläser beim Feierabendbier. Dotonbori ist laut, chaotisch, schön. Für einen Moment der Ruhe sorgt dann ein Besuch am Osaka Castle: Weiße Reiher gleiten hier schon mal über den Wassergraben, golden schimmern die Ornamente auf den Dächern: Wir fühlen uns wie in eine alte Legende versetzt.
Das Konzert der Berliner Philharmoniker am 2. Juli in Osaka findet im Rahmen der Expo statt. Es ist bereits das 4. Mal, dass das Orchester zur Weltausstellung auftritt – das erste Mal übrigens auch in Osaka unter der Leitung von Herbert von Karajan 1970. Diesmal treten die Berliner Philharmoniker in der 2013 neu errichteten Festival Hall auf, dem Sitz des Osaka Philharmonic Orchestra (大阪フィルハーモニー交響楽団). Direkt am Ufer des Dojima-Flusses gelegen, verbindet die Festival Hall moderne Eleganz mit einer fast sakralen Aura. Der heutige Bau liegt einem radikalen Neuanfang zu Grunde, denn der ursprüngliche Konzertsaal von 1958 – ein kulturelles Wahrzeichen – musste einem Neubau weichen. Doch das Ziel blieb: ein Raum, der Musik nicht nur überträgt, sondern zum Ereignis macht. Akustik-Großmeister Yasuhisa Toyota, der neben vielen anderen Sälen auch die Akustik der Elbphilharmonie in Hamburg gestaltete, schuf hier eine Klanglandschaft, in der jeder Ton seinen Platz findet und jedes Pianissimo bis in die letzte Reihe getragen wird.
Wenn Osaka der extrovertierte Charakter Japans ist, dann steht Nagoya für leisen Erfindergeist. Oft übersehen zugunsten schillernderer Städte, überrascht Nagoya mit zurückhaltender Eleganz: Städtebaulich steht Nagoya mit seinen breiten Straßen und klaren Strukturen für ruhige und rationale Ordnung. Die Stadt ist außerdem das industrielle Herz der japanischen Automobilindustrie. Hier schmückt man sich eher mit Effizienz, Innovation und technologische Präzision. Im Toyota-Museum wird diese Geschichte greifbar: mit imposanten Maschinen und ebenso beeindruckender Erzählkunst.
Doch auch die Stadt selbst hat eine spannende Vergangenheit – und die zeigt sich auf majestätische Weise in Nagoya Castle. Dieser Sitz eines mächtigen Clans wurde mit großer Sorgfalt rekonstruiert, glänzt mit grünen Ziegeldächern und goldenen Shachihoko (Verzierungen). Im Inneren: filigrane Wandmalereien, knarzende Dielen, Ausblicke, einst für Shōgune bestimmt.
Das diesjährige Konzert wird das neunte der Berliner Philharmoniker in Nagoya sein. Das erste Mal spielte das Orchester hier im Jahre 1957 unter Herbert von Karajan, und auf dem Programm standen damals das Vorspiel aus Wagners Tannhäuser, Smetanas Die Moldau und Beethovens 7. Symphonie. Zum ersten Mal im Aichi Prefectural Arts Theatre – dem diesmaligen Auftritt spielten die Berliner Philharmoniker 1998 unter Claudio Abbado. Auf dem Programm stand unter anderem auch Mozarts Konzert für Flöte und Harfe mit Emmanuel Pahud und Marie-Pierre Langlamet. Beide Musiker*innen sind auch dieses Jahr wieder vor Ort mit dabei.
Nach all dem Lichterglanz und dem Großstadttrubel fühlt sich Kawaguchiko wie ein entspanntes Ausatmen an. In der Region der Fünf Seen liegt dieser Ort wie ein Gemälde: Im Frühjahr wird der Ausblick auf Fuji-San von Kirschblüten umrahmt, im Herbst von rot-leuchtendem Laub. Und wenn das Licht richtig steht und kein Lüftlein weht, spiegelt sich auf der See-Oberfläche der stille Vulkan. Für den schönsten Blick fährt man übrigens mit der Kachi-Kachi-Seilbahn auf den Tenjo-Berg hoch, trinkt einen Tee oder Kaffee und genießt den perfekten Blick auf den Fudschijama in der Ferne.
Kawaguchiko bietet stille Freuden: Freiluft-Onsen mit Bergpanorama, liebevoll angelegte Gärten, kleine Museen wie das Kubota-Itchiku-Museum mit seinen spektakulär gefärbten Kimonos, oder Gasthäuser mit Houtou – einer kräftigen Nudel-Gemüsesuppe für kühle Abende. Und nachts? Einfach nach oben schauen, denn hier scheint der großzügig bestückte Sternenhimmel zum Greifen nah. Man könnte fast meinen, man spürt den ruhigen, regelmäßigen Atem des Fudschijama neben sich in der Dunkelheit.
Für die Berliner Philharmoniker wird diese Tournee ihr Debüt in Kawaguchiko sein. Die zwei Open-Air-Konzerte im Kawaguchiko Stellar Theatre sind dem Saisonabschlusskonzert des Orchesters in der Waldbühne Berlin nachempfunden. Damit wird die langjährige Tradition mit nach Japan genommen. Das Amphitheater feiert 2025 seinen 30. Geburtstag und freut sich sichtlich auf den Besuch der Berliner Philharmoniker. Für die Anreise zu den Konzerten wurden Bahnwagons großzügig mit Orchesterbildern ausgestattet.