»Die Musik von Strawinsky
und Bach groovt.«
Der Dirigent François-Xavier Roth im Gespräch

(Foto: Marco Borggreve)
Strawinsky und Bach scheinen auf den ersten Blick zwei ganz unterschiedliche Klangwelten zu sein. Dirigent François-Xavier Roth hat beide Komponisten auf das Programm seiner philharmonischen Konzerte gesetzt: Neben Igor Strawinskys Ballett Petruschka und dem Divertimento aus dem Ballett Der Kuss der Fee erklingt Johann Sebastian Bachs Konzert für Oboe d’amore mit Albrecht Mayer, Solooboist der Berliner Philharmoniker als Solist. Warum die beiden Komponisten zu gut zusammenpassen und worin der Reiz dieses Programms liegt, verrät François-Xavier Roth in diesem Interview.
Sie dirigieren bei den Philharmonikern ein Konzert, in dem wir zwei ganz verschiedene Stücke von Igor Strawinsky hören. Welche Aspekte von Strawinsky lernen wir dabei kennen?
Die Entstehungszeit der beiden Stücke liegt weit auseinander – das Ballett Petruschka kam 1911 heraus, Der Kuss der Fee 1928 – doch es gibt Gemeinsamkeiten: Bei beiden handelt es sich um ein Märchensujet. In der Musik geht es um die Vielfalt von Klangfarbe und Rhythmus. Sowohl Petruschka, als auch Der Kuss der Fee sind sehr brillante Werke, in denen die Orchestermusiker mit ihren Soli gut herauskommen. Die Kombination ist zudem interessant, weil Petruschka ein sehr berühmtes Stück ist, Der Kuss der Fee dagegen fast unbekannt. Das zeigt den problematischen Aspekt von Strawinskys Karriere: Mit seinen ersten drei Balletten – Feuervogel, Petruschka und Le Sacre du printemps – hatte er so einen so unglaublichen Erfolg, dass er danach sein ganzes Leben darum kämpfte zu beweisen, nicht nur der Komponist dieser drei Ballette zu sein.
Die Ballette wurden für Aufführungen in Paris geschrieben. Können Sie auch französische Einflüsse in Strawinskys Musik erkennen?
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts begann in Paris der Aufstieg der Ballets russes, eines russischen Ballettensembles unter der Leitung des legendären Impresarios Sergej Djaghilew. Strawinsky ist ein Kind dieser Ballets russes. Djaghilew hatte Strawinsky ganz kurzfristig beauftragt, ein Stück, den Feuervogel, für seine Balletttruppe zu schreiben. Nach der Uraufführung 1910 in Paris wurde Strawinsky dort sofort ein Superstar. Er ist zwar in Russland geboren und wurzelt in der russischen Kultur, doch durch seine Erfahrungen in Paris hat er viel von den französischen Klangvorstellungen und der Art der Orchesterbehandlung adaptiert. Für mich ist Strawinsky jedoch vor allem ein europäischer Komponist – mehr als ein russischer oder französischer.
Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie Strawinsky dirigieren?
Ich habe eine sehr präzise Vorstellung von seiner Musik. Mein Ziel ist, sie so modern klingen zu lassen, wie sie damals war. In Petruschka möchte ich den revolutionären Aspekt der Musik zeigen; Der Kuss der Fee hingegen ist sehr romantisch, fast wie im Stil von Tschaikowsky. Diese beiden verschiedenen Facetten faszinieren mich und die will ich herausarbeiten.
Wie passt die dritte Facette des Programms, das Konzert für Oboe d’amore von Bach, da noch dazu?
Strawinsky und Bach passen gut zusammen – weil es in ihrer Musik einige Gemeinsamkeiten gibt. Da wären der Kontrapunkt, den beide Komponisten liebten, die Spiritualität ihrer Musik und – nicht zu vergessen – der Rhythmus. Beide legten einen großen Fokus auf den Rhythmus, ihre Musik groovt.
Wie gestaltete sich Ihre Zusammenarbeit mit Albrecht Mayer?
Ich kenne Albrecht Mayer schon lange. Ich bewundere seine Musikalität, seinen Ton, seine Leidenschaft für Bach. Aber wir haben bislang noch nicht zusammengearbeitet. Das ist das erste Mal – und es ist eine große Freude. Er liebt Bach und ist eins mit seiner Musik. Und ich freue mich auf den gemeinsamen Auftritt. Das wird sehr spannend, weil wir das Konzert von Bach mit einem sehr kleinen Orchester spielen.
Also ein bisschen Kammermusik zwischen zwei groß besetzten Strawinsky-Werken. Könnten Sie mir noch sagen, warum man das Konzert auf keinen Fall verpassen sollte?
Weil man neben einem sehr berühmten Werk von Strawinsky, auch ein ganz unbekanntes Stück von ihm entdecken kann. Außerdem hört man nicht jede Woche das Oboe-d’amour-Konzert von Bach – noch dazu von einem so herausragenden Interpreten wie Albrecht Mayer.