Der größte Teil der aktuellen Asienreise der Berliner Philharmoniker ist absolviert: Zeit für eine Zwischenbilanz mit Intendantin Andrea Zietzschmann. War die Tournee bisher ein Erfolg? Und was war mit dem Taifun in Taiwan?
Andrea Zietzschmann, nach Seoul, Taipeh und Shanghai steht nun noch Japan auf dem Programm dieser Tournee. Was war bisher das Aufregendste?
Das war auf jeden Fall unser Gastspiel in Taipeh. Es gab einen Taifun, der mit verheerender Wirkung erst über die Philippinen hinweggefegt ist und danach auf Taiwan zusteuerte. Wir haben jeden Tag aufs Neue in Krisensitzungen überlegt, was wir machen. Wir hatten ja viel vor: drei Konzerte, eins davon mit einem Public Viewing vor dem Saal.
Was hätte aus Sicht des Orchesters im schlimmsten Fall passieren können?
Unser Veranstalter vor Ort hat uns frühzeitig gewarnt: Wenn es ganz schlimm kommt, wird das gesamte öffentliche Leben heruntergefahren. Das hätte dann nicht nur das Public Viewing betroffen, sondern auch die Konzerte im Saal, weil niemand mehr auf die Straße darf. Das ist eine Entscheidung, die die Regierung immer erst am Vorabend fällt.
Welche Möglichkeiten hat man dann?
Wir wollten auf keinen Fall eines der Konzerte absagen, zumal wir zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder hier waren. Außerdem bedeutet ein ausgefallenes Konzert für uns einen riesigen finanziellen Schaden, dagegen kann man sich nicht versichern. Zur Not hätte das Orchester ein Konzert verschieben müssen, sodass wir zwei Konzerte an einem Tag spielen – was für die Musikerinnen und Musiker und auch für Kirill Petrenko ein gewaltiger Stress gewesen wäre. Dazu ist es zum Glück nicht gekommen, sogar das Public Viewing konnte stattfinden.
In Europa hört man oft von der besonderen Dynamik der asiatischen Klassik-Szene. Wie erleben Sie das?
Wenn ich mir zu Beispiel Korea ansehe, so gibt es wahrscheinlich weltweit kein jüngeres Publikum für klassische Musik, das dazu so unglaublich begeistert ist. Nirgendwo werden so viele Konzertsäle gebaut, hinzu kommen fantastische Solisten wie der Pianist Sunwook Kim, der mit uns in Seoul aufgetreten ist. Auch die mit uns eng verbundene Komponistin Unsuk Chin steht für die musikalische Vitalität des Landes. In China ist die Entwicklung ähnlich, auch wenn sie etwas später Fahrt aufgenommen hat. Es wurden hier inzwischen 80 Orchester gegründet, und in Shanghai warten alle gespannt auf die Eröffnung des neuen, spektakulären Opernhauses.
Und Taiwan?
Auch hier ist das Publikum sehr begeisterungsfähig, wie wir bei unserem Public Viewing gesehen haben. Wie viele Menschen da mitgefiebert haben – mitunter im strömenden Regen! Manchmal merkt man in diesen Ländern einen anderen Zugang zur Musik. Das zeigen Reaktionen auf Werke, die nicht zum Standardrepertoire gehören. Dazu muss man fairerweise sagen: Wir machen es unserem Tourneepublikum auch nicht ganz leicht, wenn wir, wie aktuell, die Lachischen Tänze von Leoš Janáček oder Béla Bartóks Der wunderbare Mandarin spielen.
Warum spielt das Orchester nicht einfach nur die populären Standards?
Das wäre den lokalen Veranstaltern natürlich am liebsten – da gibt es immer Diskussionen. Aber wir sind überzeugt, dass wir das Publikum auch mit Ungewohntem konfrontieren sollten. Wenn nicht wir, wer soll es sonst machen? Unabhängig vom Repertoire sind unsere Konzerte in Asien ja normalerweise in kürzester Zeit ausverkauft. Außerdem braucht es manchmal bestimmte Werke, um die Qualitäten des Orchesters zu zeigen. Wie aktuell Igor Strawinskys Petruschka, wo sich unsere herausragenden Solisten besonders gut präsentieren können.
Neben programmatischen Themen – was beschäftigt Sie während einer solchen Tournee?
Ich trage die Gesamtverantwortung und muss den Überblick behalten – dass alles, was man im Vorfeld geplant hat, auch so funktioniert. Hinzu kommt mein Anteil an der Medienarbeit auf Pressekonferenzen und in Interviews. Und es gibt einiges an Beziehungsarbeit zu leisten, wenn ich etwa mit den Veranstaltern vor Ort über kommende Tourneen spreche. Hinzu kommen Gespräche mit Musiker*innen, Komponist*innen und Kolleg*innen anderer künstlerischer Institutionen. Immer wichtiger werden auch die Termine mit Förderern: mit unserem Exklusivsponsor, der Deutschen Bank, aber auch mit lokalen Unterstützern, die einzelne Veranstaltungen ermöglichen. Da muss ich kommunizieren, repräsentieren, Geschenke überreichen. Ich fühle mich dann immer etwas wie im diplomatischen Dienst. Wenn das getan ist, kümmere ich mich nach Konzerten oder Empfängen noch um das Tagesgeschäft in Berlin – auch da geht die Arbeit natürlich weiter.
Nikolaus Römisch, Cellist und Reiseleiter des Orchesters, hat gesagt, Tourneen seien immer auch eine Teambuilding-Maßname. Betrifft das auch Ihre Arbeit?
Ja, ganz sicher. Ich nutze Tourneen immer für Gespräche mit den Gremien des Orchesters oder dem Vorsitzenden des Personalrats. Oder ich frage einzelne Musikerinnen und Musiker, was sie beschäftigt. Da werden zum Beispiel Fragen zur Repertoireentwicklung gestellt – wo will das Orchester künstlerisch hin? Es gibt immer einen bunten Strauß an Themen. Ich habe auch mal die Chance, die jungen Mitglieder der Karajan-Akademie kennenzulernen. All das sind Dinge, die im Berliner Alltag leider zu kurz kommen.
Was macht für Sie persönlich Asien-Tourneen interessant?
Es gibt da einen faszinierenden Kontrast. So oft wir in diesen Ländern schon gewesen sind, sie sind doch eine fremde Welt. Nehmen Sie nur unsere letzte Station Shanghai mit ihren 24 Millionen Einwohnern und Wolkenkratzern, die einen halben Kilometer hoch sind. Alles hier ist anders, vom Essen bis zu den Gebräuchen bei der Begrüßung. Und dann sitzt man ganz natürlich miteinander in Brahms’ Erster Symphonie und kann sich darüber austauschen. Dieser Brückenbau durch die Musik ist immer wieder ein Erlebnis.
Brückenbau passiert auf dieser Tournee auch durch viele Outreach-Projekte, etwa für Kinder in Kinderheimen, für Erwachsene oder für Menschen mit Behinderung. Warum ist das dem Orchester wichtig?
Wir möchten über die Begegnung mit unserem Publikum hinaus Kontakte zu Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund knüpfen, die sonst nicht in unsere Konzerte kommen. Das stellt den Austausch mit diesen Ländern auf eine breitere Basis. Diese Outreach-Projekte liegen uns auch wegen ihrer interaktiven Komponente am Herzen. Wir erfahren hier einfach unheimlich viel über das Leben und die Menschen vor Ort.
Drei von vier Stationen dieser Tournee liegen hinter uns. Kann man schon sagen, ob sie ein Erfolg war?
Das war sie unbedingt, in allen Städten. Das zeigt vor allem die Begeisterung des Publikums. Was es da für Warteschlangen vor den Einlasstüren und bei Autogrammstunden gegeben hat! Wir sehen das auch an der Resonanz der Medien – und der Veranstalter. Wenn man die fragt, wann wir wiederkommen sollen, lautet die Antwort: am liebsten morgen! Und ein ganz wichtiges Kriterium: die Zufriedenheit bei Orchester und Dirigent. Da blickt man in lauter glückliche Gesichter.
Jetzt steht als Letztes noch Japan an: für die Berliner Philharmoniker immer das Highlight einer Asientour. Gibt es etwas, auf das Sie sich persönlich freuen – vielleicht sogar außerhalb der Konzerte?
Ich habe eine Stunde Ruhezeit für mich eingeplant, dann will ich an einen meiner Lieblingsorte gehen. Es gibt zwei Schreine und einen Park, wo ich gern bin. Da will ich wieder ein bisschen zu mir finden.