Evgeny Kissin und die Berliner Philharmoniker

Eine langjährige Freundschaft

Debüt 1988: Evgeny Kissin und Herbert von Karajan während einer Probenpause
(Foto: Gustav Zimmermann)

Evgeny Kissin gilt als pianistische Ausnahmeerscheinung – dank seines kraftvollen, ausdrucksstarken und gleichzetig beseelten Spiels. Von Beginn seiner Karriere an waren ihm die Berliner Philharmoniker ein wichtiger künstlerischer Partner. »Wenn ich mit den Berliner Philharmonikern spiele«, so der Kissin in einem Interview für die Digital Concert Hall, »fühle ich mich noch mehr inspiriert.« Ein Rückblick auf die gemeinsame Zusammenarbeit.

Für Herbert von Karajan waren es die beiden letzten Konzerte, die er mit den Philharmonikern in Berlin realisierte, für Evgeny Kissin hingegen seine ersten: In den Silvesterkonzerten 1988 gab der Pianist unter der Leitung des 80-jährigen Dirigenten mit Tschaikowskys Erstem Klavierkonzert sein Debüt beim Orchester. Der gebürtige Russe war damals gerade 17 Jahre alt und galt als vielversprechendes Wunderkind. Nach seinem Auftritt überschlug sich die Presse vor Lob: Die Kritiker waren beeindruckt von seinem hohen technischen Können, seiner Musikalität und der Ernsthaftigkeit seines Vortrags. Und man war sich einig: Hier spielt bereits ein reifer Künstler. Das gleiche Programm wiederholten die Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan und Evgeny Kissin nur wenige Monate später bei den Salzburger Osterfestspielen.

Glanzvolle Silvesterkonzerte

1991 kam Evgeny Kissin zum zweiten Mal zu den Berliner Philharmonikern, wieder wirkte er bei dem Silvesterprogramm des Orchesters mit. Doch Karajan war mittlerweile gestorben und ein neuer Chef stand am Pult: Claudio Abbado, der ihn für Beethovens Fantasie für Klavier, Chor und Orchester engagiert hatte. »Zum interpretatorischen Erlebnis wurde hier insbesondere der mächtig ausgreifende Klavierpart mit dem 20-jährigen Evgeny Kissin, der nicht nur als Pianist symphonischer oder virtuoser Klangcharaktere faszinierte, sondern auch als sensibler Begleiter instrumentaler und zuletzt vokaler Gruppen«, hieß es hinterher in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Während der 1990er-Jahre konnte das Berliner Publikum Kissin mehrfach mit monumentalen Konzerten des Repertoires erleben: Sergej Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3, Johannes Brahms’ Klavierkonzert Nr. 1 und Sergej Prokofjews Klavierkonzert Nr. 3. Mit der Aufführung von letzterem erinnerte er an den 50. Todestag von Karlrobert Kreiten, der – ein Wunderkind wie Kissin – dieses Konzert oft gespielt hat und der wegen seiner kritischen Äußerungen gegenüber dem nationalsozialistischen Regime 1943 hingerichtet wurde.

Silvesterkonzert 2011: Evgeny Kissin spielt Edvard Griegs Klavierkonzert (Ausschnitt)

Nach der Millenniumswende dauerte es mehr als zehn Jahre, ehe der Pianist zu den Berliner Philharmonikern zurückkehrte: Sir Simon Rattle und das Orchester luden ihn 2011 ein, bei den Silvesterkonzerten den Solopart von Edvard Griegs Klavierkonzert zu interpretieren. Kissin beeindruckte durch seine nachdenkliche, unprätentiöse Deutung des Werks: »Mit seiner wunderbaren Anschlagskultur kann er singen, es glitzern lassen …«, hieß es in der Kritik des rbb Kulturradio.

Ein weiterer Höhepunkt der gemeinsamen Zusammenarbeit war 2019 die Aufführung von Liszts Erstem Klavierkonzert, einem Werk, dem sich der Pianist erst spät zugewandt hat. Er spielte es unter der Leitung von Mariss Jansons – nur wenige Monate vor dem Tod des Dirigenten.