Wie äußert sich dieser Humor in seiner Musik? In dem Anfang der 1950er-Jahre entstandenen Klavierzyklus Musica Ricercata entwickelt er beispielsweise ein ganzes Musikstück aus nur einem einzigen Ton. Und mehr noch, aus dem einen Ton, der auf dem Klavier tremoliert, in verschiedenen Rhythmen und Lagen angeschlagen wird, lässt Ligeti ein ganzes Drama entstehen: Großes Tremolo, der Vorhang geht auf, vorsichtig schleichend, wie eine Katze, die eine Maus erspäht, kommt dieser eine Ton anfangs daher, um im weiteren Verlauf präsenter zu werden, immer energischer Platz zu beanspruchen, um schließlich in eine entfesselte Tollheit zu münden.
Humor als Waffe
Komik und Absurditäten in Ligetis Musik

unter Leitung von Sir Simon Rattle
(Foto: Monika Rittershaus)
Ligeti besaß einen untrüglichen Sinn für die Komik, die Absurdität und Groteske des Lebens. Das spiegelt sich in vielen seiner Werke wider – von den frühen Musica ricercata bis zu seiner Oper Le Grand Macabre, einem aberwitzigen Weltuntergangsszenario. »Es ist die Angst vor dem Tod, die Apotheose der Angst und das überwinden der Angst durch Komik, durch Humor, durch Groteske«, meinte Ligeti einmal. In seiner Jugend hatte er Schreckliches durchgemacht: Als Sohn einer jüdischen Familie erlebte er die Verfolgungen der Nationalsozialisten, durch die sein Vater und sein Bruder umkamen, sowie später im kommunistischen Ungarn die Brutalität des Stalinregimes. Diese Erfahrungen haben ihn zutiefst geprägt – sein Sinn für Humor wurde zur Lebensstrategie, zur Waffe.
Ausschnitt aus »Le Grand Macabre« von 2017, dirigiert von Sir Simon Rattle
Dramatische Miniatur mit nur einem Ton
»Theaterspiel mit einem Ton«, nannte Ligeti den ersten Satz seiner Musica ricercata, mit der er sich kompositorisch von seinen musikalischen Vorbildern, allen voran Béla Bartók, emanzipierte. Er wollte sozusagen eine neue Musik von Null auf erschaffen, Rhythmus und Intervalle werden neu definiert, bekommen einen anderen Stellenwert als zuvor. In der Musica ricercata, einem elfsätziges Werk, in dem in jedem Satz der Tonvorrat um einen Ton erweitert wird, verbinden sich Ligetis ungeheurer Gestaltungswillen und Imaginationskraft mit seinem Witz und Humor. In den Sechs Bagatellen, in denen der Komponist sechs Sätze seiner Musica ricercata für Bläserquintett einrichtete, setzte er noch eines drauf: Durch die geistreiche Instrumentierung kommt noch eine weitere humoristische Ebene ins Spiel, weil er die Musizierenden zu Protagonisten kleiner Geschichten macht, beispielsweise einem musikalischen Streitgespräch: Wer hat die Vorherrschaft – Dur oder Moll?
Die humorvolle Seite von Ligetis Chrakter ermöglichte ihm, Situationen unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten, ihnen verblüffende, überraschende Sichtweisen abzugewinnen, Unerträglichem die Schärfe zu nehmen oder banal Wirkendes zuzuspitzen. Und das kam ihm dann auch bei seinem musikalischen Schaffen zugute – weil ihm andere Zugänge zur Musik einfielen als gewohnt: beispielsweise wie in seinen Aventures und Nouvelles Aventures Musik aus menschlichen Lauten zu kreieren, 100 unterschiedlich schnellt tickende Metronome zu einem Poème symphonique zu vereinen oder die irrwitzig schnelle Spielweise von Canlow Nancarrows elektro-mechanischen Selbstspielklavieren auf das normale Klavier zu übertragen.
Ligeti selbst beschrieb seinen Stil als »mikropolyphon«, der durch kontinuierliche Formen und exaltierte, übertriebene Bewegungen gekennzeichnet ist. Wer bereit ist, sich auf die Musik Ligetis einzulassen, sich ihr zu öffnen, genau hinzuhören, der wird immer wieder erkennen, wie vielschichtig seine Musik ist – und der Humor ist eine dieser vielen Schichten.
Nicole Restle