
Trauer um Mariss Jansons
Zum Tod des Ehrenmitglieds und langjährigen künstlerischen Freundes der Berliner Philharmoniker

Die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Kirill Petrenko trauern um Mariss Jansons, Ehrenmitglied des Orchesters und einer der engsten musikalischen Partner der letzten Jahrzehnte. »Der Tod von Mariss Jansons ist für uns künstlerisch und menschlich ein schwerer Verlust«, sagt Alexander Bader, Klarinettist und Mitglied des Orchestervorstands: »Wir verlieren mit ihm einen Musiker, der uns viele Perspektiven eröffnet hat, etwa in den Werken von Schostakowitsch, die ihm so sehr am Herzen lagen. Nicht weniger beglückend waren seine warm leuchtenden Interpretationen der Musik des 19. Jahrhunderts. Mariss Jansons hat nie den vordergründigen Effekt gesucht, sondern mit unerschöpflicher Neugier die tieferen Schichten einer Partitur erschlossen. Das Ergebnis waren Aufführungen von unglaublicher Intensität und Dichte. Auch im persönlichen Miteinander verband uns eine besondere Partnerschaft. Mariss Jansons war von einer ungewöhnlichen Wärme und Herzlichkeit: Eigenschaften, die auch in seinen Interpretationen zu spüren waren und die seinen Rang als Dirigent mitbestimmt haben.«
Als Ausdruck ihrer Wertschätzung ernannten die Berliner Philharmoniker Mariss Jansons im Februar 2018 zu ihrem Ehrenmitglied. Eine Auszeichnung, die den Dirigenten zutiefst berührte: »Ich bin sehr dankbar für diese große Ehre, die mir mehr bedeutet als alles andere. Die Konzerte mit den Philharmonikern sind für mich immer etwas Besonderes«, meinte er. Die erste Begegnung zwischen Mariss Jansons und dem Orchester fand 1971 statt. Der damals 28-Jährige hatte den Zweiten Preis beim Internationalen Dirigentenwettbewerb Herbert von Karajan gewonnen und dirigierte im Schlusskonzert Ravels Daphnis et Chloé. Die Orchestermusiker fühlten sofort: Hier steht ein Ausnahmetalent vor ihnen.
Musik im Blut
Mariss Jansons wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren: Der Sohn des Dirigenten Arvīds Jansons und der Sängerin Iraida Jansons wusste daher schon sehr früh, dass er den gleichen Beruf wie sein Vater ausüben wollte. Im Opernhaus in Riga, der Arbeitsstätte seiner Eltern, lernte er nicht nur die wichtigsten Opern und Ballette, sondern auch die Gesetzmäßigkeiten des Musikerberufs kennen. Als Siebenjähriger hörte er erstmals Schallplattenaufnahmen der Berliner Philharmoniker und war seither ein Fan des Orchesters. 1956 übersiedelte die Familie nach Leningrad (heute: St. Petersburg), wo Arvīds Jansons seit 1952 als Assistent von Jewgenij Mrawinskij, dem Chef der Leningrader Philharmoniker arbeitete. Dort studierte Mariss Jansons am Konservatorium Violine, Klavier und Dirigieren.
Eine schicksalshafte Begegnung
1968 erlebte er das legendäre Gastspiel der Berliner Philharmoniker in Leningrad, bei dem er erstmals Herbert von Karajan begegnete. Dieser erkannte das immense Talent des jungen Dirigenten und lud ihn ein, zum Studium in den Westen zu kommen. Mariss Jansons erhielt jedoch zu diesem Zeitpunkt keine Ausreisegenehmigung, erst später ermöglichte ihm ein Studentenaustausch, in Wien bei Hans Swarowsky und in Salzburg bei Herbert von Karajan zu studieren. 1971, im Jahr seines Wettbewerbsgewinns, machte ihn Mrawinsky zu seinem Assistenten. Von Leningrad aus startete Mariss Jansons seine phänomenale Weltkarriere. Nach Chefpositionen beim Philharmonischen Orchester Oslo und beim Pittsburg Symphony Orchestra war er ab 2003 Chefdirigent von Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks. Zudem leitete er in gleicher Position von 2004 bis März 2015 das Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam.
Immer wieder Schostakowitsch
Sein »offizielles« Debüt bei den Berliner Philharmonikern gab Mariss Jansons 1976. Seit 1988 war er ein häufiger und regelmäßiger Gast der Philharmoniker, begleitete sie auch auf Tourneen und stand am Pult bei Europakonzerten und bei Open-Air-Konzerten in der Berliner Waldbühne. Seine Programme zeichneten sich durch ungewöhnliche Werkauswahl aus, meist enthielten sie mindestens ein Stück von Komponisten aus dem nord- und osteuropäischen Raum. Programmatische Schwerpunkte bildeten die deutsche Romantik und Spätromantik sowie die Werke von Jean Sibelius und Dmitri Schostakowitsch. Dessen Kompositionen hatte er durch seinen Vater, ein Freund des Komponisten, bereits als Kind aus erster Hand kennen- und schätzen gelernt. Zum letzten Mal stand Mariss Jansons im Januar 2019 am Pult der Philharmoniker und dirigierte ein Programm mit Werken von Richard Strauss, Franz Liszt und Richard Wagner. Auch in diesem Konzert war die Wertschätzung des Orchesters für den Dirigenten unübersehbar, der seinerseits über die Qualität der Musiker äußerte: »Sie beglückt mich als Dirigent, weil ich alles verwirklichen kann, was ich möchte.« Am 1. Dezember ist Mariss Jansons in St. Petersburg gestorben.

(Foto: Reinhard Friedrich)