Entstehungszeit: 1888
Uraufführung: 17. November (nach dem alten russischen Kalender:
5. November) 1888 in St. Petersburg unter der Leitung
des Komponisten
Dauer: 45 Minuten
Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 14. Oktober 1895 unter der Leitung von Arthur Nikisch
»Es hat sich herausgestellt, dass sie zu bunt, zu massig, zu unaufrichtig, zu lang, überhaupt wenig ansprechend ist. Sollte ich mich schon ausgeschrieben haben?« Voller Selbstzweifel blickte 1888 der 48-jährige Tschaikowsky auf seine eben fertiggestellte Fünfte Symphonie – und das, obwohl er zu dieser Zeit als der russische Komponist seiner Generation galt. In Europa und in den USA war er als Dirigent gefeiert worden, Verlage in Paris, Berlin und Leipzig publizierten seine Werke, seine Oper Eugen Onegin war ein Standardwerk auf internationalen Bühnen. Die Gattung der Symphonie aber verkörperte damals die Königsklasse der Musik – hier sollte sich das Genie eines Komponisten am deutlichsten zeigen. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an solche Werke. Für Tschaikowsky bedeutete es eine große Herausforderung, die etablierten Formen mit seinen individuellen Vorstellungen von Klang und Ausdruck zu verbinden. Und so näherte er sich der Symphonie schrittweise mit Orchesterwerken anderer Genres an, darunter symphonische Dichtungen, Orchestersuiten, Serenaden, Ouvertüren und Instrumentalkonzerte.
Tschaikowskys widmete sich wohl auch deshalb mit so geringem Selbstbewusstsein der Symphonie, weil erst über Umwege zur Musik gekommen war. Nach einer Ausbildung an der Kaiserlichen Juristenschule in St. Petersburg und einer Mitarbeit im russischen Justizministerium wandte er sich mit Anfang 20, also für einen Komponisten relativ spät, professionell der Musik zu. Aber immerhin: Rechnet man seine Manfred-Symphonie hinzu (eher ein Werk der Programmmusik), vollendete Tschaikowsky im Laufe seines Komponistenlebens sieben Symphonien. In ihrem leidenschaftlichen Ausdruck haben gerade die letzten Symphonien Kritiker gelegentlich befremdet – Theodor W. Adorno sprach mit Blick auf die Fünfte sogar von »Kitsch«. Aber für Tschaikowsky war es schlicht eine Notwendigkeit, auch in dieser repräsentativen Gattung seine innersten Gefühle zu vermitteln. In der Fünften Symphonie zeigen sie sich vor allem in einem Ringen mit dem Schicksal, das als tönendes Signum alle vier Sätze durchzieht.
Diese effektvolle musikalische Idee erklingt gleich Anfang der Symphonie: drei Tonwiederholungen in den Klarinetten. Dem Melodiependel erst nach oben, dann nach unten wird ein geheimnisvoller Teppich von Streichinstrumenten beigemischt. Diese Klangbewegung ist zentral für alle folgenden Sätze der Symphonie. Sie wandert durch die Instrumente, wird verändert, und doch kommt einem der Klang immer bekannt vor. Dabei bleibt das Orchester in ständiger Aktion, tariert laut und leise genaustens aus, formiert sich immer wieder neu in kleinen Gruppen und verströmt dabei sehr unterschiedliche Atmosphären: Zu Beginn klingt es düster wie ein Trauermarsch, bald bäumt sich der Klang dramatisch mit Fanfaren und knatterndem Blech auf. Der zweite Satz mit seinem sich leidenschaftlich steigernden lyrischen Thema gibt sich hoffnungsvoll. Der elegante und schwelgerische Walzer des dritten Satzes wird in der Mitte durch Streicherfiguren nervös gebrochen. Dies mündet schließlich in einen schnellen Schlusssatz mit sattem Klang, lebendig und majestätisch zugleich.
Tschaikowsky selbst hat sich übrigens nach einiger Zeit mit seinem Werk wieder versöhnt. Nachdem er 1889 auf einer Europa-Tournee als Dirigent der Fünften Symphonie gefeiert worden war, schrieb er seinem Bruder Modest: »Das Angenehmste ist, dass die Symphonie aufgehört hat, mir hässlich zu erscheinen; ich habe sie wieder lieb gewonnen.«