Entstehungszeit: 1749
Uraufführung: 22. April 1749 in der Académie royale de musique, Paris
Dauer: 23 Minuten
Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals in Auszügen am 22. Juni 2011, Dirigentin: Emmanuelle Haïm
Das französische Musiktheater des 18. Jahrhunderts bot in unterschiedlicher Ausprägung ein reiches Spektakel aus Gesang, Bühnenbild und Tanz. Besonders Ballette in unterschiedlicher Länge und Komplexität waren wichtig, wobei sie sowohl der Unterhaltung innerhalb einer Aufführung dienten als auch (sofern die Handlung es zuließ) als dramaturgisches Element eingesetzt wurden, um die Entwicklung der jeweiligen Geschichte voranzutreiben. Das wichtigste Genre des Musiktheaters war die Tragédie lyrique, ein Drama in fünf Akten über ein ernstes Thema – Beispiele hierfür sind etwa Jean-Philipp Rameaus Zoroastre und Les Borsades.
Eindrucksvoll war auch das Opéra-ballet, das sich in eine Reihe szenischer Bilder gliederte, die durch einen inhaltlichen roten Faden miteinander verbunden waren (wie etwa Rameaus Les Indes galantes). Weit verbreitet war auch das Genre der Pastorale héroïque, die drei Akte hatte und tragisch-heroische Elemente im pastoralen Setting brachte, wie das auch Rameaus Naïs mit dem Untertitel »opéra pour la paix« (Oper für den Frieden) tut.
Das Werk entstand anlässlich der Feierlichkeiten, die Ludwig XV. nach dem Frieden von Aachen 1748, der den Österreichischen Erbfolgekrieg beendete, im gesamten Königreich veranstalten ließ. Der Direktor der Académie royale de musique Joseph Guénot de Tréfontaine wollte sich mit dem Werk die Gunst Ludwigs XV. und seiner Mätresse, der Marquise de Pompadour, sichern. Natürlich wandte er sich dafür an die beiden damals führenden Protagonisten auf dem Gebiet der Oper, an den Librettisten Louis de Cahusac und an Jean-Philippe Rameau. Und Naïs hatte bei ihrer Premiere am 22. April 1749 triumphalen Erfolg.
Cahusac nutzte ganz traditionell den Prolog, um dem Herrscher zu huldigen. Erzählt wird hier, wie Giganten und Titanen gegen die Olympier revoltieren. Jupiter schließt sich mit anderen Göttern zusammen, um die Ordnung wiederherzustellen, und teilt die Herrschaft auf: Er regiert Himmel und Erde, Neptun das Meer und Pluto die Unterwelt. Mit Jupiter war kein anderer als Ludwig XV. gemeint – eine Anspielung, die für das damalige Publikum offensichtlich war. Es konnte gar nicht anders, als Parallelen zwischen Jupiter und dem König zu ziehen, der nach Beilegung der Kampfhandlungen den Niederlanden und Österreich im Tausch gegen den Frieden jene Gebiete überließ, die die Franzosen erobert hatten.
Die sich an den Prolog anschließenden drei Akte erzählen die Geschichte von Neptun, der in die Nymphe Naïs verliebt ist. In der Gestalt eines Sterblichen versucht er, sie für sich zu gewinnen. Doch auch Télénus, der Anführer der Korinther, und Astérion, der Anführer der Hirten des Isthmus, sind in Naïs verliebt. Naïs’ Vater, der blinde Wahrsager Tiresias, warnt Télénus und Astérion vor dem Zorn des Meeresgottes, was sie als Aufforderungen fehlinterpretieren, den Rivalen zu töten, um den Meeresgott zu besänftigen. Als sie gerade dabei sind, Neptun in Menschengestalt per Schiff anzugreifen, ertränkt er sie. Neptun offenbart Naïs seine Identität und nimmt sie mit in seinen Unterwasserpalast, wo er sie in eine Göttin verwandelt.
Für den Prolog konnte mit Hilfe ausgefeilter Bühnentechnik eine gewaltige Maschinerie eingesetzt werden, die es ermöglichte, die von Giganten und Titanen aufgeschichteten Berge zu zerstören, die dazu dienen sollten, die Götter im Olymp zu erreichen und zu stürzen. Nachdem Jupiter seine Feinde besiegt hatte, sanken diese in die Bühnenversenkung herab und erschlugen die Gegner. Für besonderes Staunen dürfte auch der dritte Akt gesorgt haben, in dem die Widersacher des Meeresgottes vom tosenden Wasser verschlungen wurden.