
(Foto: Unitel)
Im Rückblick:
»Er hat mir viele praktische Tipps gegeben«, erzählt Zubin Mehta in einem Interview der Digital Concert Hall. Mit »er« ist Herbert von Karajan gemeint, den der damals noch junge Dirigent in Salzburg besucht hat, um mit dem legendären Maestro die Partitur zu Giuseppe Verdis Otello durchzugehen. Mehta, der heute als einer der wichtigen Otello-Dirigenten gilt und in diesem Jahr die Neuproduktion der Berliner Philharmoniker bei den Osterfestspielen in Baden-Baden leitet, hatte in Karajan einen Coach, der die Oper bestens kannte: Seit seinen Anfangsjahren als Generalmusikdirektor in Aachen begleitete ihn das Werk, er brachte es mehrfach als Neuinszenierung an der Wiener Staatsoper heraus, den Höhepunkt seiner Otello-Interpretation bildeten jedoch die Aufführungen Anfang der 1970er-Jahre während der Salzburger Festspiele.
Karajan, der bei seiner Inszenierung auch Regie führte, arbeite mit einer Traumbesetzung: Der Tenor Jon Vickers war damals der Otello schlechthin. Kein anderer konnte den inneren Zerfall der Figur vom siegreichen venezianischen Feldherrn zum psychotischen, von Eifersucht getriebenen Mörder stimmlich und darstellerisch besser nachzeichnen als er. Ihm zur Seite stand – beseelt und rein – Mirella Freni als Desdemona, die mit ihrem engelsgleichen Gesang berührte. Kühl, kalkulierend und manipulativ gab sich Peter Glossops Jago. Bei den Salzburger Aufführungen saßen die Wiener Philharmoniker im Orchestergraben, die Fernseh- und Schallplattenaufzeichnungen mit derselben Sängerbesetzung aus dem Jahr 1973 hingegen realisierte Karajan mit den Berliner Philharmonikern.
Während die Tonaufnahmen in der Berliner Philharmonie stattfanden, wurde die Handlung in den Bavaria Filmstudios gedreht. Um die Sturmszene mit dem aufgewühlten Meer am Anfang möglichst realistisch darzustellen, kopierte man Ausschnitte aus dem Spielfilm Meuterei auf der Bounty ein. Außerdem gibt es im 1. Akt einen Cameo-Auftritt Karajans, der sich unter die Gäste des Trinkgelages gemischt hat. Der von Unitel für das ZDF produzierte Film gibt ein eindringliches Zeugnis von Karajans Otello-Deutung. Gleichwohl war das Projekt nicht unumstritten. Die Kritiker lobten uneingeschränkt die musikalische Interpretation, die im historischen Monumentalstil gehaltene szenische Umsetzung fand nicht ungeteilten Zuspruch. So urteilte die Süddeutsche Zeitung: »Karajan mit zwei Gesichtern: als Verdi-Dirigent ohnegleichen und als Verdi-Regisseur aus der Grand Opéra zu Meyerbeers Zeiten. Warum suchen so viel Genie und so wenig Geschmack denselben Mann heim?«
Einen kompletten Gegensatz zu Karajans Ansatz bildete die Otello-Produktion, die die Berliner Philharmoniker unter der Leitung Claudio Abbados 1996 zum 30-jährigen Bestehen der Salzburger Osterfestspiele auf die Bühne des Festspielhauses brachten. Abbado hatte das Werk bislang erst einmal 1975 an der Mailänder Scala dirigiert. Nun wandte er sich der Oper nach 20 Jahren erneut zu: Er leitete die konzertante Aufführung im Dezember 1995 in Berlin, die als Vorbereitung auf das Festival stattfand, die Neuproduktion in Salzburg sowie 1997 die Wiederaufnahme der Inszenierung am Theater Turin. Auch Abbado setzte auf ein großartiges Sängerensemble: Plácido Doming verkörperte die Titelpartie, Ruggiero Raimondo den hinterhältigen Jago. Mit Barbara Frittoli als Desdemona hatte Abbado eine sehr junge, noch unbekannte Sopranistin verpflichtet, die mit ihrer eindringlichen Gestaltung der Partie begeisterte und die internationale Opernwelt auf sich aufmerksam machte. Ermanno Olmis strenge, kammermusikalische Inszenierung, die sich auf einer Treppe abspielte, legte den Fokus auf das innere Drama der Protagonisten.
Die Konzentration auf das Wesentliche spiegelte sich auch in der transparenten musikalischen Interpretation Abbados wider. Das Orchester sei – so der Tagespiegel – »heimlicher und immer vehementerer Hauptdarsteller. Claudio Abbado und die Berliner Philharmoniker klingen seidenweich und markant geschärft. Aus dem tobenden Inferno wird eine zarte Riesenharfe.« Von musikhistorischem Interesse war, dass in diesen Aufführungen das von Verdi nachkomponierte Finale des Dritten Akts erklang, das nochmal ein neues Schlaglicht auf die Figur des Jago wirft. Abbado gelang es, eine andere Perspektive auf die Oper zu vermitteln als sein Vorgänger. Bei den diesjährigen Osterfestspielen bieten Zubin Mehta, die Berliner Philharmoniker und der Regisseur Robert Wilson eine weitere Deutung des Werks.