Entstehungszeit: 1938-1940
Uraufführung: 7. November 1940 in Chicago durch das Chicago
Symphony Orchestra unter der Leitung des Komponisten
Dauer: 26 Minuten
Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 8. Mai 1958, Dirigent: Ernest Bour
Einen derart versatilen Komponisten wie Igor Strawinsky kennt die Musikgeschichte kein zweites Mal. Wie eine Schlange, die sich beim Wachsen häutet, änderte er alle paar Jahre seinen Stil. Zu beobachten ist das schon am Beginn seiner Karriere: Ausgebildet von Nikolai Rimsky-Korsakow, ließ er die Tradition russischer Romantik bald hinter sich, indem er sie mit raffinierten Harmonien und spritzigen Klangeffekten des französischen Impressionismus kombinierte. Dann eine weitere Kehrtwende: Um das archaische Thema eines heidnischen Menschenopfers auf die Ballettbühne zu bringen, schuf er in Le Sacre du printemps eine brachiale, brutale Musik. Bei der Premiere 1913 in Paris kam es zu Schlägereien im Publikum.
Wieder einige Jahre später hieß der Trend (etwas irreführend) Neoklassizismus. Gemeinsam mit seinem Landsmann Sergej Prokofjew präsentierte Strawinsky einen Sound, der anstelle von Klangrausch und emotionalen Extremen ganz betont auf moderne Nüchternheit und Sachlichkeit setzte. Als Vorbilder dienten die »Nähmaschinenhaftigkeit« barocker Concerti grossi und kompakte frühklassische Symphonien eines Joseph Haydn, gewürzt mit Jazz und Modetänzen der Roaring Twenties wie Foxtrott und Tango.
Dieser Phase und diesem Geist entspringt die betont schlicht betitelte Symphonie in C – eigentlich ein Genre, das in Strawinskys Œuvre keine große Rolle spielt. Formal entspricht sie lehrbuchhaft dem Bauplan einer klassischen Symphonie, gefüllt allerdings mit gelenkigen Rhythmen, zackigen Bläsern und schillernden Farben. Direkte Zitate gibt es keine, eher ein Spiel aus scheinbar bekannten Versatzstücken, die aber immer wieder in die Irre führen.
Dieser aus sich selbst heraus absolute Stil erscheint umso merkwürdiger, wenn man sich Strawinskys Lebensumstände vergegenwärtigt. Die kommunistische Revolution hatte ihn aus Russland nach Frankreich getrieben, der Erste Weltkrieg in die Schweiz, die dortige Isolation zurück nach Frankreich, der Zweite Weltkrieg sollte ihn kurz nach der Komposition der Symphonie in C in die USA führen. Während der Arbeit an der Symphonie verstarben innerhalb eines halben Jahres seine Tochter Ludmilla, seine Frau Jekaterina und seine Mutter Anna an Tuberkulose; auch der Komponist infizierte sich. Doch wie er später berichtete, war er nur durch die Arbeit an der Symphonie in der Lage, »mein eigenes Leben fortzusetzen. Ich habe nicht versucht, meine Trauer zu überwinden, indem ich sie in der Musik darstellte oder ihr Ausdruck verlieh, und Sie werden wohl vergeblich nach Spuren dieser Art von persönlicher Emotion suchen.«
Immerhin ebnete das Werk – ein Kompositionsauftrag eines kunstliebenden Amerikaners zum 50. Geburtstag des Chicago Symphony Orchestra und ebendort uraufgeführt – Strawinskys Weg ins amerikanische Exil. Nachdem er sich in Hollywood eingerichtet hatte, quasi Tür an Tür mit so prominenten Künstler-Flüchtlingen wie Arnold Schönberg, Sergej Rachmaninow, Theodor W. Adorno und Thomas Mann, änderte er seinen Stil erneut und wandte sich dem strengen Serialismus zu. Aber das ist eine andere Geschichte.