Tempelglocken, Löwengebrüll und Sirenen

Das sogenannte Schlagzeug / Von Susanne Stähr

(Foto: Franz Schindlbeck)

Für einen Geiger ist die Sache klar: Er kann sich ganz auf ein einziges Instrument konzentrieren. Bei den Bläsern wird es schon etwas komplizierter, denn sie müssen, um ihren Beruf ausüben zu können, in der Regel gleich mehrere Instrumente beherrschen, in verschiedenen Tonlagen und Größen. Uferlos aber scheint die Situation bei den Perkussionisten zu sein, wartet auf sie doch gleich eine ganze Hundertschaft verschiedener Klangerzeuger. Ihr unüberschaubares Instrumentenarsenal wird landläufig unter dem nicht gerade charmanten Begriff »Schlagzeug« zusammengefasst. Der freilich enthält nur die halbe Wahrheit: Die Schlagwerker müssen sich nämlich auch an Gerätschaften betätigen, die keineswegs geschlagen werden – sie dürfen die Windmaschine ankurbeln, das Donnerblech schütteln, in Pfeifen tuten, die Sirene aufheulen oder das Löwengebrüll erschallen lassen.

Vom Radau zur Kunstmusik

Dabei fing alles einmal ganz harmlos an. Ähnlich wie der Mensch mit der Stimme von Natur aus über ein Melodieinstrument verfügt, bietet der Körper in sich selbst bereits etliche Möglichkeiten zur perkussiven Klangerzeugung: Schon unsere Ururahnen wussten sie zu nutzen, wenn sie in die Hände klatschten, mit den Füßen aufstampften oder mit der Zunge und den Fingern schnalzten und so ihre kultischen Zeremonien mit rhythmischen Impulsen bereicherten. Im vierten oder dritten Jahrtausend vor Christus begannen sie dann, Gefäße mit Tierhäuten zu bespannen und darauf zu trommeln: Es war die Geburtsstunde der ersten Schlaginstrumente, die ungeahnte Perspektiven boten. Man konnte die regelmäßigen »Beats«, die sich darauf erzeugen ließen, in der Geschwindigkeit, der Frequenz und der Lautstärke steigern, damit den Pulsschlag nach und nach beschleunigen, die Hörer aufpeitschen und sie am Ende zur Ekstase führen. Klar, dass diese Wunderwirkung bald auf den verschiedensten Feldern Nutzung fand, bei Festen und Tänzen, bei schamanischen Ritualen, aber auch bei Aufmärschen und vor allem beim Militär. Der Schrecken, den die Regimenter der Osmanen in den Türkenkriegen vom 15. bis 17. Jahrhundert verbreiteten, hing auch mit den Janitscharenkapellen zusammen, die sie begleiteten. Denn die verbreiteten mit großen Trommeln, Becken, Triangeln und Zimbeln einen furchterregenden Radau.

Ein schlechter Leumund

Entsprechend schlecht war das Schlagwerk lange Zeit in der Kunstmusik beleumundet. Dass es zu einem Umdenken kam, war der Pauke zu verdanken, die spätestens im 13. Jahrhundert in Europa eingeführt wurde, als Beutestück, das Kreuzritter aus dem arabischen Raum mitbrachten. Ihr Vorzug bestand vor allem darin, dass sie nicht nur ein Geräusch hervorbrachte, sondern durch die präzise Spannung der Membran auf eine feste Tonhöhe gestimmt werden konnte. Stellte man zwei oder mehrere dieser Instrumente nebeneinander, in unterschiedlicher Stimmung, so ließen sich sogar Tonfolgen damit spielen: Das tumbe Schlagzeug stieg so mit einem Mal zum Harmonie- und Melodieinstrumentauf. Und diese Fähigkeit feilten findige Instrumentenbauer im 19. Jahrhundert dann noch aus. Sie konstruierten Pedalmechanismen, die es den Paukisten ermöglichten, während der Stücke verschiedene Tonhöhen anzustimmen, bis hin zum fließenden Wechsel, zum Paukenglissando. Die Redewendung »mit Pauken und Trompeten« verrät viel über die frühe Verwendung dieses Schlaginstruments. An den Höfen kam es bevorzugt zum Einsatz, wenn hochrangige Persönlichkeiten begrüßt, aber auch wenn wichtige Mitteilungen kundgetan wurden oder Sieger bei Turnieren ihre Trophäen erhielten. In der Kirchenmusik wiederum – man denke an Johann Sebastian Bach – dienten Pauken und Trompeten dazu, die Herrlichkeit und Allmacht Gottes zu repräsentieren. Im Theater spielten sie ebenfalls eine herausgehobene Rolle, gestalteten sie doch die Fanfaren, zu denen die erlauchte Gesellschaft ins Auditorium einzog, oder gaben sie das Signal, um den Beginn der Vorstellung anzuzeigen – die historisch-informierte Version eines Klingelzeichens also.

Kuhglocken und Peitschen

Ohnehin war der Aufstieg des Schlagzeugs mit dem Siegeszug der Oper ab der Barockepoche eng verbunden. Jean-Philippe Rameau etwa brachte in seinen Bühnenwerken mit dem Tamburin gern eine Schellentrommel zum Einsatz, wenn es darum ging, exotisches Kolorit zu evozieren. Georg Friedrich Händel versuchte, mit dem lichten Glockenspiel den schwermütigen König Saul von seinen Depressionen zu erlösen. Wolfgang Amadeus Mozart nutzte in der Entführung aus dem Serail das gesamte Instrumentarium der Janitscharenmusik, um die Schrecken des Orients zu vergegenwärtigen. Und das war nur der Anfang. Mit der Erfindung der Tondichtung und der Einkehr des Naturalismus in die Musik wurde das Schlagwerk auch auf dem Konzertpodium immer wichtiger. Die Stürme, die Richard Strauss in seiner Alpensinfonie oder Maurice Ravel in Daphnis et Chloé darstellen, wären ohne Windmaschine und Donnerblech nicht denkbar. Doch wurden sie mühelos noch übertroffen von Edgard Varèse, der in seiner Tondichtung Amériques die Klangkulisse des New Yorker Hafens am Hudson widerspiegelt und dazu nicht nur Ratschen, Gongs und Glocken, sondern auch Schiffspfeifen, das Löwengebrüll und die berüchtigte Sirene auffährt. Freilich brauchte es gar kein konkretes Programm, um die Fantasie der Komponisten anzuregen. Gustav Mahler etwa gewährt den Perkussionisten einen symbolträchtigen Einsatz, wenn sie die Kuhglocken läuten dürfen, um Erdenferne zu suggerieren, oder wenn sie, in seiner Sechsten Symphonie, einen monströsen Holzhammer niedersausen lassen, als umwerfendes Sinnbild eines Schicksalsschlags, der den Helden wie ein Axthieb trifft. Oder man denke an Maurice Ravel: Ließe sich ein Werk effektvoller eröffnen als sein G-Dur-Klavierkonzert, wenn als allererstes ein Peitschenknall das Publikum aus seiner Lethargie reißt?

Klingende Gebrauchsgegenstände

Die Beispiele zeigen: Es waren oft Gebrauchsgegenstände, die dank ihrer klingenden Qualität zu Musikinstrumenten umfunktioniert wurden und das Schlagwerk bereicherten. Durch die Entdeckung ferner Kulturen und die Globalisierung wurde dieser Trend noch erheblich verstärkt. Längst bevölkern japanische Tempelglocken, kubanische Bongos und afrikanische Congas, amerikanische Boobams (Bambusröhren), chinesische Gongs und brasilianische Maracas, indische Tablas und tibetanische Gebetssteine die Podien, wenn zeitgenössische Musik auf dem Programm steht. Einige dieser Instrumente sind ganz zart in ihrem Klang, andere dagegen laut bis zur Schmerzgrenze. Doch eines verbindet all diese grundverschiedenen Instrumente: Von Spezialfällen abgesehen, muss jeder Schlagzeuger sie spielen können. Die Perkussionisten brauchen deshalb nicht nur ein untrügliches Rhythmusgefühl, sie müssen auch ungeheuer vielseitig und findig sein. Erst recht gilt das, wenn Schlagzeugkonzerte wie die Speaking Drums von Peter Eötvös aufgeführt werden: Mehr als 20 verschiedene Instrumente, vom Marimbafon bis zum Woodblock, muss der Solist da traktieren und zwischen ihnen hin und her sprinten – nicht nur musikalisch, auch sportlich eine Herausforderung. Und als Rezitator oder Schauspieler darf er sich obendrein noch betätigen, mit der gleichzeitigen Deklamation von Laut-Gedichten, die er nach Art asiatischer Kampfsportkünstler ausstößt. Für den Beruf des Schlagzeugers gibt es einfach keine Grenzen…