
»Beethovens Musik zwingt mich zur Neugier«
Der Pianist Igor Levit im Gespräch

2015 gaben Sie bei den Osterfestspielen Baden-Baden mit Schumanns Klavierkonzert Ihr Debüt bei den Berliner Philharmonikern. Wie haben Sie diesen ersten Auftritt mit dem Orchester empfunden?
Ich erinnere mich, dass es für mich enorm spannend war. Die Anfrage kam sehr kurzfristig, weil Martha Argerich eigentlich das Konzert spielen sollte und sie abgesagt hatte. Ich gastierte gerade in der Nähe beim Heidelberger Frühling und bin sozusagen aus einer kammermusikalischen Probe gleich in die Orchesterprobe gekommen. Ich weiß noch ganz genau, dass ich aufgeregt war – im positiven Sinn. Da saß ich auf einmal vor diesem Orchester, das ich seit meiner Kindheit kenne und schätze!
Was schätzen Sie an den Berliner Philharmonikern?
Die Art der Interpretation, die von jeder einzelnen Musikerin und jedem einzelnen Musiker mitgestaltet wird, diese Energie, dieses Wollen, dieses Ringen um jeden Ton. Als ich das Orchester 2003 erstmals live als Zuschauer erleben durfte, bin ich explodiert vor Begeisterung. Das ist eine besondere Gruppe von Musikern und Musikerinnen.
Letztes Jahr sind Sie vor allem als Interpret der Beethoven-Sonaten unterwegs gewesen. Wann fand Ihre erste Begegnung mit der Musik Beethovens statt und was hat sie in Ihnen ausgelöst?
Das erste prägende Erlebnis mit Beethovens Musik hatte ich als 13-Jähriger: Ich bin in Hannover aufgewachsen und habe dort erstmals die Missa solemnis gehört. Was für ein Eindruck! Diese Größe, diese Radikalität und – ja, auch die Lautstärke dieser Musik überwältigten mich. Etwas später spielte ich dann zum ersten Mal die Diabelli-Variationen und entdeckte die Vielfalt und Unendlichkeit dieses Werks. Jedes Mal, wenn ich sie spiele, staune ich über Neues. Grundsätzlich kann ich sagen: Beethovens Musik zwingt mich zur Neugier, zur Entdeckung.
Bei den Philharmonikern spielen Sie nun das Fünfte Klavierkonzert von Beethoven. Es beginnt mit einer weitausholenden, improvisatorisch anmutenden Geste des Pianisten. Beethoven selbst galt als bedeutender Klavierspieler. Wie stellen Sie sich den Pianisten Beethoven vor?
Er muss ein großartiger Improvisator gewesen sein – sehr frei und gesanglich spielend. Das Fünfte Klavierkonzert gilt als das bombastischste Klavierkonzert Beethovens, dabei gibt es in ihm auch viele Schattenseiten, dunkle und ambivalente Momente. In keinem anderen Konzert finden sich außerdem so viele Passagen, in denen der Pianist das Orchester einfach nur begleitet.
Der Solist als Begleiter? Wie gestaltet sich die Interaktion von Solist und Orchester in diesem Werk?
Orchester und Solist musizieren auf Augenhöhe, sind gleichberechtigte Partner, führen einen intensiven Dialog. Bei diesem Konzert genieße ich am meisten die Stellen, an denen ich als Solist nicht im Vordergrund stehe, sondern mit dem Orchester kommuniziere. Beethoven hat hier einen großen Schritt in Richtung symphonisches Konzert gemacht.
Durch welche Stimmungen führt Beethoven seine Hörer, welche Geschichte möchte er mit diesem Werk erzählen?
Da will ich gar nichts vorgeben: Musik ist eine sehr freie Kunstform. Sie gehört niemandem und gleichzeitig allen. Ich überlasse es den Hörerinnen und Hörern, sich ihre eigenen Gedanken dazu zu machen.
Debüt in Baden-Baden 2015


(Foto: Danny Clinch)
