Seit 60 Jahren eine ganz große Liebe

Die Berliner Philharmoniker und Asien

Herbert von Karajan 1970 in Osaka
(Foto: Archiv Berliner Philharmoniker)

Genau vor 60 Jahren gastierten die Berliner Philharmoniker als erstes großes europäisches Symphonieorchester in Japan. Diese Reise hatte – schenkt man den damaligen Presseberichten Glauben – nicht allein eine kulturelle, sondern auch eine politische Dimension. In einer Zeit, in der die Welt durch den Kalten Krieg in eine östliche und eine westliche Hemisphäre gespalten war, sollte über solche musikalischen Ereignisse die Verbundenheit zwischen Japan und Deutschland unterstrichen werden. Karajan und seinen Musikern stand ein straffer Zeitplan bevor: In knapp drei Wochen galt es, 16 Konzerte in acht Städten zu geben. Die Highlights der klassischen Musik standen auf den Programmen dieser Konzerte, u. a. Vorspiele aus Opern von Richard Wagner und Carl Maria von Weber, die bekanntesten Symphonien von Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms und Antonín Dvořák sowie Tondichtungen von Richard Strauss und Bedřich Smetana. Diese erste Japan-Tournee, bei der Karajan und die Philharmoniker wie Popstars gefeiert wurden, legte den Grundstein für die gegenseitige Zuneigung, die Land und Orchester seither verbindet.

Begeisterung mit Beethoven und Brahms

Es sollte zwar fast zehn Jahre dauern, ehe Karajan und die Berliner Philharmoniker wiederkamen, doch seit den 1970er-Jahren reisten sie öfters in das Land der aufgehenden Sonne. Besondere Triumphe feierten sie mit ihren Beethoven- und Brahms-Zyklen. Karajan besaß mittlerweile in Japan den Status eines Halbgotts, schier grenzenlos war die Verehrung, die ihm entgegengebracht wurde. Der Dirigent wiederum war beeindruckt von der hohen Konzentrationsfähigkeit seines Publikums, das damals – auch das wird in den Presseberichten immer wieder erwähnt – vor allem aus jungen Männern zwischen 17 und 30 Jahren bestand.

Abstecher nach China und Korea

1979 machten das Orchester und sein damals 71-jähriger Chefdirigent nach ihrer Japan-Tournee noch einen »Schlenker« nach Peking. »Die Berliner Philharmoniker stellen das bisher größte geschlossene Ensemble, das hinter der chinesischen Mauer für die Musik des westlichen Kulturkreises wirbt«, berichtete die Berliner Morgenpost. Die beiden Konzerte fanden im Rahmen des deutsch-chinesischen Kulturaustausches statt und stellten die Organisatoren vor große Herausforderungen. Weil es in Peking damals keinen geeigneten Konzertsaal gab, trat das Orchester in einer Sporthalle auf, die sich akustisch nur bedingt eignete. Das mit dem westlichen Konzertgewohnheiten nicht vertraute Publikum erhielt beim Einlass einen »Konzert-Knigge«, der dazu aufforderte, während der musikalischen Darbietung nicht zu spucken, zu sprechen, zu rauchen und keine Abfälle auf den Boden zu werfen. Überschattet wurde dieses erste China-Gastspiel durch einen tragischen Unfall bei der Ankunft des Orchesters: Beim Verlassen des Flugzeugs stürzten zwei Musiker wegen einer kaputten Gangway aus sechs Meter Höhe auf den Beton. Glücklicherweise kamen beide mit Knochenbrüchen davon. Fünf Jahre später schloss sich an die Japan-Tournee noch ein Abstecher nach Südkorea an. Anlässlich der Hundertjahrfeier der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Korea gaben die Philharmoniker zwei Konzerte im Cultural Center in Seoul. Die China- und Korea-Gastspiele blieben während der Ära Karajan singuläre Ereignisse. Nach Japan hingegen reiste das Orchester insgesamt zehn Mal, nur ein einziges Mal stand ein anderer Dirigent am Pult: Seiji Ozawa leitete das Orchester 1986 im Rahmen der Einweihungsfeierlichkeiten der Suntory Hall in Tokio, die nach dem Vorbild der Berliner Philharmonie entstanden war.

Neuer Klang, neues Repertoire

Doch das blieb eine Ausnahme. Auch für Karajans Nachfolger waren die Japan-Tourneen der Philharmoniker »Chefsache«. 1992 blickten japanische Fans wie Orchestermusiker mit Neugier und Bangen dem ersten Gastspiel unter der Leitung Claudio Abbados entgegen. Konnte er die Erwartungen erfüllen, zumal er sich mit dem Programm, einem Brahms-Zyklus, auf ein Terrain begab, auf dem sein Vorgänger Maßstäbe gesetzt hatte? Abbado gelang es, sämtliche Erwartungen zu übertreffen. Die japanische Presse konstatierte einen neuen Klang des Orchesters und man nahm auch die seine Verjüngung wahr. Auch wenn Abbado klanglich einen frischen Wind mitbrachte, so änderte sich programmatisch bei den Japan-Gastspielen eher wenig. Die Säulen blieben Beethoven, Brahms und das übrige spätromantische Repertoire. Eine Wandlung trat erst in der Amtszeit Simon Rattles ein, der bei seiner ersten Tournee 2004 zwei Komponisten auf das Programm setzte, die das Orchester bislang noch nie in Japan gespielt hat: Joseph Haydn und Magnus Lindberg. Gerade die Neue Musik bekam unter Rattle einen besonderen Stellenwert in den Tour-Programmen: Thomas Adès, Toshio Hosokawa, Pierre Boulez. »Auf jeder Tour versuchen wir, auch mindestens ein großes zeitgenössisches Stück zu spielen«, erzählte Simon Rattle 2013 in einem Interview.

Aufbruch in neue Zeiten

In seiner Amtszeit eroberten die Philharmoniker, die regelmäßig fast alle drei Jahre in den Fernen Osten reisten, mit ihrer Musik die Klassikliebhaber in ganz Asien. Legendär wurde die Tournee 2005, die nach Tokio, Taipeh, Hong Kong, Shanghai, Seoul sowie Peking führte und in dem Film Trip to Asia festgehalten wurde. Unvergessen bleibt auch die Reise 2011. Ganz Japan stand noch unter dem Schock der Erbeben- und Tsunami-Katastrophe in Fukushima und die Philharmoniker wollten mit ihren Konzerten und Auftritten in diesen schwierigen Zeiten ihr Mitgefühl und ihre Anteilnahme zeigen.

Dank moderner Übertragungstechnik können beim Public Viewing Tausende von Fans an den Konzerten teilhaben. Ihre Begeisterung trug maßgeblich dazu bei, solch ein avanciertes und zukunftsweisendes Projekt wie die Digital Concert Hall ins Leben zu rufen, um den Kontakt zu diesem fernen, hingebungsvollen Publikum zu stärken. Zuletzt waren die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent 2016 in Tokio und Taipeh, wo sie ihren Beethoven-Zyklus präsentierten. Die große Herbsttournee führt das Orchester in dieser Saison wieder nach China, Südkorea und Japan. Neben altbekannten Städten wie Hong Kong, Shanghai, Seoul, Tokio und Kawasaki gastiert es erstmals im Opernhaus von Guangzhou und in der Qintai Concert Hall in Wuhan. Das musikalische Reisegepäck bilden Werke von Igor Strawinsky, Unsuk Chin, Sergej Rachmaninow, Richard Strauss, Maurice Ravel, Béla Bartók und Johannes Brahms. Die Klaviersolisten sind die aus Peking stammende Yuja Wang und der in Seoul geboren Seong-Jin Cho, der erst kürzlich bei den Berliner Philharmonikern debütierte und der erste Koreaner ist, der mit dem Orchester auf Konzertreise geht.


1979: Ovationen nach dem Konzert in Peking
(Foto: Gustav Zimmermann/Archiv Berliner Philharmoniker)
Claudio Abbado und die Philharmoniker in Osaka
(Foto: Helge Grünewald/Archiv Berliner Philharmoniker)
2004: Simon Rattle zum ersten Mal mit den Philharmonikern in Tokio
(Foto: Archiv Berliner Philharmoniker)
2011: Das Philharmonische Bläserquintett besucht das von Tsunami und Erdbeben schwer beschädigte Sendai. 2013: Zwei Philharmoniker musizieren in einem Café in Tokio
(Foto: Monika Rittershaus)
2013: Signierstunde in Tokio
(Foto: Monika Rittershaus)
Seoul 2013: Üben im Hotelzimmer
(Foto: Monika Rittershaus)
Taipeh 2016: Public Viewing
(Foto: Monika Rittershaus)