
(Foto: Harald Hoffmann)
Was für eine Erfolgsgeschichte! Seit 20 Jahren schon ist Klaus Florian Vogt allererste Wahl in Richard Wagners Oper Lohengrin. Keiner singt den rätselhaften Ritter so wie er: hell, klar und mühelos, dabei durchaus heldisch, aber eben nicht kraftprotzig-auftrumpfend. Vogts Lohengrin ist wie von einem anderen Stern, eine mysteriöse, androgyne Erscheinung. Ende Juni gibt Klaus Florian Vogt nun in eben dieser Rolle in der Waldbühne sein lange erwartetes Debüt bei den Berliner Philharmonikern.
Wenn es um die großen Tenorrollen in Richard Wagners Musikdramen geht, wird der hochgewachsene Norddeutsche mit dem prächtigen Haupthaar überall gebraucht: Tannhäuser und Parsifal, Siegmund aus der Walküre und Walther von Stolzing aus den Meistersingern von Nürnberg hat Klaus Florian Vogt in allen bedeutenden Kulturmetropolen verkörpert, von der New Yorker Met bis zur Mailänder Scala, von Tokio bis Berlin. Und natürlich immer wieder auf dem Grünen Hügel, bei den Bayreuther Festspielen. Erst vor wenigen Monaten kam für Klaus Florian Vogt die Titelrolle im Siegfried neu hinzu, im März an der Oper Zürich, und auch das noch ausstehende Debüt in der Götterdämmerung ist schon fest vereinbart.
Dabei wurde ihm die Gesangskarriere nicht in die Wiege gelegt – dafür aber ein Horn unter den Weihnachtsbaum. Vogts Vater, ein klassikbegeisterter Mediziner, schenkte ihm das Blasinstrument, weil er unbedingt ein hausmusikalisches Bläserquintett gründen wollte. Papas Plan ging auf, der Sohn zeigte großes Talent, bald konnten sie zu fünft in Kirchen aufspielen, rund ums heimatliche Heide in Holstein. Und schon mit 16 Jahren meldete sich Klaus Florian Vogt zur Aufnahmeprüfung an der Hamburger Musikhochschule. Er bestand sie – ebenso wie nur drei Jahre später auch das Vorspiel für eine Festanstellung im Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, das zum Opernhaus der Hansestadt gehört.
»Da wurde ein Traum wahr«, sagt der Tenor im Interview. »Denn ich liebe Hamburg sehr, es ist für mich eine der schönsten Städte der Welt.« Doch der Druck auf den blutjungen Neueinsteiger war hoch, gerade im Probejahr. »Das war wie ins kalte Wasser zu springen«, berichtet er. »Welche Fähigkeiten man im Orchester braucht, gerade auch in der Oper, das kann man an der Hochschule nicht lernen. Das lernt man erst, wenn man da im Graben sitzt.«
Oft musste er Werke vom Blatt spielen, weil fast jeden Abend eine andere Oper auf dem Programm stand. Aber die Herausforderung machte ihm Spaß, bald spürte Vogt, dass es ihn nach mehr verlangte, als nur in der Horngruppe zu spielen. Er wollte Verantwortung übernehmen, als Interpret glänzen – und bewarb sich darum auf Solo-Positionen bei verschiedenen Orchestern. Zwar kam er jeweils in die Endrunde, wurde letztlich aber nicht engagiert. »Das hat mich sehr frustriert«, gibt er offen zu.
Es machte ihm aber auch den Wechsel leichter, raus aus dem Orchester, rauf auf die Bühne. Ausgerechnet seine spätere Schwiegermutter entdeckt Klaus Florian Vogts zweite Begabung als Tenor, bei einer Geburtstagsfeier. Eine neue Karriereoption tut sich auf. Er wagt es, absolviert parallel zu seinem Orchesterjob ein Gesangsstudium in Lübeck und nimmt ein Jahr unbezahlten Urlaub bei den Hamburger Philharmonikern, um sich im Ensemble des Stadttheaters Flensburg ausprobieren zu können. Er will herausfinden, ob er sich im Rampenlicht wohlfühlt.
Es läuft glatt, ein Engagement an der Dresdner Semperoper von 1998 bis 2003 schließt sich an. Und aus dem wenig beachteten Instrumentalisten wird ein umschwärmter Tenor. Ganz ähnlich übrigens wie einst bei seinem Stimmfachkollegen Fritz Wunderlich, der ebenfalls als Hornist begonnen hatte.
Das Wanderleben der Klassikstars allerdings, die ununterbrochen durch die Welt jetten und in noblen Hotels logieren, liegt ihm wenig. Wann immer es möglich ist, reist Klaus Florian Vogt zu den Engagements im privaten Wohnmobil an.
»Jenseits der Bühne möchte ich gerne ein relativ normales Leben führen«, sagt er. »Es ist mir wichtig, den Tagesablauf gestalten zu können, ein gewohntes Umfeld vorzufinden – und ich kann im Wohnmobil sogar ein Stückchen Zuhause mitnehmen.«
Am liebsten aber ist er dort, wo seine Wurzeln sind, in Dithmarschen. »Wenn ich weg bin, fehlt mir immer dieser Fernblick, das Licht, der Wind, das Wasser – und diese Luft, die man nur dort atmen kann«, schwärmt er. Klaus Florian Vogt ist nämlich so norddeutsch, wie man es nur sein kann. Das zeigt sich auch im Interview: Er hört aufmerksam zu, antwortet freundlich und zugewandt, macht dabei aber kein Wort zu viel. Abschweifen, Anekdoten erzählen, heikle Themen weglächeln, das ist nicht seine Art. Bei ihm gibt es kein Drumherum-Reden, er ist immer auf den Punkt, knapp und klar.
Das macht den Tenor zum angenehmen Gesprächspartner. Lakonisch wirkt er oft beim Sprechen, da schwingt fast schon britisches Understatement mit. Hinzu kommt ein wunderbar trockener Humor – und dieses kurze, knackige Lachen.
Auf die Frage, was die Einladung zum Debüt bei den Berliner Philharmonikern in ihm ausgelöst habe – freudigen Stolz oder das Gefühl, dass es nach über 20 Jahren an der Spitze im internationalen Klassikbusiness nun auch mal Zeit sei – antwortet er, nach einer Bedenksekunde, entwaffnend ehrlich: »Beides.« Und lacht dann wieder sein fröhliches Lachen, das hörbar aus reinem Herzen kommt.
Es habe allerdings schon früher mal eine Anfrage des Orchesters gegeben, fügt er hinzu, die sich aus Termingründen dann nicht realisieren ließ. Umso besser gefällt es dem Frischluftfanatiker Klaus Florian Vogt, dass die erste Zusammenarbeit jetzt in der Waldbühne stattfindet. Und dann auch noch unter der Leitung von Andris Nelsons, einem befreundeten Dirigenten, der ebenfalls eine Instrumentalistenvergangenheit hat – als Trompeter an der Lettischen Nationaloper nämlich.
Einmal ist der Tenor schon in Berlin unter freiem Himmel aufgetreten, 2007 war das, bei »Classic Open Air« auf dem Gendarmenmarkt. »Wagnernacht im Feuerzauber« hieß das Spektakel damals, und auch jetzt in der Waldbühne geht es natürlich um den Bayreuther Meister. Zwei Schlüsselszenen aus dem Lohengrin wird Vogt interpretieren, die Gralserzählung sowie den Dank an seinen »lieben Schwan«. Außerdem singt er »Durch die Wälder, durch die Auen«, die große Arie des Max aus Carl Maria von Webers Freischütz. Was besonders gut passt, weil die romantischste aller deutschen Opern ja in Berlin uraufgeführt wurde, 1821 im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt.
Auf Vorschlag von Andris Nelsons stehen drei Lieder von Richard Strauss auf dem Programm, Ständchen, Freundliche Vision und Cäcilie, die beim Waldbühnen-Konzert von der Till Eulenspiegel-Tondichtung und der Rosenkavalier-Suite des Komponisten eingerahmt werden. »Ich liebe diese Lieder sehr«, sagt Vogt. »Zuerst hatte ich Zweifel, ob sie für eine Freiluftaufführung geeignet sind, aber Andris hat mich überzeugt.«
Die intimen Stücke werden im zweiten Teil des Abends erklingen, wenn die Dämmerung langsam über die Waldbühne herabsinkt. »Bei gutem Wetter kann eine Atmosphäre entstehen, bei der sich das Publikum konzentrieren und auf die Lieder einlassen kann«, hofft Vogt. »Gerade draußen kommt die schönste Stimmung auf, wenn Stille herrscht im weiten Rund. Ich bin sehr gespannt.«
Hätte er beim Philharmoniker-Saisonabschluss nicht lieber etwas Populäreres gesungen, also eher Johann Strauß statt Richard Strauss? Denn der Tenor hat ja bekanntermaßen auch ein Faible für die leichte Muse.
»Freigespielt habe ich mich mit der Operette«, sagt er. »Daran kann man als Darsteller unheimlich viel lernen, und ich hatte das große Glück, das in meiner Anfangszeit machen zu können. Es hilft einem viel für ein gewisses Selbstverständnis und Freisein auf der Bühne.«
Um Operetten-Hits ging es nicht, als die Philharmoniker, Andris Nelsons und der Tenor die Werke für die Waldbühne besprachen. »Wir sind gleich auf diese Auswahl gegangen, die es jetzt geworden ist«, berichtet er. »Das finde ich auch schön.«
Eine Chance allerdings, bei einem Wunschkonzerthit mitzumachen, hat Klaus Florian Vogt am 24. Juni dann doch. Denn ganz am Schluss kommt ja unausweichlich die Berliner Luft. Ohne Paul Linckes lokalpatriotischen Marsch darf kein Waldbühnen-Abend enden.
Da könnte der Tenor dann spontan einstimmen, der Orchesterfassung ein vokales Glanzlicht aufsetzen – oder er schnappt sich ein Horn und gesellt sich fürs Finale zu den philharmonischen Bläsern. »Mal schauen«, sagt Klaus Florian Vogt lachend. »Lassen wir uns überraschen.«
Frederick Hansen