
Direkt ins Herz des Hörers
Die Oboe – Eine Liebeserklärung

Sie erhebt bei einem Konzert stets als erste ihre Stimme: Die Oboe mit ihrem langgezogenen, leicht näselnden Ton gibt den Kammerton a' an und damit den anderen Instrumenten Gelegenheit zu einem letzten »Feintuning«, ehe der Dirigent ans Pult tritt und seinen Taktstock hebt. »Dies ist eigentlich völlig umsonst, weil keiner hinhört. Ein etwas überholter Brauch, aber er gehört zur Tradition«, meint Albrecht Mayer, Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker. Abgesehen davon erfüllt die Oboe, die 2017 von den Landesmusikräten in Schleswig-Holstein und Berlin zum Instrument des Jahres ausgerufen wurde, wichtige Aufgaben im symphonischen Zusammenspiel: »Sie bringt Licht ins Orchester und schafft eine intime, innige Stimmung, ohne forcieren zu müssen. Sie ist eine Botschafterin der Einfachheit«, erklärt Solo-Oboist Jonathan Kelly.

(Foto: Sebastian Hänel)

(Foto: Sebastian Hänel)
Von bäuerlicher Herkunft
Dieses Image verdankt die Oboe nicht zuletzt ihrer »schlichten« Herkunft. Als Abkömmling der Schalmey, dem Instrument der Hirten, steht sie für pastorale, lyrische, zärtliche Stimmungen: »Naive Anmut, unberührte Unschuld, stille Freude wie Schmerz eines zarten Wesens, alles dies vermag die Oboe im Kantabile aufs glücklichste wiederzugeben«, heißt es in Hector Berliozʼ Instrumentationslehre. Hinzu kommen noch schelmische, bukolische, ja manchmal auch burleske Seiten. Das tiefere Englischhorn steuert vor allem elegische, melancholische und traurige Momente bei. Kurz, die Oboe sei – darüber sind sich der philharmonische Oboist Andreas Wittmann und Englischhornist Dominik Wollenweber einig – ein Instrument, dessen Klang zu Herzen gehe, die Seele berühre und der menschlichen Stimme am nächsten komme. Und ihr Kollege Christoph Hartmann ergänzt: »Die Oboe prägt den Bläsersatz. Wir liegen in der Mitte des Spektrums und beeinflussen somit den klanglichen Charakter des kompletten Satzes.«
Kapriziös, launisch, nervös
Die philharmonischen Oboisten wissen um die Stärken ihres Instruments – und um seine Schwächen: Im Vergleich zu anderen Instrumenten verfügt die Oboe über einen relativ kleinen Tonumfang und eine begrenzte dynamische Bandbreite. Außerdem ist sie sehr temperatur- und witterungsempfindlich, was sich sofort in der Ansprechbarkeit des Mundstücks niederschlägt. Ein kapriziöses, launisches, nervöses Wesen also, das seinen Dienst schnell verweigert oder störrisch wird. Aber gerade das Mundstück mit dem empfindlichen Doppelrohrblatt, ermöglicht es dem Musiker, mit wenig Luft zu spielen und so genügend Atem für jene langen ausgedehnten Phrasen zu haben, die so typisch für das Instrument sind und die sich in die Seele des Hörers einschmeicheln.
Richard Strauss: Oboenkonzert in D-Dur / Albrecht Mayer, Oboe - Christian Thielemann, Dirigent - Berliner Philharmoniker / Aufgenommen in der Berliner Philharmonie, 4. März 2012
Vielseitig verwendbar
Die Oboe kam in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich als »hautbois« (hohes Holz) in Mode. Ihr direkter, lebhafter Klang machte sie vielseitig einsetzbar, sowohl bei Opernaufführungen als auch in der Kammer-, Kirchen- oder Freiluftmusik. Jean-Baptiste Lully, Komponist am Hof Ludwigs XIV., nutzte die hohen Blasinstrumente, um die Violinstimmen seines Streichensembles zu verstärken. In einer Zeit, in der man nur Ensembles aus einer Instrumentenfamilie gewohnt war, eine unerhörte Neuerung. Lully legte damit den Grundstein zur Entwicklung des modernen Orchesters mit seinen verschiedenen instrumentalen Klangfarben. Während des Barock gehörten die Oboe und ihre Sonderformen wie die Oboe d’amore oder die Oboe da caccia mit zu den beliebtesten Soloinstrumenten, für die die Komponisten zahlreiche Sonaten und Konzerte sowie ausdrucksvolle Solopartien in Vokalwerken schrieben. »Die Wurzeln unserer Oboenklangvorstellung liegen in der Musik von Johann Sebastian Bach. Ich liebe es, seine Kantaten und Oratorien zu spielen«, schwärmt Jonathan Kelly. Seit dem späten 18. Jahrhundert dagegen gewann die Oboe in der Holzbläsergruppe des Orchesters immer mehr an Bedeutung. Hatten die Blasinstrumente in der Barockzeit noch die Violinstimmen verdoppelt, so entwickelten die Oboen ab der Wiener Klassik ein eigenständiges Profil: Mit langausgehaltenen Klängen stützen sie die Harmonie, um dann immer wieder mit solistischen Melodien zu strahlen.
Wundervolle, weitausgesponnene Melodien
Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner, Mahler, Strauss, Ravel – sie alle haben die Oboe wirkungsvoll einzusetzen gewusst. Englischhornist Dominik Wollenweber liebt besonders sein Solo in der Arie der Marguerite zu Beginn des vierten Akts von Berlioz’ La Damnation de Faust. »Das ist nicht nur wunderschöne Musik, sondern auch dramaturgisch in dem langen Stück zentral platziert.« Albrecht Meyer treibt die Neugier zu Unbekanntem, zu Werken, die er bislang noch nicht gespielt hat: »Das kommt zwar nach 38 Jahren als Orchestermusiker nicht häufig vor, aber darauf freue ich mich am meisten.« Hand in Hand mit der musikalischen Entwicklung gingen bauliche Veränderungen, die das konisch gebohrte Doppelrohrblatt-Aerofon seit der Barockzeit hinsichtlich Intonationssicherheit, Ausgeglichenheit im Klang und Spielbarkeit verbesserten. Ende des 19. Jahrhunderts kam in Frankreich schließlich jenes Modell in Gebrauch, das noch heute im Orchester üblich ist. Auf die Frage, welche Fähigkeiten ein guter Oboist außer Musikalität, Intelligenz und Fleiß noch besitzen müsse, antworten die Oboisten der Philharmoniker einstimmig: Geduld, eine gewisse Leidensfähigkeit, um die Tücken des Instruments stoisch zu ertragen, und – ganz wichtig – handwerkliches Geschick für die Anfertigung der diffizilen Doppelrohrblätter.

(Foto: Sebastian Hänel)

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