Von: Kerstin Schüssler-Bach

Entstehungszeit: 1924
Uraufführung: 2. Dezember 1924 im Nationaltheater Brünn, Dirigent: František Neumann
Dauer: 20 Minuten

  1. Starodávný 1 (Der Altertümliche 1). Andante – Allegro
  2. Požehnaný (Der Gesegnete). Allegretto
  3. Dymák (Schmiedetanz). Allegro
  4. Starodávný 2 (Der Altertümliche 2). Moderato
  5. Čeladenský (Tanz aus Čeladná). Allegro
  6. Pilky (Sägetanz). Andante con moto

Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 4. Februar 1951 im Titania-Palast unter der Leitung von Joseph Keilberth

»Schön ist die Landschaft, ruhig ihr Menschenschlag, seine Mundart klingt weich wie Butter.« Leoš Janáček liebte seine Heimat Mähren, den östlichen Teil Tschechiens. Es ist eine Gegend, die gegenüber dem an Österreich grenzenden Böhmen als besonders ursprünglich-slawisch galt. Geboren wurde Janáček im nördlichsten Zipfel Mährens, der Lachei – nur wenige Kilometer entfernt von Příbor (Freiberg), wo zwei Jahre später Sigmund Freud zur Welt kam.

Von seinen Tätigkeiten als Dirigent und Musiklehrer in Brünn (Brno) und Prag erholte sich Janáček bei weiten Wanderungen durch die mährische Slowakei, wo er die Lieder und Tänze der Bevölkerung in authentischer Umgebung hörte. Zu Beginn der 1880er-Jahre beschäftigte sich der Mittdreißiger auch mit der theoretischen Erforschung der Volksmusik. Wie später Béla Bartók in Ungarn und Rumänien, begann Janáček mit der systematischen Sammlung der traditionellen Bauernmusik. Bald färbte sie auf seine eigenen Kompositionen ab. Berühmtestes Beispiel aus dieser frühen Schaffensperiode sind seine Lašské tance (Lachischen Tänze), entstanden 1889/90. Erst 1924 kam es zur Uraufführung, und es sollte weitere vier Jahre dauern, ehe sich Janáček zur Veröffentlichung der Tänze entschloss: »Zum Lob der Heimat, meiner Lachei, wird die Partitur voll flinker Noten, voll schäkernder, redseliger und versonnener Melodien in die Welt gehen.« Janáček setzte damit aber auch den Menschen ein Denkmal, die ihn in diesem Lebensabschnitt begleitet hatten: »Kein Zeuge dieser Sommernacht des wilden Reigens ist mehr am Leben.«

Zwar sind die Slawischen Tänze von Antonín Dvořák unüberhörbares Vorbild, mit ihren temperamentvollen Rhythmen der Streicher oder der »dudelnden« Ländler-Gemütlichkeit der Holzbläser. Was aber den jungen Janáček von dem eine Generation älteren Böhmen unterscheidet, ist die Leidenschaftlichkeit, die mitunter nervöse Überhitztheit seines Tons, den er in seinen Opern zur fiebrigen Erregtheit steigerte. Schon hier erweist sich Janáček als echter Theatermensch, wenn er seinen Lachischen Tänzen eine lebensvolle Szenerie aus dem heimischen Wirtshaus mitgibt, an die er sich kurz vor seinem Tod so erinnert: »Die Stube vollgestopft mit Mädchen, jungen Burschen, Weibern, die ihre Kinder in den Armen halten. Leib an Leib. Leidenschaft des Tanzes. Die Luft ist drückend und nass vor Dunst. Huschende Bewegungen, Gesichter klebrig vor Schweiß, Johlen, Jauchzen, der Musikanten tonreiches Toben.«

Dieses Körperlich-Sinnliche springt einem aus Janáčeks Anverwandlung der mährischen Hochzeits- und Arbeitslieder entgegen – besonders in der Nr. 3 (Dymák), dem »Schmiedetanz«, der wie ein glühendes Eisen Funken sprüht. Aber auch das furiose Finale, der »Sägetanz« mit seinen rasenden Skalen, ist vom Taumel der Bewegung gezeichnet. Auf diese Weise werden die Lachischen Tänze zu einem eindrucksvollen Vorgeschmack auf die brodelnde Orchestersprache Janáčeks, die Werke wie Taras Bulba oder seine Sinfonietta auszeichnen wird.