Fidl-Fantazye

Ein Klezmer-Abend mit Noah Bendix-Balgley

Noah Bendix-Balgley lädt zu einer Klezmer-Late-Night ein.

Noah Bendix-Balgley, Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, ist mit Klezmer-Musik aufgewachsen. Mit seiner Fidl-Fantazye schrieb er ein Klezmer-Konzert für Violine und Kammerorchester, in dem sich der ganze Zauber dieses Musikstils entfaltet. Es erklingt im Rahmen einer Late Night in der Philharmonie im April. Hier stellt der Komponist uns sein Werk vor.

Ich bin mit Klezmer-Musik groß geworden und sie hat meinen musikalischen Werdegang maßgeblich beeinflusst. Mein Vater Erik Bendix ist Tanzlehrer, er hat sich auf osteuropäische Volkstänze spezialisiert. Er ist Experte für jiddische Tanzmusik, und so hörte ich als Kind oft Aufnahmen von Klezmer-Musik oder erlebte Live-Bands bei den vielen Workshops und Festivals, bei denen mein Vater unterrichtete. Schon bald nachdem ich mit dem Geigenunterricht angefangen hatte, spielte ich die ersten Klezmer-Melodien nach.

Später hatte ich dann das Glück, von großen Klezmer-Musikern wie Michael Alpert und Alan Bern von Brave Old World und Alicia Svigals von The Klezmatics lernen zu dürfen. Bis heute ist Klezmer-Musik für mich ein wunderbarer Ausgleich zu meiner Tätigkeit als klassischer Musiker, denn in der Klezmer-Musik darf man improvisieren und spontan eine Melodie ausschmücken. Diese Freiheit hilft mir, auch in den festeren Strukturen des klassischen Repertoires flexibel und fantasievoll zu bleiben. Klezmer-Musik ist sehr ausdrucksstark und ihre emotionale Bandbreite reicht von tieftraurigen Improvisationen bis zum mitreißenden Schwung schneller Tanzlieder.

Die Idee eines Klezmer-Violinkonzerts hatte ich schon länger im Kopf, weil ich ein virtuoses Stück mit Orchester im Klezmer-Stil suchte. Ursprünglich wollte ich es bei einem anderen Komponisten in Auftrag geben, aber mein Vater, Manfred Honeck und Michael Alpert ermutigten mich, es selbst zu schreiben. Für diese Anregung bin ich ihnen sehr dankbar.

Am Ende wurde es eine virtuose Fantasie für Violine und Orchester. Mein Dank gilt dem wunderbaren Komponisten Samuel Adler, der sich bereit erklärt hat, das Stück für mich zu orchestrieren und die von mir komponierten Violin- und Klavierstimmen zu einer vollständigen Partitur auszuarbeiten.

Als ich die Komposition in Angriff nahm, stellte ich mir zunächst die Frage, ob ich traditionelle Klezmer-Melodien verwenden oder meine eigenen komponieren wollte. Ich entschied mich für Letzteres, wollte jedoch im Stil der traditionellen Klezmer-Musik schreiben, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe.

Der junge Noah Bendix Balgley und die Klezmer-Geigerin Alicia Svigals
(Foto: privat)

Das Stück besteht aus drei Sätzen, die ohne Pause aufeinander folgen. Jeder Satz ist ein Medley aus verschiedenen Tänzen. Nach einer kurzen Orchestereinleitung setzt die Solovioline mit einer schlichten, unbegleiteten Khosidl-Melodie ein, ein langsamer Reihenschreittanz im alten chassidischen Stil. Danach präsentiert die Violine im Duett mit verschiedenen anderen Instrumenten die Melodie mit virtuosen Ausschmückungen. Es folgt der erste von drei Doină-Abschnitten in diesem Stück – eine Improvisation im rumänischen Stil über liegenden Akkorden –, die jeweils als Überleitung fungieren.

Die Melodie des nächsten Abschnitts verwendet meine Übersetzung des Namens Samuel in Töne bzw. Tonsilben der Solmisation: Es, A, E (Mi), C (Ut), E, A (La). Mein zweiter Vorname ist Samuel, nach meinem Urgroßvater Samuel Leventhal, der ebenfalls Geiger war. Wie ich ging auch er nach Deutschland, um Geige zu studieren, und nach seinem Studium spielte er im Pittsburgh Symphony Orchestra. Später war er Konzertmeister des Hartford Symphony Orchestra.

Dank dieser Verbindung und des glücklichen Umstands, dass Samuel Adler das Werk orchestriert hat, erschien mir eine musikalische Version ihres Vornamens eine schöne Hommage an die beiden Männer zu sein. Sie taucht im gesamten Werk in verschiedenen Formen auf. Sam’s Syrtos am Ende des ersten Satzes ist ein Tanz im ausgefallenen 7/8-Takt, er bezieht sich auf die Syrtos-Musik der griechischen Inseln, die unter dem Namen Terkisher (»im türkischen Stil«) Eingang in die Klezmer-Musik gefunden hat, da Griechenland vor langer Zeit unter osmanischer Herrschaft stand.

Der zweite Satz beginnt mit einer weiteren Doină, unter anderem im Duett mit der Solobratsche. Daraus entwickelt sich ein langsames Nigun oder Lid, ein Lied ohne Worte, das sich allmählich in eine Hora verwandelt, einen langsamen Tanz im Dreiertakt. Hier zitiere ich einige Bruchstücke aus Mahlers Fünfter Symphonie. Gustav Mahler hat in vielen seiner Werke Klezmer-Melodien und -Elemente verwendet, das bekannteste Beispiel ist wohl der dritte Satz seiner Ersten Symphonie. Hinter meinen Mahler-Zitaten stand die Frage: Was wäre, wenn die klassischen Melodien in seiner Fünften Symphonie von Klezmer-Musik inspiriert worden wären? Wie hätten diese Melodien wohl geklungen? Also habe ich im zweiten Satz der Fantazye etwas Mahler in eine Hora eingearbeitet und noch mehr Mahler in meine Version eines Freylekhs verwoben.

Der dritte Satz ist ein ausgedehntes Medley schneller Melodien, bei dem sich das volle Orchester und kleinere Ensembles abwechseln. Während des gesamten Satzes sollten die Melodien zwischen der Solovioline und einzelnen Orchestermitgliedern hin und her wandern. Am Ende spielt wieder das volle Orchester und führt das Werk zu einem rasanten Schluss.

Noah Bendix-Balgley

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