
(Foto: Stephan Rabold)
Die Berliner Philharmoniker trauern um ihr Ehrenmitglied Bernard Haitink, der am 21. Oktober 2021 im Alter von 92 Jahren verstorben ist. »Für uns als Berliner Philharmoniker war Bernard Haitink mehr als ein hochgeschätzter Dirigent – er war ein Freund und Wegbegleiter in vielen Jahrzehnten des gemeinsamen Musizierens«, erinnern Knut Weber und Stefan Dohr, Orchestervorstände der Berliner Philharmoniker. »Als er im März 1964 sein philharmonisches Debüt gab, war er gerade 35 Jahre alt und stand am Beginn einer Weltkarriere. In den folgenden Jahrzehnten war Bernard Haitink für uns eine Konstante. Immer hat er uns durch seine Qualitäten beeindruckt und inspiriert – sein großes handwerkliches Können, seine vollkommene Kenntnis der Partitur, sein warmherziges, nobles Auftreten. In seiner Musizierhaltung war immer das freie Fließen der Musik das Ideal. Wir sind sehr dankbar, dass wir im Mai 2019 noch ein letztes Mal mit ihm die Siebte Symphonie von Anton Bruckner aufführen durften. Wir verneigen uns in tiefer Trauer vor einem großen Dirigenten und engen Freund.«
Ein unauffälliger Anfang
Kaum ein anderer Gastdirigent war den Berliner Philharmonikern länger und beständiger verbunden als Bernard Haitink. Sein Debüt bei dem Orchester fand nur wenige Monate nach der Eröffnung der von Hans Scharoun erbauten Philharmonie statt, zu einer Zeit also, in der sich das Orchester in einer Phase des Aufbruchs befand. Der erste Auftritt des damaligen Chefs des Amsterdamer Concertgebouw Orchestra stand im Schatten eines anderen philharmonischen Ereignisses: Claudio Arrau spielte einen Zyklus mit allen fünf Klavierkonzerten Ludwig van Beethovens. Der Fokus der Konzertkritik lag auf dem Pianisten, der junge Dirigent wurde nur mit wenigen, wenngleich wohlwollenden Worten bedacht: Aufgeschlossen, aufmerksam und feinfühlig sei sein Dirigat gewesen, hieß es allgemein. Nur der Tagesspiegel prophezeite: »Es könnte sein, dass in ihm ein wirklicher Beethoven-Dirigent heranwächst, dessen der moderne Konzertsaal so dringend bedarf.«
Spezialist für Brahms, Bruckner und Mahler
Der Kritiker sollte Recht behalten: Im Laufe weniger Jahre entwickelte sich Bernard Haitink zu einem Spezialisten für die Werke des Wiener Klassikers. Aber nicht nur das. Brahms, Bruckner, Mahler wurden zu weiteren Fixpunkten seines Repertoires. Er, der in den 1960er-Jahren maßgeblich zur Renaissance von Gustav Mahler beitrug, dirigierte die Symphonien des Komponisten seit Ende der 1980er-Jahre regelmäßig bei den Philharmonikern. Er begleitete das Orchester auf mehreren Konzerttourneen, dirigierte Europakonzerte sowie Auftritte in der Berliner Waldbühne und wirkte auch immer wieder bei den Salzburger Osterfestspielen mit, erstmals 1991, als er die Festspielinszenierung von Mozarts Le nozze di Figaro dirigierte.

Gegenseitige Wertschätzung
»Man sagt ja über Venedig, alle Städte seien mehr oder weniger gleich, aber Venedig sei eben ein bisschen anders«, meinte Bernard Haitink einmal in einem Interview der Digital Concert Hall. »Und das könnte man auch von den Berliner Philharmonikern sagen.« Die gegenseitige Sympathie zwischen Orchester und Dirigent war offenkundig. 1994 wurde Bernard Haitink die Hans-von-Bülow-Medaille der Berliner Philharmoniker verliehen, im Oktober 2004 wurde er zum Ehrenmitglied des Orchesters ernannt. Zu diesem Zeitpunkt intensivierte sich die Zusammenarbeit, indem der Niederländer oftmals zwei Mal pro Saison zu den Berliner Philharmonikern kam. Über 200 Mal stand er am Pult des Orchesters. Dass sein letzter Auftritt im Mai 2019 mit der Siebten Symphonie von Anton Bruckner am Pult der Berliner Philharmoniker als Direct-to-Disc-Aufnahme aufgezeichnet wurde, erweist sich rückblickend als Glücksfall. Ist sie doch ein unschätzbares Dokument, in dem ein unwiederholbarer Augenblick authentisch festgehalten wurde – als Erinnerung an eine einzigartige Freundschaft.