
(Foto: Siegfried Lauterwasser/Archiv Berliner Philharmoniker)
Einen Gegenentwurf zum modernen Regietheater – nichts anderes wollte Herbert von Karajan schaffen, als er 1967 die Salzburger Osterfestspiele ins Leben rief. Die jährliche Opernaufführung, die das Herzstück des Festivals bildet, gab dem damaligen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker die Möglichkeit, seine Ideen eines nur der Musik dienenden Inszenierungsstils zu verwirklichen. Vor allem auf die Produktionen der Bühnenwerke Richard Wagners wartete die Musikwelt mit Spannung, boten sie doch bewusst eine Alternative zu den provokanten Deutungen der Bayreuther Festspiele. Nach dem Ring des Nibelungen, Tristan und Isolde, den Meistersingern von Nürnberg und Lohengrin widmeten sich Karajan und die Berliner Philharmoniker 1980 der letzten Oper Richard Wagners, dem Parsifal. Karajan stand nicht nur am Pult, sondern führte auch Regie. Mit Peter Hofmann, einem der führenden Wagner-Tenöre jener Zeit, war die Titelpartie prominent besetzt. Die weiteren Rollen sangen Kurt Moll (Gurnemanz), José van Dam (Amfortas) und Dunja Vejzović (Kundry). Das Bühnenbild stammte von Günther Schneider-Siemssen, mit dem Karajan seit 1960 zusammenarbeitete. »Dieser Parsifal ist der Schlussstein in Karajans Wagner-Bild«, schrieb Karlheinz Roschitz, Kritiker der Wiener Kronen Zeitung.
»Die Musik diktiert die Regie«, lautete Karajans Motto. Er setzte bei der Inszenierung auf eine oratorienhafte Deutung: Streng, statisch, gemessen wirkten die Protagonisten auf der Bühne des Festspielhauses. Die Inszenierung – so der Kritiker Roschitz – streife alles ab, was hinter diesen Wagner-Figuren spür- und aufspürbar sei: an bösen, verbotenen Leidenschaften, neurotischen Zwängen und schicksalhaften Verkettungen. Ein besonderer szenischer Kniff war, dass im zweiten Aufzug die Sängerinnen der Blumenmädchen hinter der Bühne standen, während Balletttänzerinnen auf der Bühne den Blumenschönheiten Gestalt verliehen. Den Presseberichten zufolge wirkte die Inszenierung etwas eintönig, ungeteilte Zustimmung hingegen erhielt die musikalische Interpretation: Der prachtvoll gleißende Klang, den der Dirigent und seine Musiker in 40 Orchesterproben erarbeitet hatten und in langsamen Tempi zelebrierten, betörte Publikum und Presse. »Wer auf ein langes Leben als Kritiker zurückblickt, muss dem Schicksal und Herbert von Karajan für diesen unvergesslichen Pasifal danken«, meinte Hans Heinz Stuckenschmidt in der FAZ. Im folgenden Jahr gab es eine Wiederaufnahme der Produktion, gleichzeitig erschien bei der Deutschen Grammophon die Gesamteinspielung der Oper. Wieder wurde die Interpretation der Philharmoniker und ihres Chefdirigenten als »orchestrales Mysterium« gefeiert. Wichtigste Änderung gegenüber dem Vorjahr: Karajan splittete die Aufführung aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes: Der erste Akt erklang am Vormittag, der zweite und dritte Aufzug folgten am Nachmittag. »So hatten die schönen Frauen eine Chance, vom kleinen Festkleid in das große umzusteigen, die Männer von korrekten Anzug ins Dinerjackett«, kommentierte Stuckenschmidt.
20 Jahre später nahmen sich die Berliner Philharmoniker wieder des Parsifal an – dieses Mal unter der Leitung von Claudio Abbado, der in seiner letzten Saison als Chefdirigent des Orchesters erstmals Wagners Meisterwerk dirigierte. Der Produktion bei den Salzburger Osterfestspielen ging eine halbszenische Aufführung in der Berliner Philharmonie voraus mit Robert Gambill als Parsifal, Linda Watson als Kundry und Kurt Moll als Gurnemanz, der in dieser Rolle bereits unter Karajan zu sehen gewesen war. In Salzburg sangen Thomas Moser, Violeta Urmana und Hans Tschammer diese Partien. Die Pressereaktionen auf die Festspielinszenierung ähnelten denen der Karajan-Zeit: Die Regie von Peter Stein, der sich selbst als Anti-Wagnerianer bezeichnete, wurde als hilflos und uninspiriert gewertet, die musikalische Darbietung hingegen hymnisch gefeiert. Allerdings verfolgte Abbado einen ganz anderen interpretatorischen Ansatz als sein Vorgänger: apollinisch klar, lebhaft, beweglich und dennoch expressiv. Eine »impressionistische Filigranarbeit« sei dieser Parsifal. Dass Abbado Wagners letzte Oper an das Ende seiner philharmonischen Amtszeit stellte, hatte für seinen Nachfolger Konsequenzen. Im Interview für das Magazin des Baden-Badener Festspielhauses verriet Sir Simon Rattle: »Was keiner weiß: Ich wollte eigentlich schon bei meinen allerersten Osterfestspielen mit den Berliner Philharmonikern Parsifal machen. Dann aber änderte mein Vorgänger Claudio Abbado seine Pläne und entschied sich, in seiner letzten Saison doch nicht Modest Mussorgskys Chowanschtschina in Salzburg zu machen, sondern Parsifal.« Nun verabschiedet sich Simon Rattle mit Wagner Schwanengesang und erfüllt sich damit einen lang gehegten Wunsch. Ein Kreis schließt sich.