
2014 und 2016 begrüßten die Berliner Philharmoniker den Beginn der neuen Spielzeit mit gleich zwei Konzertveranstaltungen: dem festlichen Saisoneröffnungskonzert in der Philharmonie und einem Open-Air-Konzert auf dem Kulturforum. Diese noch sehr junge Tradition, das Programm des Eröffnungskonzerts einen Tag später nochmals unter freien Himmel zu präsentieren, setzt das Orchester jetzt mit einem Auftritt im Schlüterhof des Humboldt Forums in wiedererrichteten Berliner Schloss fort. Unter der Leitung ihres designierten Chefdirigenten Kirill Petrenko interpretieren die Philharmoniker Beethovens Siebte Symphonie und Tondichtungen von Richard Strauss. Gleichzeitig lassen die Philharmoniker an diesem Ort die »Schlossmusiken im Schlüterhof« wiederaufleben: eine weitere, eigentlich charmante Tradition des Orchesters, deren zwiespältiger historischer Kontext indessen unübersehbar ist.
Ein sommerliches Musikvergnügen
Unter dem Titel der »Schlossmusiken« veranstaltete das Orchester zwischen 1933 und 1940 jeden Sommer in der Berliner Residenz eine sechs- bis siebenteilige Konzertreihe, die im Rahmen der »Berliner Kunstwochen« stattfand. Wie kam es dazu? 1929 hatte man versucht, Berlin zu einer Festspielstadt mit zahlreichen Opernaufführungen zu machen, um dadurch auswärtige Besucher anzulocken. Doch das Konzept des Festivals ging nicht auf. Noch fehlten – so der Kritiker der Neuen Zeitschrift für Musik – »Veranstaltungen von ausgesprochen lokaler Bedeutung«. Eine Idee dieser Festspiele war es, die historischen Schlösser Berlins zum Aufführungsort zu machen und – so der Rezensent – »diesen festlichen Rahmen mit gehaltvollen, stilechten Aufführungen zu verbinden«. Im folgenden Jahr fand der Festspielgedanke im bescheideneren Format der »Kunstwochen« eine abgespeckte Fortsetzung. Was allerdings ausgebaut wurde, waren die Konzerte im Berliner Stadtschloss, die bald – wie in der Neuen Zeitschrift für Musik 1932 zu lesen ist – zu den »Hauptattraktionen der Kunstwochen« avancierten. Zudem erfüllten die Schlosskonzerte einen sozialen Zweck: Für nur 60 Pfennige hatten die Besucher die Möglichkeit, erstklassige Musikaufführungen zu hören.
Stilvolles im historischen Ambiente
Traten anfangs im Schlüterhof nur die Staatskapelle und das Orchester der Städtischen Oper unter ihren Chefdirigenten auf, so kamen ab 1933 auch die Berliner Philharmoniker hinzu. In den ersten beiden Jahren dieser »Schlossmusiken« stand noch Erich Kleiber, damals Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden, am Pult der Philharmoniker, bevor er 1935 aufgrund der politischen Verhältnisse im nationalsozialistischen Deutschland nach Südamerika emigrieren musste. In den folgenden Jahren übernahm Hans von Benda, der seit 1935 mit der künstlerischen Geschäftsführung der Philharmoniker betraut war, die Leitung der Konzerte. Aber auch Leo Borchard, der sich in den 1940er-Jahren im Widerstand engagierte und nach dem Krieg für kurze Zeit als Interimsleiter des Orchesters fungierte, dirigierte hier. Um dem historischen Ambiente des Schlosshofs gerecht zu werden, erklang bei diesen Konzerten vor allem Musik des Barock und der Wiener Klassik. Diese Programmatik lag Hans von Benda, Spross einer bis in die Barockzeit zurückreichenden Komponistenfamilie, besonders am Herzen. Und er setzte so manches unbekannte musikalische Kleinod auf das Programm: u. a. Werke von Claudio Monteverdi, Johann Hermann Schein, König Friedrich II. von Preußen oder Henry Purcell. Obwohl die Programme der Freiluftkonzerte keinerlei ideologische Prägung zu erkennen geben, sind sie doch im Kontext der nationalsozialistischen Diktatur zu betrachten.
Wenn die Berliner Philharmoniker in dieser Saison nach 78 Jahren wieder im Schlüterhof auftreten, dann steht dieses Konzert glücklicherweise unter ganz anderen Vorzeichen: Das im wieder errichteten Hohenzollern-Schloss entstehende Humboldt Forum soll, nicht zuletzt als Konsequenz aus den düsteren Zeiten der deutschen Geschichte, ein Ort für einen gleichberechtigten Dialog der Kulturen sein und Räume für Begegnung und Austausch schaffen.


