Mystisch und geheimnisvoll

Als Artist in Residence 2015/2016 erschließt uns Peter Sellars nun die Geheimnisse ganz anderer, aber ebenso spannender Welten. Gemeinsam mit den Stipendiaten der Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker erarbeitet er Kaija Saariahos La Passione de Simone. Das Oratorium über die französische Philosophin, Mystikerin und Sozialrevolutionärin Simone Weil hatte der Regisseur auch bei der Uraufführung des Werks 2006 in Szene gesetzt. Auch Debussys Oper Pelléas et Mélisande, die Claude Debussy nach dem gleichnamigen symbolistischen Schauspiel von Maurice Maeterlink komponiert hat, ist Sellars vertraut. 1993 brachte er sie gemeinsam mit Simon Rattle in Amsterdam auf die Bühne. Nun werden Regisseur und Dirigent die rätselhafte Liebesgeschichte von Pelléas und Mélisande, die in geheimnisvolle Seelenlandschaften führt, in der Philharmonie in einer halbszenischen Realisation aufführen. Gesangssolisten sind u. a. Magdalena Kožená und Christian Gerhaher. Auch die dritte Arbeit des Artist in Residence führt in Grenzbereiche des menschlichen Seins: In Claude Viviers 1974 entstandenem Bühnenwerk Kopernikus, die der Komponist selbst als »Rituelle Oper des Todes« bezeichnet, geht es um das Changieren zwischen Realität und Imagination.

»Im Prinzip bin ich Dienstleister. Ich versuche eigentlich nur zu helfen.« Peter Sellars, einer der unkonventionellsten und innovativsten Regisseure unserer Zeit, hat eine sehr pragmatische Einstellung zu seinem Beruf. Sein wichtigstes Anliegen: Mit den Werken, die er auf die Bühne bringt, dem Publikum Anstöße zu geben, sich den politischen und sozialen Themen unserer Zeit zu öffnen, über sie nachzudenken und sie unter anderen, neuen Blickwinkeln zu betrachten. Wie bereichernd dies sein kann, hat er selbst in seiner Laufbahn immer wieder erfahren. Als 21-Jähriger lernte Sellars die Kantaten Bachs kennen – in dem Gedanken gefangen, dass dessen Kompositionen sehr abstrakt seien. Erst zehn Jahre später erkannte er: »Bach erzählt tatsächlich vom Leben!« Diese Einsicht prädestinierte ihn als Regisseur für eines der wichtigsten Projekte, die Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker in den letzten Jahren realisiert haben: die szenischen Aufführungen der Passionen Johann Sebastian Bachs.

Ergreifend und intensiv

Die Zusammenarbeit zwischen Sellars und dem Orchester begann im April 2010 mit der Matthäus-Passion, die von der Presse als das »ergreifendste Musikereignis der Saison« bejubelt wurde. Die Lesart des amerikanischen Regisseurs rückt nicht die Figur Jesus in den Vordergrund, sondern beleuchtet die Konflikte der Menschen seiner Umgebung. »Es gibt keine Gnade, keine Liebe, keine Einsicht unter den Menschen. Diesen bitteren Aspekt singt und spielt die Aufführung heraus« (Berliner Morgenpost). Nach einer Wiederaufnahme der Matthäus-Passion 2013 folgte 2014 die Johannes-Passion, die ebenfalls von Publikum und Presse gefeiert wurde. Die Intensität seiner Inszenierungen erreicht Peter Sellars, indem er jedem Detail Beachtung schenkt. Selbst die kleinsten Soli und minimale Gesten werden akribisch geprobt. »Für mich sind oft die winzigen Details der Schlüssel zum Geheimnis. Wie im Leben machen auch in der Kunst die kleinen Dinge den Unterschied«