»Wie ein guter Rotwein«

30 Jahre Philharmonisches Bläserquintett Berlin

Das Bläserquintett gehört wie das Streichquartett zur Königsdisziplin der Kammermusik. »Als Orchestermusiker empfinden wir es als großen Gewinn, im Bläserquintett zu spielen – weil wir gelernt haben, ganz anders aufeinander zu hören«, meint Walter Seyfarth, Klarinettist der Berliner Philharmoniker. Er weiß, wovon er spricht. Seit 30 Jahren ist er Mitglied des Philharmonischen Bläserquintetts Berlin, ein Ensemble, das durch seine Initiative ins Leben gerufen wurde: 1988 erhielt Walter Seyfarth die Einladung, in Quintettformation im Café Einstein aufzutreten. Für dieses Ereignis konnte er seine philharmonischen Kollegen, den Flötisten Michael Hasel, den Oboisten Andreas Wittmann, den Hornisten Fergus McWilliam und den Fagottisten Henning Trog, begeistern. Der große Erfolg ihres Konzerts ermutigte die Musiker, weiterhin in dieser Besetzung zusammenzuarbeiten. Heute vertreten das Philharmonische Bläserquintett mehrere große, renommierte Konzertagenturen, koordinieren Auftritte und Tourneen auf der ganzen Welt: 20 bis 25 Konzerte pro Jahr geben die Musiker oftmals neben ihrem regulären Orchesterdienst. Nur einmal kam es in all der Zeit zu einem Wechsel: Nachdem Henning Trog in den Ruhestand ging, übernahm die Fagottistin Marion Reinhard seine Position.

Auf der Suche nach der perfekten Klangmischung

Anders als beim Streichquartett ist das Instrumentarium mit vier verschiedenen Holzbläsern und einem Blechblasinstrument sehr heterogen. Darin liegt die Herausforderung, aber auch der Reiz. Es gibt die hohe, alles überstrahlende Flöte, die ebenfalls hohe, nasale Oboe, die sonore Klarinette, das zu den Blechblasinstrumenten gehörende, tiefere Horn und als Bass das Fagott. »Wir Flötisten neigen gerne zum Primadonnengehabe, weil wir die oberste Stimme spielen. Mit dieser Farbe könnte man den Rest des Ensembles ziemlich platt machen. Ich als Flötist finde es ziemlich wichtig, darauf zu achten, dass der Klang integriert bleibt, sich gut mit der Oboe oder Klarinette mischt.« Sich an die Anderen anpassen, aufeinander hören – das ist auch für Walter Seyfarth oberstes Gebot: »Ich achte ständig auf die Artikulation der Oboe und der Flöte, die ja ein wesentlich kürzeres Staccato spielen können. Das ist für die Klarinette mit ihrem viel größeren Resonanzbereich sehr schwer. Außerdem muss ich mich dauernd mit dem Horn und Fagott mischen. Es darf nie zu einem Herausstechen der Klangfarbe kommen. Die Klarinette hat etwas von einer Mittlerfunktion.«

Walter Seyfarth weist darauf hin, dass sämtliche Mitglieder des Quintetts im Orchester keine solistischen Positionen besetzen. »Wir sind daher alle gewohnt, uns an die ersten Stimmen anzupassen. Die Kunst des sich Zurücknehmens kommt dem Ensembleeindruck des Quintetts zu Gute.« Das Feilen an der Klangbalance sei – so Andreas Wittman – ein wichtiger, aber nicht der einzige Aspekt des Zusammenspiels: »Wir haben in den 30 Jahren versucht, klanglich über das, was man normalerweise von einem Bläserquintett kennt, hinauszugehen. Uns war wichtig, mehr Klangfarben zu finden und Mischfarben zu kreieren. Das Publikum soll den Eindruck haben, dass ein größeres Ensemble spielt.«

Ungewöhnliche Programme

Im Gegensatz zum Streichquartett ist die Literatur für die Bläserbesetzung überschaubar, zumal sich die Musiker von Anfang an einig waren, nur Originalwerke, keine Bearbeitungen zu spielen. »Das schränkt die Repertoireauswahl schon sehr ein«, schmunzelt Michael Hasel. »Wir spielen oft die gleichen Stücke. Aber dadurch kennen wir sie immer besser und intensiver. Wir haben das Repertoire richtig verinnerlicht.« Dieses Repertoire beginnt in der Wiener Klassik mit Werken Anton Reichas und Franz Danzis und reicht bis hin zu Kompositionen des 20. Jahrhunderts, in dem das Bläserquintett eine Renaissance erlebte. Im Laufe der Jahre kamen auch Stücke hinzu, die eigens für das Ensemble geschrieben wurden, beispielsweise Xenion von Volker David Kirchner, die Suite brasileira von Julio Medaglia oder das Zweite Bläserquintett von Kalevi Aho, bei dem neben dem »klassischen Instrumentarium« alternierend eine Piccolo- und Altflöte sowie ein Englischhorn eingesetzt werden. Für die Musiker sind diese Werke oftmals physisch sehr herausfordernd. »Wir kommen uns manchmal wie ein Marathonläufer vor. Im Quintett sind wir permanent gefordert, nicht nur als Tuttist, sondern als Solist«, erklärt Andreas Wittmann. Wesentlich für die Entwicklung des Ensembles waren auch die über 20 CD-Einspielungen, die im Laufe der Jahre entstanden. »Das Wunderbare nach all den Jahrzehnten ist, dass wir gar nicht mehr viel reden müssen. Wir sind aufeinander eingespielt und kennen die Reaktion der anderen«, freut sich Walter Seyfarth. Die anderen nicken zustimmend: »Das verhält sich wie mit einem guten Rotwein: Er wird über die Jahre immer besser.«

Der Text ist die gekürzte Fassung eines Beitrags von Nicole Restle für das Magazin 128 (Band 04/2018), dessen Ausgaben in unserem Online-Shop und im Shop der Philharmonie erhältlich sind.

Kurz nach der Gründung
(Foto: privat)
Zehn Jahre später...
(Foto: Archiv Philharmonisches Bläserquintett)
2007 beim »Festival of Lights« in New York
(Foto: Monika Rittershaus)
Ein gut gelauntes Ensemble
(Foto: Archiv Philharmonisches Bläserquintett)
Das Philharmonische Bläserquintett heute
(Foto: Peter Adamik)