Von: Malte Krasting

Entstehungszeit: 2002
Uraufführung: 7. November 2003 im Herkulessaal der Residenz München durch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Dirigent: Udo Zimmermann
Dauer: 13 Minuten

Bei den Berliner Philharmonikern:
am 17. September 2025 in der Philharmonie Berlin unter der Leitung von Kirill Petrenko

»Ich schätze Pascal Dusapin, weil er stolz, neugierig, unabhängig und gedanklich gut organisiert ist.« Diese Worte des Komponisten Iannis Xenakis haben sich als prophetisch erwiesen: Sein damals noch junger Kollege ist nun schon seit Langem eine der maßgeblichen Stimmen in der zeitgenössischen Musik Europas und der Welt. Das zeigt sich auch in seiner heute erklingenden, der Erinnerung an Xenakis gewidmeten Komposition; sie ist das fünfte von Dusapins sieben mit »Solo für Orchester« bezeichneten Werken. Ihr lateinischer Titel lautet Exeo, zu Deutsch: »Ich gehe hinaus« – und da wartet das Ungeahnte. Dusapin weckt die schlummernden Kräfte im Symphonieorchester, »gewaltig und wunderschön« (Kirill Petrenko). Der französische Komponist ist kein Unbekannter bei den Berliner Philharmonikern, die haben Reverso, das sechste »Solo für Orchester«, anlässlich der Eröffnung des Grand Théâtre in Aix-en-Provence uraufgeführt haben.

Dusapin, 1955 in Nancy geboren, studierte zunächst bildende Kunst und Kunstgeschichte; die Begegnung mit den Klangwelten von Edgar Varèse inspirierte ihn, sich der Musikwissenschaft zu widmen. Als Komponist hatte er namhafte Lehrer: neben Iannis Xenakis, der ihn als seinen einzigen wirklichen Schüler bezeichnete, auch Olivier Messiaen und Franco Donatoni. Ein Stipendium an der Villa Medici der Académie de France in Rom weitete zusätzlich seinen Horizont. Heute umfasst Pascal Dusapins Œuvre über hundert Werke aus praktisch allen Gattungen. In seinen Opern sucht er die Auseinandersetzung mit berühmten Stoffen wie Faust, Orpheus, Penthesilea, Macbeth, Romeo und Julia oder der Passionsgeschichte. Dusapins »Soli« für das als »großes Soloinstrument« behandelte Orchester sind aus seinem Wunsch hervorgegangen, dem »Zwang der Aufführungsdauern zwischen zehn und zwanzig Minuten zu entkommen, die Kompositionsaufträge unweigerlich mit sich brachten. Ich träumte von einer ausgedehnten, komplexen Form aus sieben voneinander unabhängigen Episoden.« Diese Episoden sind durch unzählige Querverbindungen untereinander und mit seinem übrigen Schaffen verbunden. 1991 mit Go begonnen, wurde der Zyklus 2009 mit Uncut abgeschlossen. In Exeo von 2002 geht es Dusapin »um die Empfindung des Verlusts klanglicher Balance«: Wie fühlt es sich an, wenn das Ohr alle Orientierung verliert? Dusapin selbst spricht von einer Musik, die uns wie eine Flutwelle überspült, bis wir schließlich das Gleichgewicht wiedergewinnen. Dafür lässt er das großbesetzte Orchester vor allem in der Tiefe und der Höhe agieren, die klangliche Mitte aussparend. Dabei fügen sich die einzelnen Stimmen zu einem Organismus, der atmet und pulsiert, in dem einzelne Töne hervorquellen und wieder abschmelzen, intervallische Gestalten auftauchen und zurücksinken.