Überzeitlich
György Kurtág und die Berliner Philharmoniker

(Foto: Reinhard Friedrich / Archiv Berliner Philharmoniker)
Kirill Petrenko ist bereits der dritte Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, der György Kurtágs Stele aufs Programm setzt. Diese Kontinuität ist kein Zufall, sondern spiegelt die langjährige Verbindung zwischen Orchester und Komponist wider.
Erst in seinem sechsten Lebensjahrzehnt wurde György Kurtág international bekannt, doch es wäre nicht richtig, von einer »Spätkarriere« des ungarischen Komponisten zu sprechen. Kurtág schreibt seit seiner Jugend Musik, als junger Mann auch politisch grundiert, und dass man ihn außerhalb seiner Heimat erst mit so großer Verzögerung wahrgenommen hat, liegt vor allem an der Abschottung durch den Eisernen Vorhang.
Immerhin konnte Kurtág 1957 in Paris Kurse bei Darius Milhaud und Olivier Messiaen besuchen und lernte auf der Rückreise in Köln die Musik Karlheinz Stockhausens kennen. Noch wichtiger womöglich: Eine Psychologin in Paris empfahl ihm, eine Schaffenskrise mit einem Neubeginn im Allerkleinsten zu überwinden. So schrieb er oft nur aus wenigen Takten bestehende Miniaturen, in denen er Einflüsse ihm nahestehender Vorgänger und Kollegen (Bach, Bartók, Beethoven, Varèse) integrierte, wobei er allmählich die Dimensionen wieder vergrößerte.
Composer in Residence
Bei den Berliner Philharmonikern erklang Kurtágs Musik zunächst 1990 in einer Kammermusikreihe, als das Brandis Quartett seine 12 Mikroludien spielte. In der Saison 1993/94 dann war Kurtág Composer in Residence bei den Berliner Philharmonikern: Eine glückliche, bis heute nachwirkende Verbindung zwischen Orchester und Komponist entstand. Neben Klavierwerken und instrumentaler wie vokaler Kammermusik wurde in dieser Zeit unter Leitung von Claudio Abbado auch Orchestermusik dargeboten: Grabstein für Stephan und als Höhepunkt die Uraufführung von Stele am 14. Dezember 1994. Seitdem ist Kurtágs Musik ständig im Orchester präsent geblieben.
Abbados Nachfolger Sir Simon Rattle schätzt seine Musik ebenfalls sehr; er dirigierte Grabstein für Stephan 2010 und 2014 (auch auf Tournee in Budapest), und Stele wurde mehrfach sowohl von ihm (in einem Programm, das 2006 in Berlin und 2007 in New York und Boston gespielt wurde) wie auch von Bernard Haitink interpretiert. Nun steht das Werk unter Leitung von Kirill Petrenko zum vierten Mal auf einem Programm der Berliner Philharmoniker.