
(Foto: Deutsche Kinemathek / Filmarchiv Austria)
Werner Hochbaums Stummfilm Brüder von 1929, erzählt die packende Geschichte zweier Hamburger Geschwister, die sich beim Hafenarbeiterstreik 1896 in feindlichen Lagern gegenüberstehen – der eine als Streikender, der andere als Polizist. Am 13. Februar feiert die restaurierte Fassung des Films Weltpremiere bei der Berlinale – musikalisch begleitet von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker. Wir haben mit dem Schlagzeuger und musikalischem Leiter Raphael Haeger über das Projekt gesprochen.
Worum geht es bei dem Projekt am Sonntag?
Die Reihe Berlinale Classics zeigt seit 2013 digital restaurierte Filmklassiker. Zu ihnen gehört in diesem Jahr auch der Stummfilm Brüder, eine Kooperation mit der Berlinale, der Deutschen Kinemathek und ZDF/Arte. Wenn die ursprüngliche Filmmusik nicht mehr erhalten ist, wie in unserem Fall, werden Kompositionsaufträge vergeben, meistens an junge Komponist*innen, die eine neue, moderne, anspruchsvolle Filmmusik kreieren, die dann live gespielt wird. Für Brüder ging der Auftrag an den Berliner Martin Grütter, der die Filmmusik für ein zwölfköpfiges Ensemble und Live-Elektronik komponierte. Die Live-Elektronik ist dabei ein Klangband, das mit dem Film mitläuft. Dafür spielen wir zum Teil auch live Musik ein, die dann dazu gemischt wird.
Wie klingt diese Musik?
Es klingt in jedem Fall nicht, wie die Filmmusik der 1920er-Jahre. Martin Grütters verwendet Kompositionstechniken der Zeitgenössischen Musik, bringt sie mit Märschen der Arbeiterbewegung in Verbindung, mit Samples von Alltagsgeräuschen, bis hin zu Zitaten aus der Musik der 18. Jahrhunderts, und formt daraus eine sehr eigenständige Klangsprache. Ich würde seine Musik als extrem wandelbar, angriffslustig, unberechenbar bezeichnen. Aus dem Friedrichstadtpalast wird ein riesiges Filmtheater, dementsprechend sind wir alle voll verstärkt. Das ergibt einen gewissen, sehr direkten Sound, den man aus dem Kino kennt und der sich der heutigen Ästhetik annähert. Es gibt zum Beispiel ein Drumset, das in der modernen klassischen Musik nicht oft zum Einsatz kommt. Die Ästhetik der Musik ist schwer zu beschreiben, es ist eine Mischung aus Klang-Clustern und melodischen Elementen.
Gibt es für Sie als Dirigent eine besondere Herausforderung bei Stummfilm-Musik?
Absolut. Ich habe das schon mehrfach gemacht, aber es bleibt immer eine große Herausforderung. Die Musik ist an ein Medium gebunden, das starr mitläuft. In diesem Fall haben wir den Film, der nicht reagieren kann und die Live-Elektronik, die natürlich auch nicht auf uns reagiert. Dadurch habe ich nur ganz spezielle, feine Möglichkeiten, in denen ich den Musiker*innen Raum geben kann. Normalerweise findet in unseren Konzerten ein Geben und Nehmen statt, hier muss ich die Mitwirkenden in ein enges Korsett zwängen. Allerdings macht das auch den besonderen Reiz aus: Es ist eine komplexe Musik, die schwer zu dirigieren ist. Und es immer reizvoll zu entdecken, was junge Komponist*innen sich ausdenken, wenn sie einen solchen Film sehen.
Wie nah am Film hat Martin Grütter komponiert?
Es ist eine unglaublich eng auf den Film geschnittene Choreografie. Die einzelnen Bewegungen der Schauspieler*innen, die die Gangarten, bis hin zu feinsten Regungen im Gesicht werden musikalisch auf engstem Raum dargestellt. Wie er das musikalisch gelöst hat, ist wirklich spannend zu sehen.
Warum sollte man das Konzert nicht verpassen?
Wer schon einmal Live-Musik im Kino gen hat, weiß, was für ein großartiges Erlebnis das ist. Wenn ein Orchester oder Ensemble spielt, selbst wenn jemand am Klavier improvisiert oder ein Orchestrion erklingt, wie man es im Berliner Babylon-Kino erleben kann. Es ist kein Vergleich zu irgendeiner noch so tollen Filmmusik, die vom Band läuft. Je mehr Projekte es gibt, die diese Kunstform zurückbringen, desto besser. Vor 100 Jahren gab es in Berlin über 20 Lichtspielhäuser mit eigenem Ensemble, ein unglaublicher Reichtum in diesem Genre. Es wird höchste Zeit, dass das wieder zurückkommt und weiterentwickelt werden kann. Dazu leistet der Film seinen Beitrag, gerade auf einem Podium wie der Berlinale. Und vor allem spielt das Ensemble sensationell gut – wir hatten eine großartige Zeit in den Proben und freuen uns schon sehr auf den Sonntag!