Historisches Streiflicht: Giacomo Puccinis »Tosca«

Die legendären Aufführungen der Berliner Philharmoniker

Salzburger Osterfestspiele 1988: Der erste Akt der Oper Tosca spielt in der Kirche Sant’Andrea della Valle. Das Bühnenbild stammt von Günther Schneider-Siemssen.
(Foto: Siegfried Lauterwasser/Archiv Berliner Philharmoniker)

Giacomo Puccinis Oper Tosca, die als Neuproduktion im Zentrum der diesjährigen Osterfestspiele in Baden-Baden steht, nimmt in der Geschichte der Berliner Philharmoniker einen besonderen Platz ein. Anfang der 1980er-Jahre hatten das Orchester und sein damaliger Chefdirigent Herbert von Karajan das Werk auf Schallplatte eingespielt – mit einem Sängerensemble, das hochkarätig war: Katia Ricciarelli als Tosca, José Carreras als Cavaradossi und Ruggero Raimondi als Baron Scarpia. Nach der Einspielung folgte im Februar 1982 eine konzertante Aufführung der Philharmonie. Dieses Ereignis schien unter keinem guten Stern zu stehen. Die Presse lästerte im Vorfeld, Puccinis »Kulissenreißer«, der landauf, landab an sämtlichen Opernhäusern gegeben wurde, ohne Bühnenbild und Szenerie zu präsentieren sei schlichtweg eine »hochkarätige Überflüssigkeit«. Man empörte sich über die horrenden Eintrittspreise, die zwischen 40 und 165 D-Mark lagen. Erschwerend kam hinzu, dass der Chor der Deutschen Oper, der bei der Aufnahme mitgewirkt hatte, anderweitig gebunden war und dem an seiner Stelle vorgesehenen Nationalchor aus Bulgarien kurzfristig von der dortigen Regierung die Ausreise verweigert wurde.

Jubel in Berlin ...

Als Retter in der Not erwies sich der RIAS-Kammerchor, der nur vier Tage Zeit hatte, sich auf das Konzert vorzubereiten. Denkbar ungünstige Voraussetzungen. Doch diese Tosca-Aufführung geriet – wie die Kritiker einhellig bekundeten – zum Jahrhundertereignis, zur musikalischen Sternstunde. »So hautnah und herzbewegend, so dicht und bedrängend hört man den genialen Reißer in keinem Opernhaus«, heißt es in der B.Z. Und die Welt schreibt: »Eine in jedem Takt stimmige vor Musikalität vibrierende Aufführung von höchster Lebendigkeit [...] Sie war gleichzeitig von einer visuellen Gewalt, wie sie bislang keine Bühnenaufführung erreichte.« Man lobte Karajans »Altersstil«, sein Dirigat hätte an Wärme und Ernst gewonnen. Einziger Kritikpunk einer ansonsten hochgelobten Darbietung: Die hervorragenden Gesangstimmen seien stellenweise von dem Orchester übertönt worden.

... verhaltener Beifall in Salzburg

Nach dieser gefeierten konzertanten Aufführung waren die Erwartungen hoch, als Karajan und die Philharmoniker Tosca in einer Neuinszenierung bei den Salzburger Osterfestspielen 1988 herausbrachten. Der Dirigent, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feierte und in der Bühnenszenerie vom Orchester in einem Festakt geehrt wurde, hatte nicht nur die musikalische Leitung, sondern führte auch Regie. Die Tosca sang die damals erst 24-jährige Fiamma Izzo d’Amico, die männlichen Hauptpartien waren mit Luis Lima als Cavaradossi und Franz Grundheber als Scarpia besetzt. Das Festspielpublikum reagiert auf die Inszenierung begeistert, doch die Presse zeigte sich enttäuscht, vor allem von der Interpretin der Tosca. Nach dem Urteil der Kritiker war sie für die Rolle zu lyrisch in der Stimme und zu mädchenhaft in ihrem Auftreten. »Die Berliner Philharmoniker singen oft delikater aus dem Graben als die Stars auf der Bühne«, urteilt die Welt.

Wiederaufnahme mit Luciano Pavarotti

Im folgenden Jahr gehörte das Werk wieder zum Programm der Osterfestspiele – allerdings mit einem neuen Sängerensemble. Als Cavaradossi konnte Luciano Pavarotti gewonnen werden, der damals der führende Interpret dieser Partie war und in der Rolle um die Welt jettete. Gegen seinen starken, strahlenden und metallischen Tenor, der die Aufführungen beherrschte, hatten es die beiden anderen Hauptdarsteller schwer sich zu behaupten: Schenkt man den Presseberichten Glauben, besaßen weder die englische Sopranistin Josephine Barstow als Tosca, noch Alain Fondary als Scarpia die stimmlichen Voraussetzungen, neben Pavarotti gleichberechtigt zu bestehen. Lob erhielt das Spiel des Orchesters: »Es überrascht immer wieder durch die wundervolle Lyrik der Streicher, die eleganten, wie gestochenen, zarten Trompeten-Akkorde im zweiten Akt, die Wucht des musikdramatischen Dreinschlagens.« (Die Welt) Die Salzburger Tosca-Aufführungen waren das letzte große Opernereignis unter der Leitung von Herbert von Karajans. Die Zeichen standen damals bereits auf Abschied: Zwischen dem gesundheitlich geschwächten Dirigenten, dem Orchester und dem Berliner Senat gab es Konflikte. Vier Wochen nach den Osterfestspielen reichte Karajan seinen Rücktritt als künstlerischer Leiter und Chefdirigent der Philharmoniker ein. Drei Monate später starb er in Anif.

1982: Katia Ricciarelli war die gefeierte Tosca in der konzertanten Berliner Aufführung
(Foto: Archiv Berliner Philharmoniker)
Salzburger Osterfestspiele 1988: Franz Grundheber als Baron Scarpia
(Foto: Siegfried Lauterwasser/Archiv Berliner Philharmoniker)
Salzburger Osterfestspiele 1989: Luciano Pavarotti als Cavaradossi und Karajan bei der Probe.
(Foto: Siegfried Lauterwasser/Archiv Berliner Philharmoniker)
1988: Herbert von Karajan wird an seinem 80. Geburtstag vom Orchester geehrt.
(Foto: Siegfried Lauterwasser/Archiv Berliner Philharmoniker)