»Zum Musiker bin ich nun einmal geboren«

E. T. A. Hoffmann und die Musik

E. T. A. Hoffmann, Public domain, via Wikimedia Commons

Was soll man von einem Schriftsteller halten, der über sich selbst sagt: »Zum Musiker bin ich nun einmal geboren, das habe ich von meiner frühesten Jugend an in mir gefühlt und mit mir herumgetragen. Nur der mir innewohnende Genius der Musik kann mich aus meiner Misere reißen.« Dabei hatte E. T. A. Hoffmann, als er dieses Bekenntnis 1812 einem Freund anvertraute, bereits die Erzählung vom Ritter Gluck und die ersten Kreisleriana veröffentlicht, die alsbald seinen Ruhm (und seinen schillernden Ruf) begründeten. Heinrich Heine sollte das Werk Hoffmanns später einen »entsetzlichen Angstschrei in zwanzig Bänden« nennen. Wohlgemerkt: das literarische Werk. Das musikalische war ihm vermutlich unbekannt. Und nicht nur ihm.

Aus Bewunderung für Mozart änderte der 1776 in Königsberg geborene Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann seinen dritten Vornamen in Amadeus. Als Komponist wäre er, wenn nicht vergessen, so doch allenfalls unter den ferneren Zeitgenossen von Johann Nepomuk Hummel und Louis Spohr verzeichnet. Findige Musikhistoriker könnten ihn einerseits der kirchenmusikalischen Restauration zuordnen, da Hoffmann altertümliche geistliche Werke im Stil des italienischen Renaissancemusikers Giovanni Palestrina schuf; andererseits könnten sie ihn zu den Wegbereitern des romantischen Musikdramas zählen und in seiner Oper Undine die Leitmotive, den Klangzauber, die offenen Formen einer kommenden Ära wahrnehmen, ein Versprechen auf die Zukunft.

Die Undine wurde 1816 in Berlin mit beachtlichem Erfolg in Bühnenbildern von Karl Friedrich Schinkel uraufgeführt. Aber als die Kulissen im Juli 1817 beim Brand des alten Schauspielhauses am Gendarmenmarkt in Flammen aufgingen, verschwand Hoffmanns Zauberoper auch schon wieder vom Spielplan.

Im bürgerlichen Leben stand Hoffmann als Justizbeamter in preußischen Staatsdiensten: Zuletzt amtierte er als Kammergerichtsrat in Berlin. Zwischenzeitlich jedoch war er am Bamberger Theater engagiert, in wechselnden Funktionen vom Kapellmeister über den Ballettkomponisten bis zum Bühnenbildner und Regisseur, bevor er sich als Musikdirektor einer reisenden Operntruppe anschloss.

E. T. A. Hoffmann lebte in friedlosen Zeiten. Die napoleonische Herrschaft in deutschen Landen, die Schlachten der Bündnispartner Preußen und Russland, Besetzung und Befreiung, Artilleriefeuer und Bombardements, »zerrissene Menschen«, »dumpfes Röcheln des Todeskampfes«: das ganze Kriegsgrauen sah er mit an – und blieb doch ein apolitischer Einzelgänger. Er floh in seine literarischen Fantasien, in ein »fernes, unbekanntes Geisterreich«, er schuf sich seine schwärmerischen und bizarren Gegenwelten. Und namentlich die Musik entführte ihn »aus dem törichten Tun und Treiben des gemeinen Lebens in den Isistempel, wo die Natur in heiligen, nie gehörten und doch verständlichen Lauten mit ihm spräche«.

Nicht als Komponist, wohl aber als Dichter übte Hoffmann mit seinen Schriften, Romanen, Fantasie- und Nachtstücken den stärksten Einfluss aus auf die Musikgeschichte: bis hin zu Richard Wagner, Gustav Mahler, Ferruccio Busoni und Paul Hindemith, die von seinen Ideen und Visionen gebannt waren.

Mit seinem literarischen Alter Ego, der Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler, traf Hoffmann den Nerv der Musiker, die sich mit dem sprunghaften Dasein und romantisch erhitzten Gemüt des fiktiven Kollegen identifizieren konnten. Robert Schumann komponierte Kreisleriana, Miniaturporträts und Psychogramme für Klavier; und der junge Brahms gab sich sogar den Aliasnamen »Johannes Kreisler junior«.

Vor zweihundert Jahren, am 25. Juni 1822, starb Ernst Theodor Amadeus Hoffmann in Berlin. Ein Riss verlief zwischen der Musik und seiner Misere, der das Leben zerschnitt und die Fantasie anstachelte: die Fantasie des Dichters.

 

Wolfgang Stähr

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