Debüt: Constantinos Carydis

Ein Porträt des griechischen Dirigenten

Constantinos Carydis
(Foto: Thomas Bril)

Er zählt zu den leisen, vorsichtigen, beinahe skrupulösen Naturen seiner Zunft. Richtig wohl scheint sich Constantinos Carydis nur dort zu fühlen, wo er seiner liebsten Neigung nachgehen kann – am Pult. Von dort aus – sei es im Operngraben oder auf dem Konzertpodium – übt der griechische Dirigent eine Faszination aus, die ihn inzwischen zu den bedeutenden Orchestern in der Musikwelt geführt hat. Nun gibt er sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern. Wenn es einen Antitypus des taktstockschwingenden Potentaten gibt, dann findet man ihn in Constantinos Carydis. Schon sein Äußeres verrät die Dezenz und Distinktion, die auch seinem Dirigieren innewohnt. Er vertieft sich in Partituren, studiert sie wie ein Finanzbeamter und verwandelt sich dann, kaum steht er am Pult, in jenen ingeniösen Künstler, der die Luft zum Flirren bringt.

Taufstunde mit Bizet

Am Beginn steht das handwerkliche Können. Carydis studierte am Nationalen Konservatorium seiner Heimatstadt Athen zunächst Musiktheorie und Klavier, dann wechselte er die Stadt und das Ausbildungsinstitut. In München erlernte er bei Hermann Michael die Kunst des Dirigierens, ließ es sich aber nicht nehmen, parallel dazu eine Karriere als Pianist anzustreben. Irgendwann aber kommt für jeden der Tag der Wahrheit. Für Constantinos Carydis war dies sein Debüt am Münchner Gärtnerplatztheater. Danach konnte er sich vor Angeboten kaum noch retten und um seine Pianistenkarriere war es geschehen. Auf München folgte die Stuttgarter Staatsoper, dann ging es im Sauseschritt weiter: Bereits 2006 debütierte Carydis, gerade einmal 32 Jahre alt, an der Wiener Staatsoper mit Bizets Carmen. Und so grandios verlief diese Taufstunde, dass die Verantwortlichen gar nicht anders konnten, als das Junggenie gleich wieder einzuladen – für 16 La Bohème-Abende sowie für die Oper aller Opern, für Mozarts Don Giovanni. Das war der Ritterschlag, und damit schien der Weg ganz nach oben endgültig frei.

Lobeshymnen der Presse

Carydis’ sensationeller Erfolg ist weder ein Zufall noch eine Laune des Schicksals. Es ist der Ausdruck einer immensen Wertschätzung für seine unnachahmliche Art zu dirigieren. Einer, der das einmal sehr schön beschrieben hat, ist der renommierte und Künstlern stets mit Respekt begegnende Musikjournalist Karl Harb. Er hörte Carydis bei den Salzburger Festspielen und kam zu folgendem Ergebnis: »Für jedes Stück«, notierte Harb, »findet Carydis eine passende, spezifische Klangaura, entwickelt einen Farbenreichtum, der nur entstehen kann, wenn man selbst kleinste Nuancen, Verzierungen, Phrasierungsdetails beachtet und ernst nimmt, mithin ins Innerste der Werke zu hören versteht. In diesem Sinne ist der Dirigent ein Bruder im Geiste Kirill Petrenkos.«

Ins Herz der Musik

Carydis dirigierte nicht von oben herab, sondern von unten, hinein ins Herz der Musik. Es genügt, einen Blick auf die Liste der Opernhäuser und Symphonieorchester zu werfen, die ihn engagiert haben, um recht schnell zu begreifen, wie tief er in dieses Herz hineinblickt, und das eben nicht nur auf dem Gebiet des Musiktheaters, sondern auch und immer häufiger im symphonischen Bereich. New York, München, London, Paris, Frankfurt, Berlin – es ließe sich Zeile um Zeile füllen mit den renommierten Musentempeln dieser Welt, in denen Carydis dirigierte, aber nie den Taktstock erhob. Der Grieche verzichtet selbst bei größer besetzten Werken auf den magisch-mächtigen Stab, denn er braucht dieses Instrument der Macht nicht. Die Macht der Musik ist ihm weitaus bedeutender. Und eben darin ist er tatsächlich ein Bruder im Geiste von Kirill Petrenko, der im August sein Amt als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker antritt. 

Der Text ist die gekürzte Fassung eines Beitrags von Jürgen Otten für das Magazin 128 (Ausgabe Juni 2019), dessen Ausgaben in unserem Online-Shop und im Shop der Philharmonie erhältlich sind.