Komponistinnen bei den Berliner Philharmonikern

Zur europäischen Erstaufführung von Anna Thorvaldsdottirs »Metacosmos«

Anna Thorvaldsdottir
(Foto: Saga Sigurdardottir)

Ihre Musik sei – so Anna Thorvaldsdottir – aus dem Stoff, aus dem ihre Träume sind: Luzide, atmosphärisch, flirrend ziehen ihre Klanggespinste den Hörer in den Bann. Für Alan Gilbert, der bei den Berliner Philharmonikern die europäische Erstaufführung ihres Orchesterwerks Metacosmos dirigiert, ist sie »eine der einzigartigsten und expressivsten Stimmen der heutigen Komponistenszene«.

Der Natur abgelauscht

Die 1977 in Reykjavik geborene Komponistin, die in einer Musikerinnenfamilie aufwuchs und an der Musikakademie ihrer Heimatstadt sowie an der University of California in San Diego studierte, hat sich in den letzten Jahren mit ihren ebenso fragilen wie ausdruckstarken Klangskulpturen internationales Renommee erworben. Als wichtigste Inspirationsquelle dient ihr die Natur, mit der sie in Resonanz geht und deren Sprache sie in ihre Musik transformiert. Die spirituelle Verbundenheit mit dem göttlichen Kosmos prägt auch das Schaffen von Sofia Gubaidulina, einer der großen Komponistinnen unserer Zeit. In den Intervallen und Akkorden ihrer Werke spiegeln sich – wie Gubaidulina in einem Interview für die Digital Concert Hall verriet – die rhythmischen Pulsationen wieder, die in der ganzen Welt und der Natur präsent sind.

Ein immer größer werdender Kreis

Anna Thorvaldsdottir und Sofia Gubaidulina gehören zu der noch kleinen, aber immer größer werdenden Gruppe von Komponistinnen, deren Werke Eingang in das Repertoire der Berliner Philharmoniker gefunden haben. Seit 1990 stehen die Stücke von Sofia Gubaidulina regelmäßig auf den Programmen des Orchesters. Höhepunkte bildeten die Aufführungen ihres Konzerts für Schlagzeugensemble Glorious Percussion unter Leitung von Gustavo Dudamel (2009), ihres Ersten Violinkonzerts mit Vadim Repin als Solist (2010) und des Stücks In Tempus Praesens, das Christian Thielemann 2016 leitete. Auch die Finnin Kaija Saariaho und die aus Südkorea stammende und in Berlin lebende Unsuk Chin, eine Schülerin György Ligetis, bereichern die Konzertprogramme des Orchesters. Von Unsuk Chin spielten die Philharmoniker zuletzt im November 2017 die Uraufführung ihres Chorós Chordón, einem Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker. Die Komponistin und ihr Stück begleiteten die Philharmoniker bei ihrer großen Asientournee 2017, die gleichzeitig Sir Simon Rattles Abschiedstournee als Chefdirigent des Orchesters war.

Keine Vorbilder

Ein Jahr zuvor hatten die Philharmoniker ein ebenfalls von ihnen in Auftrag gegebenes Stück von Betsy Jolas uraufgeführt: Little Summer Suite. Die franko-amerikanische Komponistin ist mit ihren heute 93 Jahren die älteste der philharmonischen Komponistinnen. Im Interview für die Digital Concert Hall blickt sie, die Tochter eines Künstlerpaars, zurück auf die Zeit ihrer Berufswahl. Dabei verrät sie, dass ihre Eltern wohl ziemlich enttäuscht gewesen wären, wenn sie eine Bankerin oder Geschäftsfrau geworden wäre. Ein Künstlerberuf musste es schon sein; Betsy Jolas dachte zunächst aber eher an Malerin, Tänzerin oder Schriftstellerin. »Komponistin schien mir zu ehrgeizig«, erinnert sie sich. »Es gab ja damals keine weiblichen Vorbilder. Das war das Problem.« Diesbezüglich hat es die jüngere Komponistinnengeneration heute leichter.

Gegenseitige Wertschätzung

Mit Elena Kats-Chernin und Isidora Žebeljan seien noch zwei Komponistinnen genannt, die von der Stiftung Berliner Philharmoniker Kompositionsaufträge für Education- Projekte und Kammermusikaufführungen erhalten haben. Nicht zu vergessen Iris ter Schiphorst, deren Musik zum Grüffelo vom Scharoun Ensemble Berlin aufgeführt wurde. Wie ihre männlichen Kollegen empfinden die Komponistinnen eine Aufführung durch die Berliner Philharmoniker als Privileg, vor allem wenn es sich um eine Uraufführung handelt. »Die erste Probe ist für mich der schrecklichste Moment des Kompositionsprozesses«, erklärt Unsuk Chin in der Digital Concert Hall. »Aber ich weiß, wenn ich mit einem Orchester wie den Berliner Philharmonikern zusammenarbeite wird zum Schluss etwas Tolles daraus.« Auch Sofia Gubaidulina freut sich über die Wertschätzung, die sie bei dem Orchester genießt. Voller Dankbarkeit meint sie: »Bei ihm bieten sich erstklassige Möglichkeiten für die Aufführung meiner Musik.«

Sofia Gubaidulina
(Foto: Archiv Berliner Philharmoniker)
Kaija Saariaho
(Foto: Maarit Kytóharju/FIMIC)
Unsuk Chin
(Foto: Eric Richmond)
Betsy Jolas
(Foto: privat)

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