Anna Mehlin

Wenn ich nicht
Musikerin wäre …

Anna Mehlin
(Foto: Jordis Antonia Schlösser / OSTKREUZ)

In dieser Rubrik stellen wir Berliner Philharmoniker und ihre außermusikalischen Leidenschaften vor. Heute: Geigerin Anna Mehlin, der Perfektion und Hingabe nicht nur in der Musik wichtig sind.

»Tanzt … tanzt, sonst sind wir verloren«, hat die berühmte Choreografin Pina Bausch ihren Tänzerinnen und Tänzern immer wieder gesagt. So weit würde Anna Mehlin wohl nicht gehen, gleichwohl ist auch sie vom Ballett fasziniert. »Ich bin gewissermaßen in der Oper groß geworden«, sagt sie zu Beginn des Gesprächs, das zwischen zwei Proben mit Kirill Petrenko in der Philharmonie stattfindet.

»Meine Mutter ist Geigerin bei den Düsseldorfer Symphonikern. Sie hat mich oft hinter die Bühne mitgenommen, wo ich die Mitglieder der Balletttruppe beobachten konnte. Die Atmosphäre dort, das Aufwärmen und Dehnen vor dem Auftritt, die grazile Eleganz der Körper – das alles hat mich sehr angesprochen.«

Mit fünf Jahren fing Anna Mehlin selbst an zu tanzen, ein Jahr später erhielt sie von einer Kollegin ihrer Mutter den ersten Geigenunterricht. Als sie mit 14 Jahren als Jungstudentin an der Robert-Schumann-Hochschule ihrer Heimatstadt Düsseldorf angenommen wurde, blieb für das Ballett irgendwann immer weniger Zeit.

Anna Mehlin entschied sich für die Musik, studierte zunächst an der Hochschule für Musik »Franz Liszt« in Weimar, später bei Antje Weithaas an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« in Berlin. 2015 kam sie als Stipendiatin an die Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker, im folgenden Jahr gewann sie das Probespiel für eine Stelle in der Gruppe der Zweiten Violinen, der sie jetzt seit Januar 2017 angehört.

Seit gut drei Jahren tanzt Anna Mehlin nun auch wieder. »Mir ist ein körperlicher Ausgleich zur Tätigkeit im Orchester sehr wichtig«, sagt die 27-Jährige. Etwa zwei oder drei Mal in der Woche besucht sie eine Ballettschule, wobei ihre große Leidenschaft dem Spitzentanz gilt. Ihr Ziel ist es, wieder »auf die Spitze zu kommen«, was ihr vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie gelungen ist.

Die große Kunst bestehe darin, erläutert Anna Mehlin, dass man das Schwierige mühelos erscheinen lassen müsse. Das sei eine Parallele zur Tonkunst, so die Geigerin, denn einer Musikerin oder einem Musiker dürfe man auf der Bühne idealerweise ja auch nicht ansehen, dass ein bestimmtes Werk oder eine bestimmte Passage gerade teuflisch schwer sei.

In beiden künstlerischen Disziplinen – dem Ballett und der Musik – kommt man an hartem Training nicht vorbei. »Meine Ballettlehrerin ist unnachgiebig«, sagt Anna Mehlin, »sie fordert sehr viel und leitet mich dazu an, Grenzen zu überwinden. Das ist ungemein faszinierend. Man lernt sich und den eigenen Körper ganz neu kennen.«

Wäre das Ballett jemals eine berufliche Alternative zur Musik gewesen? Anna Mehlin schüttelt den Kopf. »Als Mitglied einer Balletttruppe gehört man mit Ende Dreißig in der Regel zum alten Eisen. Die Vorstellung, sich dann nicht mehr künstlerisch ausdrücken zu können, hat mich bei aller Faszination fürs Tanzen schon immer abgeschreckt.«

Anna Mehlin schaut auf die Uhr, in wenigen Minuten beginnt die Nachmittagsprobe. Franz Schuberts Symphonie in C-Dur steht auf dem Programm – »die Große«. Zum Schluss des Gesprächs sagt sie noch: »Ich bin in der schönen Situation, ein Hobby zu haben, mit dem ich meine Leidenschaft für die Musik noch einmal ganz anders ausleben kann. Was will man mehr?«

Oliver Hilmes

Aus der aktuellen Ausgabe von Phil – Das Magazin der Berliner Philharmoniker.

 


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