Von: Malte Krasting

Entstehungszeit: 1875-1878
Dauer: 78 Minuten

  1. Introduction. Adagio – Allegro
  2. Adagio. Sehr langsam
  3. Scherzo. Molto vivace (Schnell) – Trio. Im gleichen Tempo
  4. Finale. Adagio – Allegro moderato

Anton Bruckner war als Mensch nicht ganz von dieser Welt, gewissermaßen ein Fremder auf Erden. Die praktischen Dinge des Lebens überforderten ihn, seine zahlreichen Versuche sich zu verheiraten scheiterten alle. Und erst mit 60 erfüllte sich sein Traum, als Komponist anerkannt zu werden. Fast verzweifelt suchte er nach einem Halt im Leben. Vielleicht gerade deswegen schuf er mit seinen Symphonien klingende Universen, die ihresgleichen in der Musik nicht haben.

Seine Fünfte Symphonie schrieb Bruckner, als sich seine Hoffnungen auf eine Professur an der Wiener Universität zum dritten Mal zerschlagen hatten. Nicht auszuschließen, dass der Impuls zur Komposition aus einem Gefühl der Zurück- und Herabsetzung heraus entstand und die Symphonie sein Können beweisen sollte. Darauf deutet hin, dass Bruckner sie sein »kontrapunktisches Meisterstück« nannte. Aber das Werk geht weit über eine Demonstration handwerklichen Könnens hinaus. Einerseits trägt sie viele für Bruckners symphonisches Schaffen typische Züge: die Viersätzigkeit, die jeweils drei Themen (statt wie in der klassischen Tradition zwei) im ersten und letzten Satz, die choralhaften Blechbläserpassagen – und vor allem den blockhaften Aufbau, zusammengesetzt aus anschwellenden Steigerungswellen, die auf ihrem Höhepunkt abbrechen und neu ansetzen. Andererseits geht Bruckner auch neue Wege. Der enorme Umfang der Fünften wird erst mit der Achten Symphonie übertroffen, und nirgends sonst fängt Bruckner eine Symphonie mit einer langsamen Einleitung an. Ungewöhnlich ist auch der Fokus auf das Finale, den längsten und komplexesten Satz des Werkes. Auf ihn läuft alles zu. Und wesentlich dichter als in früheren Symphonien sind alle vier Sätze durch thematisch-motivische Zusammenhänge miteinander verknüpft. 

Bruckner begann die Komposition im Februar 1875, ungewöhnlicherweise mit dem langsamen zweiten Satz. Schon da muss er einen Plan für das Ganze im Kopf gehabt haben: Das folgende Scherzo benutzt dieselbe Begleitfigur, und beide Sätze bilden einen inneren, kleineren Bogen, der überwölbt wird von einem großen aus Kopf- und Finalsatz. Das Finale greift nicht nur die feierliche Introduktion des ersten Satzes auf (wobei die Klarinette wie eine Ankündigung von Kommendem den Oktavsprung des Hauptthemas hineinruft), es lässt Themen aus allen drei vorangegangenen Sätzen anklingen: eine ohrenfällige Verbeugung Bruckners vor Ludwig van Beethoven, der im Finale der Neunte Symphonie ähnlich verfuhr. Dieser Schlusssatz kulminiert in einer Doppelfuge, die sich an Stelle der üblichen Durchführung auftürmt: eine Kombination des Hauptthemas und eines am Schluss der Exposition eingeführten Choralthemas. In der den Satzbeginn aufgreifenden Reprise werden die Hauptthemen des ersten und vierten Satzes miteinander verschränkt, bevor am Schluss der Choral triumphierend das letzte Wort behält.

Im Mai 1876 war die Symphonie weitgehend fertig, gehört hat Bruckner sie nur ein einziges Mal in einer Fassung für zwei Klaviere. An der orchestralen Uraufführung am 9. April 1894 (in Graz unter der Leitung von Franz Schalk) konnte er, schwer herzkrank, nicht teilnehmen. So blieb ihm erspart, die vielen vom Dirigenten für erforderlich gehaltenen Uminstrumentierungen und Streichungen zu hören. Erst 1935 wurde die Originalfassung erstmals gespielt. 

So stolz Bruckner auf sein kompositionstechnisches Können war, betonte er doch: »Contrapunkt ist nicht Genialität, sondern nur Mittel zum Zweck«. Was er mit diesem Werk allerdings »bezwecken« wollte, erläuterte er kaum. »Phantastisch« soll er die Symphonie genannt haben – eine Anspielung auf den genialen Instrumentator Hector Berlioz und dessen Symphonie fantastique? Anders als dieser hat Bruckner seiner Fünften kein Programm mitgegeben. Dass seine Musik gleichwohl an Höheres rührt, das sich der Beschreibung entzieht, daran lässt sich beim Hören kaum zweifeln.